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Alt-katholische Kirche
Alternative zum Vatikan?

Kein Zölibat, kein Papst, keine männliche Monokultur: In der alt-katholischen Kirche ist vieles schon Wirklichkeit, wovon katholische Reformerinnen und Reformer träumen. Von der Krise der großen Schwester profitieren die Gemeinden jedoch kaum.

Von Michael Hollenbach | 05.03.2019
Nachdem Denise Wyss (34, knieend) am 19.2.2000 in der Franziskanerkirche in Solothurn (Schweiz) vom ehemaligen Erzbischof von Utrecht, Antonius Jan Glazemaker (l), zur ersten christkatholischen (altkatholischen) Priesterin der Schweiz geweiht wurde, legen ihr christkatholische Priester zum Segen die H
In der alt-katholischen Kirche können auch Frauen zu Priesterinnen geweiht werden (epd-Bild Gion Pfander)
Nein, Altkatholisch bedeutet nun nicht, dass in den Gemeinden etwa der alte Ritus in lateinischer Form gefeiert würde. Eher das Gegenteil. Olaf Welling stammt aus einer römisch-katholischen Familie, hat sich aber zusehends von seiner Herkunftskirche entfernt:
"Als schwuler Mann fühlt man sich da nicht wirklich angenommen in der Gesamtheit seiner Persönlichkeit; und das Beharrungsvermögen und die Ferne zur Lebenswirklichkeit, die doch vor allem in der reinen Lehre in Rom zu finden ist, da hatte ich schon immer meine Schwierigkeiten."
Widerstand gegen vatikanische Dogmen
Heute ist Olaf Welling Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Hamburger Altkatholiken. In der Hansestadt gibt es eine altkatholische Gemeinde seit den 1930er Jahren. Doch den Beginn der neuen Glaubensbewegung der Altkatholiken markierte bereits das erste Vatikanische Konzil. 1870 beschloss das Konzil die Unfehlbarkeit des Papstes bei endgültigen Entscheidungen in Glaubens- und Sittenlehren; und es beschloss den Primat der päpstlichen Rechtsprechung:
Der Papst übt als Nachfolger Petri, Stellvertreter Christi und oberstes Haupt der Kirche die volle ordentliche, unmittelbare bischöfliche Gewalt über die Gesamtkirche und über die einzelnen Bistümer aus. Diese erstreckt sich sowohl auf Sachen des Glaubens und der Sitten als auch auf die Disziplin und Kirchenleitung.
"Dadurch kam es dazu, dass eine altkatholische Kirche entstanden ist, gegen diese zwei Dogmen gab es Widerstände. Und die Mütter und Väter dieser Widerstandbewegung haben gesagt, dass das nicht mit Schrift und Tradition zu vereinbaren ist. Wir bleiben beim alten katholischen Glauben. So ist auch der Name alt-katholisch entstanden."
Walter Jungbauer leitet eine der deutschlandweit 40 Pfarrstellen der altkatholischen Kirche: er ist zuständig für Hamburg, den Norden Niedersachsens und einen Teil Schleswig-Holsteins. Zu den Unterschieden zur römisch-katholischen Kirche zählt der Zölibat:
"Unsere Geistlichen dürfen auch unverheiratet bleiben. Wir dürfen heiraten, aber wir dürfen auch unverheiratet bleiben, wir dürfen schwul sein oder auch lesbisch sein, bei uns ist das einfach möglich."
Im Gegensatz zur römisch-katholischen Kirche können homosexuelle Paare gesegnet werden; demnächst soll auch eine Trauung möglich werden. Geschiedene, die wieder geheiratet haben, dürfen zur Eucharistiefeier gehen – ja sie dürfen sogar ein zweites Mal kirchlich heiraten.
"Nicht mehr meine Baustelle"
Und Frauen können zu Priesterinnen geweiht werden. So wie Sabine Clasani. Sie ist altkatholische Priesterin in der Schlosskirche in Mannheim. Die 46-Jährige amüsiert sich manchmal über Touristen, die unversehens in ihre Messfeier kommen:
"Sie machen die Tür auf, und wenn ich am Altar stehe im Messgewand, und ich sehe dann die erstaunten Blicke, weil ich merke, dass sie nicht kapieren, was da abläuft. Sie merken, evangelisch ist es nicht, aber eine Frau am Altar? Da muss ich immer schmunzeln."
