Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Altmaier: Wettlauf bei erneuerbaren Energien führt zur Überproduktion

Weil die Länder sich einen Wettlauf beim Produzieren von Windenergie liefern, erzeugen sie zu viel Strom und bekommen dafür höhere Einspeisevergütungen - die letztlich den Strom für Verbraucher teurer machen. Umweltminister Peter Altmaier (CDU) fordert ein "abgestimmtes Konzept" von Bund und Ländern, um Überkapazitäten zu vermeiden.

Das Gespräch führte Dirk Müller | 27.08.2012
    Dirk Müller: Schreckensszenarien sind es inzwischen für die Verbraucher, für die Bürger – Strom braucht schließlich jeder. Energie wird immer teurer, und das soll offenbar auch noch so weitergehen in den nächsten Jahren. Schon vergleichen viele die Preisspirale der großen Stromkonzerne mit dem Gebaren der großen Mineralölkonzerne. Abzocke ist das Urteil, was jeder in seinem Bekanntenkreis und im direkten Umfeld häufig gehört hat und immer noch hört. Mehr Geld bezahlen, jeden Tag, jeden Monat, für das Unabwendbare, für den Saft aus der Steckdose. Der Ausstieg aus der Kernenergie bittet die Portemonnaies der Bürger zur Kasse. Die Energiewende lässt also schön grüßen. Die Bundesländer liefern dabei sich ein regelrechtes Wettrennen. Längst ist deutlich geworden, dass die Kosten für neue Wind- und Solarparks völlig aus dem Ruder laufen. Zu viele potenzielle regenerative Energien, die eben nicht bezahlbar sind. Der "Spiegel" schreibt jetzt über Bundesumweltminister Peter Altmaier: "Lässt sich mit guter Laune ein Kernprojekt der Regierung stemmen?" – Peter Altmaier ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Altmaier, lachen Sie zu viel?

    Altmaier: Nein. Aber ich glaube, dass die Menschen auch erwarten, dass ein führender Politiker, ein Minister zumal, mit Tatkraft und Optimismus an seine Arbeit geht. Die Energiewende ist nun mal ein Projekt, das über mehrere Jahrzehnte angelegt ist, und es ist voller schwieriger Entscheidungen, die getroffen werden müssen, und deshalb wäre es schlecht, wenn ich mit schlechter Laune und Pessimismus diese Arbeit anfangen würde.

    Müller: Aber Sie brauchen zumindest Galgenhumor?

    Altmaier: Nun ja, ich will nicht von Galgenhumor sprechen. Ich glaube schon, dass die Probleme lösbar sind, sonst hätte ich diesen Job nicht angenommen. Wissen Sie, die Energiewende ist die größte Herausforderung, die wir seit dem Wiederaufbau vermutlich auf wirtschaftlichem Gebiet zu bewältigen hatten, und die halbe Welt schaut auf uns, ob die Deutschen das bewältigen und schaffen, oder ob sie am Ende sich gegenseitig zerstreiten und zerlegen. Und deshalb sage ich: Gute Laune ist wichtig, Galgenhumor wäre falsch. Was wir brauchen ist eine Politik, die alle Beteiligten dazu bringt, dass eine Energiewende, die inzwischen an 100 verschiedenen Stellen im Gange ist, am Ende oben auch so koordiniert wird, dass daraus ein geschlossenes Ganzes wird und dass zum Beispiel die Preise im Griff bleiben.

    Müller: Wäre es nicht gute Politik, Reformen zu machen – die Energiewende ist die größte Reform vielleicht in der Geschichte der Bundesrepublik -, ohne dass der Bürger ständig zur Kasse gebeten wird?

    Altmaier: Es war ja so, dass wir zu Beginn der Energiewende gesagt haben, wir wollen, wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet werden, nicht mehr und neue Kohlekraftwerke, sondern wir wollen insbesondere erneuerbare Energien: 35 Prozent bis zum Jahre 2020, 80 Prozent an der Stromversorgung bis zum Jahre 2050. So! Das geht ohne finanzielle Belastungen nicht, das wussten auch alle, da waren auch alle bereit. Wir hatten ein Konzept, und das haben wir immer noch, das vorsieht, dass diese Energiewende über 40 Jahre so stattfindet, dass die Belastungen in einem verträglichen Rahmen stattfinden.

