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Altenheime unter der Lupe
Forscher für echten Pflege-TÜV

"Keine Defizite" bis "schwerwiegende Qualitätsdefizite": Experten fordern ein neues Bewertungssystem für Pflegeheime. Außerdem soll es mehr Infos über einzelne Heime geben - vom Internetzugang über Gedächtnistraining bis zum Friseur. Umgesetzt werden soll die Reform bis Herbst 2019.

Von Dirk-Oliver Heckmann | 19.11.2018
    Ein Pflege-TÜV, bei dem heute fast jedes Heim ein "sehr gut" bekommt, verdiene seinen Namen nicht, sagt Minister Spahn
    Welches Pflegeheim garantiert eine gute Behandlung der Eltern, die zuhause nicht mehr versorgt werden können? (picture alliance / Oliver Berg)
    Millionen Menschen stehen vor der Frage: Welches Pflegeheim garantiert eine gute Behandlung der Eltern, die zuhause nicht mehr versorgt werden können? Bei der Suche sollte der sogenannte Pflege-TÜV helfen. Das Problem: Die meisten Pflegeheime unterscheiden sich kaum in der Bewertung. Im bundesweiten Durchschnitt erhielten sie im vergangen Jahr die Note 1,2.
    Was ist dafür der Grund? Stefan Etgeton, der Gesundheits- und Pflegeexperte der Bertelsmann-Stiftung: "Das liegt an der alten Prüfsystematik. Da konnte man zum Beispiel eine schlechte Pflegequalität bei Dekubitus durch einen schönen Essensplan ausgleichen. Und das hat am Ende dazu geführt, dass tatsächlich die überwiegende Zahl der Pflegeheime sehr gute Noten hatte."
    Die sind inzwischen durch den Gesetzgeber zwar abgeschafft. Aber sie werden weiter veröffentlicht. Ein Pflege-TÜV, bei dem heute fast jedes Heim ein ‚sehr gut‘ bekommt, verdiene aber seinen Namen nicht, meint auch Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU.
    Pflegewissenschaftler der Universität Bielefeld und des "Instituts für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen" - kurz AQUA - haben jetzt ihre Vorschläge vorgelegt.
    Wie gut ist die Pflege wirklich?
    Demnach soll weniger auf die eigene Dokumentation der Heimbetreiber abgestellt werden. Sondern es soll konkret geschaut werden, wie gut die Pflege tatsächlich ist. Zum Beispiel beim Erhalt der Mobilität und der Selbstständigkeit im Alltag, bei schweren Stürzen oder beim Wundliegen im Bett. Eine externe Prüfung durch Experten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen soll die Daten der Heimbetreiber strichprobenartig überprüfen.
    Dazu soll auch ein neues Bewertungssystem eingeführt werden. Statt Schulnoten soll es vier Kategorien geben – von "Keine Defizite" bis "schwerwiegende Qualitätsdefizite". Außerdem sollen Menschen, die ein Heim suchen, weitere Informationen zu Ausstattung und besonderen Angeboten der Einrichtung bekommen - vom Internetzugang über Gedächtnistraining bis zum Friseur. Umgesetzt werden soll die Reform bis Herbst kommenden Jahres.
    Für Stefan Etgeton von der Bertelsmann-Stiftung sind die Vorschläge ein Schritt in die richtige Richtung. Aber: "Wo wir hauptsächlich Bedenken haben, ist dass manche Prüfergebnisse nicht veröffentlicht werden, die den Bewohner oder auch den Angehörigen interessieren könnten; zum Beispiel ob freiheits-entziehende Maßnahmen vorgenommen wurden ohne richterliche Zustimmung. Unser Hauptbedenken betrifft aber die Vorschläge zur Darstellung. Die sind sozusagen noch nicht in der Online-Zeit angekommen, sondern der Standard-Bericht wird immer noch 22 Seiten enthalten. Und das soll dann im Internet veröffentlicht werden. Das halten wir für nicht mehr zeitgemäß."
    Wichtig wäre, dass der Pflege-TÜV kontinuierlich weiterentwickelt werde und dass dann am Ende ein Datensatz stehe, den alle frei nutzen könnten.
    Ist das unter Gesundheitsminister Spahn realistisch? Etgeton: "Ich denke schon, dass auch im Bundesgesundheitsministerium, die sich das ja anschauen werden, inzwischen ein etwas anderer Wind weht, was das Thema online und Digitalisierung anbelangt. Ich glaube, so ein junger Minister wie Jens Spahn, der wird aber relativ schnell sehen, dass man mit diesen Vorgaben im digitalen Zeitalter im 21. Jahrhundert keine mehr vom Ofen hervorlocken kann."