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Alter Tafelrunden-Mythos in neuem Gewand

Mit "Gawain" haben sich Dirigent Ingo Metzmacher und Regisseur Alvis Hermanis eine Oper von Harrison Birtwistle vorgenommen, die den Konflikt des Christentums mit seinen naturreligiösen Vorgängerkulten zum Thema macht. Die neue Interpretation kommt als schmuddelige Luxus-Fantasy daher.

Von Frieder Reininghaus | 27.07.2013
    Dass die Salzburger Festspiele ein gewichtiges Werk der neuen Musik in ihr Programm aufnehmen, sogar den Parcours der mit besonderer Aufmerksamkeit bedachten Opernpremieren mit ihm eröffnen, knüpft an den besten Traditionen dieses Festivals an. Bei Harrison Birtwistles "Gawain", gut zwei Dutzend Jahre alt, handelt es sich fürwahr um eine gewichtige Arbeit: Gewaltig groß ist das Orchester besetzt – so imposant, dass wenigstens ein halbes Dutzend Schlagwerker bis hin zum Cimbalom-Spieler seitwärts überm fürwahr nicht kleinen Graben der Felsenreitschule postiert werden mussten. Ingo Metzmacher regiert als umsichtiger Herr der tieferen Zonen die expressionistisch getönten Klangmassen und führt das ganz überwiegend britische Sänger-Team durch die durchaus sangbaren Lineaturen der erweiterten Partitur.

    Der Dirigent Metzmacher dürfte mit seiner Begeisterung für diese deftige und auch immer wieder drastisch-realistisch auftrumpfende Musik wesentlich dazu beigetragen haben, das man sich in Salzburg an Birtwistles Oper von 1991 erinnerte, die in Covent Garden uraufgeführt, dann aber weiter nicht mehr beachtet worden war. Mit John Tomlinson als Grünem Ritter und Herausforderer steht einer der Protagonisten erneut zu Verfügung: Der schwere Bass mit der so tragfähigen und belastbaren sonoren und markanten Stimme war schon damals in London dabei. Mit Christopher Maltman steht ihm ein nicht minder souveräner Gawain gegenüber – ein ambivalenter unheldischer Held, von dem das Libretto will, dass er sich auf einen Weg der Selbsterfahrung begibt.

    Gegenpol zum raueren Männer-Ton der dekadenten Gesellschaft um King Arthus ist der Sirenengesang der Laura Aikin, die als Gesellschafterin der Fürstengattin zu Bertilak süße Versuchung zu intonieren hat.

    Alvis Hermanis nahm sich der dankbaren Aufgabe an, eine aus uralten Märchen herüberwinkende Geschichte zu bebildern und in Bewegung zu versetzen: die Story des Grünen Ritters, der an Heilig Abend unangemeldet auf der Burg von König Arthus erscheint und einen merkwürdigen Zweikampf anbietet. Er bietet an, sich drei Axthieben auf seinen Kopf auszusetzen – im Gegenzug soll sich der Held des Handbeils nach Jahr und Tag in seinem Grünen Kapellengewölbe drei Schlägen von seiner Hand aussetzen. Es ist eine Versuchsanordnung wie geschaffen für Monty Python und man hoffte bei der Salzburger Premiere darauf, dass die Chance ergriffen würde, britischen Humor freizuspielen. Aber Hermanis deklinierte in einer Welt nach einer globalen Katastrophe im Jahr 2022 das übrig gebliebene Lemurenleben, die Regression in mittelalterliche Rituale und Schlagtechniken unerbittlich durch.

    Bemooste Autowracks, durcheinander gekegelte Särge und die von Grünspan überzogenen Reste von Industriearchitektur erinnerten an gewesene und verweste Zivilisation. In dieser wieder so atavistisch gewordenen Welt ist die Natur ganz nahe, der der Herr von Bertilak täglich arme Hasen abjagt. Hier bewegen sich die Statistinnen "triebhaft", das heißt: sie bohren mit den Unterleibern und wimmeln erotisch in einem alten VW-Bus wie Maden im Speck. So etwas wie einen Regieeinfall zeigte Hermanis, indem er den Ritter Gawain mit dem Kunst- und Lebenskünstler Joseph Beuys konnotierte – beide hatten das Problem, dass ihnen ein Stück der Kopfschädelplatte durch Kampfeinwirkung abhandenkam.

    Geboten wurde, um es vergröbernd kurz zusammenzufassen, schmuddelige Luxus-Fantasy in Anlehnung an B-Movies mit einer überdrücklich epigonalen Musik. Man versteht nach einer viertel Stunde, warum Birtwistlers "Gawain" bislang über die Gartenzäune von Covent Garden nicht hinausgelangte – und nach drei Stunden, wenn dann noch die Moral zu den Stichworten von Tapferkeit und Heldhaftigkeit ihre dicken Zeigefinger erhoben hat, weiß man es erst recht.