Sabine Clasani hat zuerst römisch-katholische Theologie studiert, bevor sie dann konvertierte. Für sie war das eine Art Erlösung:
"Ich musste mich nicht mehr ständig für Dinge rechtfertigen, für die ich immer mithaftbar gemacht wurde, zum Beispiel Zölibat, Rolle der Frau, oder wenn der Papst mal wieder was gesagt hatte, konnte ich sagen, das ist nicht mehr meine Baustelle."
Die meisten der altkatholischen Pfarrer waren früher römisch-katholische Priester. Viele von ihnen waren zunächst beseelt vom Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils und dann enttäuscht vom Vatikan. Heute gibt es nur noch wenige Übertritte, sagt Bischof Matthias Ring:
"Wenn es weniger römisch-katholische Geistliche gibt, dann gibt es auch weniger, die bei uns nachfragen können. Der Priestermangel macht sich mit zeitlicher Versetzung bemerkbar. Um mal Zahlen zu nennen: vor 30 Jahren haben pro Jahr 100 römisch-katholische Geistliche nachgefragt, in den Dienst zu wechseln; jetzt sind das pro Jahr zwei oder drei noch."
Katholische Sakramente, evangelische Struktur
Vor allem für liberale, aber zugleich spirituelle Christen sei die alt-katholische Kirche interessant, meint Sabine Clasani:
"Wir sind so ein bisschen ein Zwischending zwischen den beiden großen Kirchen. Wir teilen sehr viel Theologisches mit der römisch-katholischen Kirche, unsere Ämter, unsere Sakramentenlehre, wir haben Taufe, Erst-Kommunion, Firmung. Aber von der Kirchenstruktur sind wir eher evangelisch: das heißt vor allem viel Synodalität, Mitspracherechte der Gemeinde, wir sind demokratischer, unsere Pfarrer müssen gewählt werden von der Gemeinde."
Zwei Drittel der Synodalen müssen Laien sein; und der Bischof wird nicht von oben ernannt, sondern von den Gläubigen gewählt. Auch in der Ökumene gehen die Altkatholiken andere Wege, erläutert Walter Jungbauer. Zum Beispiel bei der Eucharistiefeier:
"Da sagen wir: Christus lädt ein und nicht eine Kirche und deswegen haben wir eine Offenheit gegenüber allen getauften Christinnen und Christen, die können alle zur Kommunion kommen."
Walter Jungbauer versichert, dass seine Kirche bei allen Unterschieden zum Vatikan doch vor allem "katholisch" sei.
"Wir haben eine sehr katholische Liturgie und wir legen sehr viel Wert auf so was wie Mystik. Wir können nicht alles erklären und wollen auch nicht alles erklären."
"Ökomunenische Haftungsgemeinschaft"
Die Alt-Katholiken haben einen leichten Zuwachs an Mitgliedern, aber so richtig profitieren können sie von der Krise der römisch-katholischen Kirche nicht. Bischof Matthias Ring:
"Die Enttäuschung auf die Kirche als Institution ist so groß, dass nicht mehr unterschieden wird. Es gibt eine ökumenische Haftungsgemeinschaft. Und wir merken, dass die Zahl der Beitritte in den Zeiten, in denen es in der römisch-katholischen Kirche krisenhaft ist, zurückgeht. Man mag theoretisch den Alt-Katholizismus für eine Super-Sache halten, aber wenn dann die Frage kommt, wo ist denn die nächste Gemeinde? Und die nächste Gemeinde ist 30 Kilometer weg, dann sinkt die Begeisterung. Und ich glaube, es liegt im Menschen drin, dass man lieber ein Teil einer großen Gemeinschaft ist als einer kleinen. Ich sage immer: man ist lieber Fußballfan vom FC Bayern München als von FC Hinterschlappenreut."