    Müller: Das sagen Sie, verträglicher Rahmen. Ist das verträglich, wenn die Strompreise stärker steigen als das, was man mehr verdient?

    Altmaier: Das soll ja auch aus meiner Sicht nicht geschehen. Wir haben in den vergangenen Monaten und Jahren erhebliche Steigerungen der Strompreise gehabt, die mit der Energiewende nichts zu tun hatten, weil sie etwa auf teureres Erdöl und Gas zurückzuführen waren. Wir haben allerdings in den letzten ein und zwei Jahren Steigerungen, die etwas damit zu tun haben, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien viel schneller vorangeht, als alles das erwartet haben, und das führt dazu, dass mehr Einspeisevergütungen gezahlt werden müssen, und es führt dazu, dass die Netze schneller ausgebaut werden müssen, dass sie mit dem Ausbau nicht Schritt halten, und das bewirkt dann, dass manchmal auch Windstrom und Solarstrom bezahlt werden muss, obwohl er gar nicht in die Netze eingespeist werden kann.

    Müller: Demnach gehen viele Länder, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, viel zu schnell vor beim Ausbau und wir müssen die Zeche zahlen?

    Altmaier: Ja, ich finde das übrigens im Grunde erfreulich, dass die Bundesländer sich die Energiewende zueigen machen und dass sie sich ehrgeizige Ziele stecken. Aber wir müssen diese Ziele aufeinander abstimmen, und beispielsweise ist es so, dass wir beim Ausbau der Windenergie im Augenblick so einen kleinen Wettlauf erleben zwischen den nördlichen Bundesländern und den südlichen Bundesländern. Beide sind besonders ehrgeizig. Das kann aber im Ergebnis dazu führen, dass wir 50 Prozent, 60 Prozent mehr Windenergie haben, als wir mittelfristig verkraften können, und deshalb brauchen wir ein abgestimmtes Konzept von Bund und Ländern, wie viel Windenergie in den nächsten Jahren wo ausgebaut wird. Das kann man so stricken im Übrigen, dass die Interessen der unterschiedlichen Regionen gleichermaßen berücksichtigt werden.

    Müller: Jetzt hat zu diesem Thema Jost de Jager, Ihr Parteikollege aus Schleswig-Holstein, Stellung genommen. Er hat gesagt, Sie treten erst aufs Gaspedal und dann wieder auf die Bremse. Wie passt das denn zusammen?

    Altmaier: Na ja, ich kenne und schätze Jost de Jager, diese Aussage hat mich etwas verwundert, weil das Zitat von mir so nicht stimmt. Und vor allen Dingen: Ich glaube, es hat sich niemand so sehr in den letzten Wochen wie ich dafür eingesetzt, dass die Windenergie in Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine verlässliche Perspektive hat und dass sie eben nicht abgehängt wird durch das Ausbautempo in anderen Bundesländern. Wir haben besonders große Probleme im Bereich der Windräder auf hoher See. Die sind wichtig, weil sie sehr viele Stunden laufen können und deshalb auch zuverlässig sind.

    Müller: ... und besonders teuer sind!

    Altmaier: ... und besonders teuer sind, weil ganz neue und technisch hoch anspruchsvolle Leitungen verlegt werden müssen. Und weil das dort alles, als ich ins Amt kam, stockte und hakte, haben wir uns entschlossen, im Bundeskabinett am Mittwoch einen Vorschlag einzubringen, der die Haftungsfragen regelt für Netzanschlüsse, die zu spät kommen. Das ist eine Frage, wo wir diese Probleme dann lösen in ganz Deutschland.

    Müller: Bezahlen die Kunden!

    Altmaier: Das zahlen die Stromkunden, ja. Es ist allerdings eine Vorfinanzierung. Das heißt, wenn jetzt eine schwierige Zeit überbrückt wird, dann wird es abgezogen bei der Gesamthöchstförderdauer dieser Windanlagen. Das ist, denke ich, auch vertretbar. Aber umso mehr hat es mich verwundert, dass mein Parteifreund offenbar einige Zitate falsch verstanden hat. Ich bin jedenfalls der Überzeugung, wir müssen zu einer Abstimmung kommen, was die Windausbauplanung angeht. Darüber reden wir mit den Bundesländern und ich glaube, am Ende werden wir uns auch einigen.

