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Alternative Bildungswege
Studieren ohne Abitur

Die Anzahl der Studenten ohne Abitur hat sich zwischen den Jahren 2010 und 2014 fast verdoppelt. Möglichkeiten für ein Studium ohne Hochschulzugangsberechtigung gibt es viele: so etwa an Fernuniversitäten oder Hochschulen, die ihre Kurse extra berufsbegleitend anbieten.

Von Hilde Braun  | 12.03.2016
    Zwei palästinensische Studierende in Talar und Dokturhut während ihrer Graduation an der Uni in Nablus.
    Graduation auch ohne Abitur? Das geht - zum Beispiel an Fernuniversitäten. (picture alliance / dpa / Alaa Badarneh)
    Snezana Rausch hat eigentlich Abitur - allerdings ein serbisches. Vor 25 Jahren ist sie nach Deutschland gekommen, um hier als Krankenschwester zu arbeiten. Doch beruflich ging es irgendwann nicht mehr weiter. Sie wollte Studieren - nur: Ihr Abitur aus Serbien wurde hier nicht anerkannt. Ihre Berufserfahrung dagegen schon. Nun studiert die 46-Jährige Sozial- und Gesundheitsmanagement an der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen.
    "Der Grund dafür, dass ich mich zu studieren entschlossen habe, ist die zunehmende Akademisierung in der Gesundheitsbranche. Ein Studium ist notwendig, um weitere Aufstiegschancen zu haben. Der wichtigste Grund war, die FOM gab mir auch die Möglichkeit, dass ich meinen Beruf und mein Studium verbinden konnte."
    Sie muss Job, Familie und Studium unter einen Hut bekommen. Im Krankenhaus übernimmt sie inzwischen auch die Stationsleitung, wird von ihren Kollegen unterstützt, die Dienste mit ihr tauschen.
    "Sicherlich lohnt sich dieser Prozess, manchmal sehr schwierige Zeiten sind das, wenn es Klausuren sind oder auch die Vorlesungen einfach durchzuziehen. Aber letztendlich für mich zählt der Effekt, den ich mit diesem Studium bekomme, bessere berufliche Chance haben und auch in der Gesellschaft - ich spreche jetzt von Gesundheitsfragen - besser dazustehen."
    Die meisten studieren an Fachhochschulen
    Die Essener FOM ist eine der führenden privaten Hochschulen, die sich auf ein berufsbegleitendes Studium spezialisiert hat. Sie hat bundesweit 31 Studienorte. Kanzler Dr. Harald Beschorner:
    "Wir machen die Angebote berufsbegleitend, das heißt, Lehrveranstaltungen, die abends und am Wochenende stattfinden, sodass man seinen Beruf nicht unterbrechen oder einschränken muss."
    Das schätzt auch Britta Klavik, die hier ihren Bachelor of Business Administration macht, sie hat zuvor eine Lehre als Bankkauffrau absolviert und ebenfalls kein Abitur:
    "Ich bin finanziell wahrscheinlich flexibler als manche Vollzeitstudenten, möchte ich mal behaupten und dadurch finde ich es besser, die eigene Verantwortung zu übernehmen und schneller selbstständig werden zu können."
    Die meisten Studienanfänger ohne Abitur oder Fachabitur haben aber die Fachhochschulen. Laut Studie des Centrums für Hochschulentwicklung liegt der Anteil hier bei rund vier Prozent, verglichen mit knapp zwei Prozent an den Universitäten. Doch das sind Durchschnittswerte. Während viele Hochschulen sich kaum mit dem Thema Studieren ohne Abitur befassen, sind einzelne Hochschulen hier sehr aktiv.
    Bundesweit die meisten Studierenden ohne Abitur hat die Fern-Universität Hagen. Rektorin Ada Pellert:
    "Wir haben 7.500 Studierende ohne die klassische Hochschulzugangsberechtigung, allein von den neuen Studierenden sind 14 Prozent beruflich qualifizierte Studienanfänger und Anfängerinnen."
    Allerdings ist ein Fernstudium nicht für jeden geeignet:
    "Es gibt natürlich auch allgemeine Voraussetzungen für ein gelingendes Fernstudium: Selbstorganisation, Zeitmanagement, Motivation."
    "Ich habe mehr Berufserfahrung gesammelt als irgendein Vollzeitstudent"
    Denis Stegemann hat sich bewusst gegen eine Fernuniversität entschieden und studiert auch an der FOM in Essen, berufsbegleitend, im 8. Semester. Er macht den Bachelor in Maschinenbau und hat das bis jetzt nicht bereut:
    "Nein, ich würde es genauso noch mal machen, mir war es wichtig, dass ich direkt nach der Lehre erst mal Geld verdiene, dass ich auf eigenen Beinen stehen kann. Auch berufsmäßig, jetzt wo sich mein Studium dem Ende zuneigt, habe ich schon viel mehr Berufserfahrung gesammelt, als irgendein Vollzeitstudent. Und habe das als Background für meinen ganzen beruflichen Werdegang."
    Der 30-Jährige arbeitet in Oberhausen, ist stellvertretender Schichtleiter in einem Industriekraftwerk. Er hat einen Realschulabschluss und einen Abschluss als Industriemeister.
    "Nach dem Meister habe ich mir gedacht, dass das noch nicht alles gewesen sein kann, deshalb habe ich mich für ein Studium entschieden und bewusst gegen ein Fernstudium entschieden, die FOM bietet eine schöne Kombination an mit der Abendschulform an, dass ich das voll mit meinem Beruf machen konnte."
    Stegemann arbeitet in Früh- Mittags- und Nachtschicht, und hat zuhause eine anderthalbjährige Tochter. Einfach ist es auch für ihn nicht:
    "Wichtig ist, dass man irgendwann immer wieder auf den Punkt kommt, gerade wenn die Klausuren ausstehen. Ich denke, dass man das dann auch schaffen kann."