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Alte und neue Debatten in der Kultur

Zwar legt das Jahr 2013 mit der Zahl "13" einen verpatzten Start hin, aber es gibt noch diverse alte und neue Debatten, bei denen es sich profilieren kann. Am Ende streicheln wir ihm womöglich auch über den Kopf und wünschen ihm alles Gute. Eine ironische Vorausschau.

Von Arno Orzessek | 01.01.2013
    Eines vorab: Am liebsten würden wir dem neuen Jahr sanft über den Kopf streicheln. Dieses 2013 kann ja ein bisschen Aufmunterung gut gebrauchen.

    Allein der verpatzte Start! Da führst du als Jahr die ach so böse, ach so ominöse 13 in der Zahl. Und dann hat nach der strapaziösen Untergangsfolklore rund ums Ende des Maya-Kalenders keiner mehr Lust auf okkulte Spökenkiekerei und Zahlen-Abrakadabra.

    Apokalypse und diese Dinge? Ach, geh! Gähn. Nicht umsonst hieß das Wort des Jahres 2012 "Rettungsroutine". Dem Jahr 2013 dürfte es dämmern, dass sich heutzutage kaum noch eine Krise länger vor der Rettungsroutine retten lässt - mit entsprechend nachteiligen Folgen fürs Spektakel.

    Obwohl, stimmt nicht ganz. Zur Altlast des neuen Jahres gehört ja als spektakulärster Cliffhanger die Causa Suhrkamp, in der bislang alle Rettungsroutine versagt.

    Aber wie auch anders, wenn die Retter derart plemplem agieren?

    Dass der Schriftsteller Adolf Muschg den Bundespräsidenten zwischen Hans Barlach und Ulla Unseld-Berkewicz vermitteln lassen wollte - nun denn! Das war bloß eine Schnapsidee. Und für Schnapsideen gibt's keine Promillegrenze. Mehr davon!

    Grotesker Michael Naumann: Drängt sich als Vermittler auf und verhöhnt Barlach im gleichen Atemzug als "Fahrradklingel" - im Vergleich zur Bachschen Fuge Suhrkamp.

    Nichts gegen Bach, nichts für Hans Barlach: Aber der Mann wird notorisch beleidigt. Von Naumann, von Peter Handke, von Rainald Goetz. Dialektik der Aufregung: Die Suhrkamp-Kultur schlägt um in Barbarei.

    Hey, Hans im Unglück: Das müsste doch für einen Prozess reichen!

    Oder für einen Film. Worin auch der Dreck fliegen würde, mit dem sich Frank Schirrmacher und Richard Kämmerlings im feuilletonistischen Kampf um die Suhrkamp-Ehre bewerfen.

    Aber daran sieht man schon, dass sich 2013 zu 2012 verhält wie die Reflexion zum Ereignis.

    Die Beschneidungsdebatte etwa ist wie abgeschnitten, seit der Bundestag grünes Licht für den Schnitt gegeben hat. Die ganzen Advokaten des Kinderrechts und der körperlichen Unversehrtheit, die so plötzlich so grell aus dem Nichts aufgetaucht waren - was planen die eigentlich für dieses Jahr?

    Auch der Streit um das Urheberrecht, den gordischen Knoten des digitalen Zeitalters, dürfte abflauen, wenn der Wähler den Piraten den Wind aus den Segeln nimmt. Die Freibeuter sind zwar weiter brüsk für die Freiheit im Netz, haben sich aber heillos darin verfangen. Und wer weiß, vielleicht enden sie schon nach der Bundestagswahl als Beifang ihrer eigenen Idee.

    Dass Jakob Augstein vom Simon-Wiesenthal-Center auf Platz 9 der Top-10-Antisemiten weltweit gelistet wurde, drängt sich als Stoff fürs neue Jahr auf. Doch leider steht zu befürchten, dass nur die Bezichtigungen wiedergekäut werden, die noch vom Feuilletondonner um Günter Grass' Israel-kritisches Gedicht "Was gesagt werden muss" nachhallen. Und dass Henryk M. Broder, der sich ersichtlich keine Sorgen um seine Top-Platzierung im inoffiziellen Shoa-Business-Ranking macht, ein weiteres Mal die meiste Salzsäure verspritzt.

    Ob der 200. Geburtstag des Antisemiten Richard Wagner den stereotypen Schlagabtausch auf ein annehmbares Niveau heben wird? Schwer zu sagen.

    Eine schöne Ironie wäre natürlich, wenn Philip Roth, jetzt, wo er das Schreiben endgültig und für immer aufgegeben hat, den Literaturnobelpreis bekäme. Aber so originell nimmt sich das Jahr 2013 leider nicht aus.

    Und irgendwie hat man's doch geahnt, als die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie die Schlingnatter zum Reptil des Jahres erklärt hat.

    Denn, bitte schön, die Schlingnatter sieht zwar so ähnlich aus wie eine mordsgefährliche Kreuzotter, ist aber völlig harmlos. Und so das Jahr 2013. Wir streicheln ihm über den Kopf und wünschen ihm alles Gute.