    Müller: Sie haben ja neulich schon mal eine Ziffer genannt. Sie haben gesagt, so fünf Prozent, bis dahin könnten die Strompreise anziehen in der nächsten Zeit. Nun hat der Energiekonzern, der große Energiekonzern Vattenfall gesagt, die Strompreise werden in den nächsten Jahren um ein Drittel steigen und 150 Milliarden an Investitionen sind erforderlich, um diese ganze Energiewende in irgendeiner Form in den Griff zu kriegen. Wird Ihnen da nicht angst und bange?

    Altmaier: Also erst mal: Ich habe keine Prognose genannt. Ich habe mich auf das bezogen, was einige Experten gesagt haben. Es werden ja jeden Tag neue Prognosen genannt. All das trägt nicht dazu bei, dass die Diskussion sich beruhigt. Die Aussagen von Vattenfall, die sind wiederum ganz anders, weil sie sich auf längere Fristen beziehen. Das kann man gar nicht seriös kalkulieren, denn ich bin überzeugt: Ob die Energiewende teurer oder billiger wird, das hängt auch davon ab, wie wir sie in den nächsten Monaten organisieren. Es ist in der Vergangenheit einiges versäumt worden, was übergreifende Konzepte, was Abstimmungen zwischen Bundesländern, zwischen dem Netzausbau und dem Ausbau der erneuerbaren Energien angeht. Diese Versäumnisse müssen wir nachholen. Ich habe beispielsweise dafür gesorgt, dass in meinem Ministerium in Zukunft alle Fragen, die mit der Energiewende zusammenhängen, an einer Stelle vorbereitet und besprochen und entschieden werden. Das sind Fragen, die wir auch an anderer Stelle klären müssen. Dafür haben wir eine "Plattform Erneuerbare Energien", wo die Bundesländer einbezogen sind. Das heißt, wir machen jetzt das, was absolut notwendig ist, damit Planungssicherheit besteht und damit wir doppelte Strukturen, doppelte Kapazitäten, fehlerhaften Ausbau vermeiden, denn das alles führt zu finanziellen Belastungen, und die müssen die Bürger zahlen.

    Müller: Herr Altmaier, wenn ich Sie hier unterbrechen darf. Wäre ja schön, wenn die Kunden, wenn die Verbraucher, wenn jeder zuhause auch ein bisschen Planbarkeit hätte. Er bekommt immer nur Rechnungen, die immer höher werden. Wenn Sie zurück in Ihren Wahlkreis fahren – und das ist nicht der reichste Wahlkreis in der Bundesrepublik -, dann bekommen Sie doch auch diese Argumente vorgeworfen: immer höherer Strompreis, immer höherer Benzinpreis. Das kann doch nicht so weitergehen. Wann handelt die Politik dahin gehend, dass Preise auch begrenzt werden?

    Altmaier: Ich bekomme ja Reaktionen von zwei Seiten. Ich bekomme Reaktionen von denen, die überzeugt und begeistert sind von der Energiewende, die sagen, ihr dürft auf gar keinen Fall die Förderung für die Erneuerbaren zurückdrehen. Und dann, zwei Häuser weiter, treffe ich jemand, der sagt, ich habe keine Solaranlage, ich habe keine Windanlage und ich finde es nicht gerecht, dass ich an den Lasten mit beteiligt werde. Deshalb muss die Politik in dem Bereich, in dem ich zuständig bin – und das sind die erneuerbaren Energien -, dafür sorgen, dass unnötige Kostensteigerungen vermieden werden. Dafür setze ich mich ein.
    Im Übrigen zeigt ja gerade der Anstieg der Energiepreise, dass es richtig war, auf erneuerbare Energien zu setzen, denn die Energiepreise, die Erdölpreise, werden seit Jahren immer teurer, immer teurer. Das hängt mit den Welthandelspreisen zusammen. Und das bedeutet, dass wir langfristig, wenn wir uns auf fossile Energien alleine beschränken würden, wahrscheinlich Strompreissteigerungen hätten, die wesentlich höher sind als das, was wir jetzt bei einem geordneten Ausbau der erneuerbaren Energien zu gewärtigen haben.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Altmaier: Ich danke Ihnen – auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Mehr zum Thema auf deutschlandradio.de:

    Energiekonzerne kassieren Milliarden zu viel - Strompreiserhöhung trotz gesunkener Einkaufspreise