Dienstag, 23. April 2024

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Als wären sie nie weg gewesen
Urlaub in Polen

Die Postrock-Band Urlaub in Polen ging 2011 nach fünf Alben getrennte Wege. Mit "All" melden sich die Kölner nun zurück. Auf ihrem sechsten Album spielt das Duo, als hätte es die Pause nie gegeben.

Von Christian Erll | 01.11.2020
    Zwei Männer sitzen mit überschlagenen Beinen auf Gartenstühlen. Einer von ihnen trägt eine dunkle Sonnenbrille und hält ein weißes Kaninchen in den Händen
    Kleine Besetzung, großer Sound: das Duo Urlaub in Polen (Frederike Wetzels)
    Musik: "Impulse Response"
    Eigentlich hatte Jan Philipp Janzen im vergangenen Jahr genug zu tun. Er ist Gründungsmitglied der Band Von Spar, er hat bei der letzten Platte von Die Sterne am Schlagzeug gesessen und er hat den Sophisticated Deutschpop von Albrecht Schrader mitproduziert. Dennoch fehlte ihm in all den Jahren Pause etwas, sagt Janzen über sein Projekt Urlaub in Polen. Schon 2016 hatten er und sein Duopartner Georg Brenner die Band nach mehr als vier Jahren Pause kurzzeitig reaktiviert. Für ein Jubiläumskonzert zum 20-jährigen Bestehen der Kölner Konzertlocation "Gebäude 9".
    Jan Philipp Janzen: "Nach diesem Konzert 2016 im Gebäude 9 ist mir deutlich geworden, was ich vorher schon so in Ansätzen gespürt hatte, dass mir irgendwas - irgendwas vermisse ich. Das war tatsächlich anfänglich extrem blurry und undeutlich. Und mir haben dann Leute gesagt: ‘Ja, hör mal, ist es vielleicht das?’ Und nach dem Konzert war es klar: Man will irgendwie weitermachen."
    Musik: "Impulse Response"
    Für ihre Auftritte waren Urlaub in Polen beim Publikum ohnehin geschätzt. Denn trotz minimaler Besetzung - Janzen spielt Schlagzeug und Brenner singt, bedient Gitarre, Bass-Moog, weitere Synthies und Effekte gleichzeitig - war der Live-Sound breit gefächert und druckvoll. Aber Spielen ohne neues Material funktionierte nur eine begrenzte Zeit, sagt Georg Brenner, Texter und Multiinstrumentalist der Band.
    Georg Brenner: "Sonst kommt man immer wieder in die Stadt und erzählt den gleichen Witz und dann lacht keiner mehr. Und dann kann man sich entscheiden: Entweder man macht den Laden zu und macht es halt nicht mehr. Oder man macht was Neues."
    Alles Neu!?
    Das Interesse des Labels Tapete Records an einer neuen Platte gab die nötige Sicherheit für die Produktion des neuen Albums. Neu, das ist nicht nur das Album. Sondern Neu!, die Band, das ist auch eine deutliche musikalische Referenz auf "All",denn die Krautrock-Prägung ist kaum zu überhören.
    Jan Philipp Janzen: "Klar natürlich. Also es wirkt immer ein Stück weit ungalant, wenn man sich so konkret auf Einflüsse bezieht. Aber es ist auch in irgendeiner Art und Weise - hat es auch oft eine Tendenz in Richtung Lächerlichkeit, das nicht zu tun. Denn selbstverständlich ist man beeinflusst von Musik, die man viel gehört hat. Und das ist bei Neu! tatsächlich bei uns beiden der Fall. Sozusagen eine Schnittmenge."
    Georg Brenner: "Und zwar eigentlich erst einmal durch die Duo-Situation und aber auch dadurch, dass Philipp halt sehr prägnant diesen teutonischen Rhythmus spielt. Ja, muss ich an der Stelle sagen, Philipp spielt den exorbitant superspeziell gut!"
    Musik: "T.H.D.T."
    Die präzisen Motorik-Beats von Janzen treiben die Songs an, wobei er die starre Schablone oft mit subtilen Fills durchbricht. Und Brenner setzt auf dieses resolute Rhythmus-Fundament seine Sounds und seine oft bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Stimme. Brenner hat in den 2000ern bei Indie-Bands wie Ken und Blackmail Gitarre gespielt, ist aber mittlerweile vor allem am Theater musikalisch aktiv. Und auch "All" lässt sich dramatisch hören. Die verhallten Stimmspuren wirken wie verlorene, in die Galaxis gesendete Funksprüche, die Gitarren- und Snythiemanipulationen, oft in Sketch-artigen Interludes vertreten, wie die fiependen und flackernden Instrumente eines maroden Raumschiffs.
    Ein Trip durch die Leere zu galaktischen Spelunken
    Das All ist ein Topos, der sich auch auf früheren Urlaub in Polen-Alben mit Titeln wie "Parsec" oder "White Spot" wieder findet. Nach einer Reise durch "The Void", die Leere, so der Eröffnungstitel von "All", ist ein weiterer Zwischenhalt eine Kneipe in einem Weltraumhafen, in der Gast-Saxofonist Axel Müller wild improvisiert.
    Georg Brenner: "Ja eben so was weiß ich, Bebop-Jazz. Ich hatte eigentlich nur so ein Bild von einer verrauchten Spelunke auf einem anderen Planeten. Vielleicht Mos Eisley. Da sollte irgendwie so eine Party stattfinden. Und ich habe dann irgendwann vor Jahren schon diesen Axel Müller kennengelernt. Und er wusste, glaube ich, was ich meinte. Und dann habe ich ihm einfach freien Lauf gelassen. Und das, was er abgeliefert hat, war für mich genau das Abbild von dieser Kneipe. Das hat sich eingelöst für mich."
    Musik: "The Witcher"
    Trotz klarer Kraut- und Spacerock-Ausrichtung ist "All" ein Album mit Freude an der eklektischen Reise in andere Stilgebiete. Zum Schluss ist sogar ein Ausflug à la LCD Soundsystem in die spacige Disco dabei. In der - oder an anderen, näher gelegenen Orten - wollen Urlaub in Polen auch bald wieder ihre besondere Live-Energie zeigen. Und wenn es nach Phillipp Janzen geht, gern auch noch für eine Weile.
    Jan Philipp Janzen: "Das verbindet sich eben zu so einer Form von Selbstverständnis, die ich eigentlich, und das habe ich auch in der Pause gemerkt, gar nicht mehr missen möchte. Wir können auch gern wieder eine Pause machen. Vielleicht wird das auch irgendwann wieder passieren. Aber ich kann mir genauso gut vorstellen, mit 67 das noch live zu spielen."