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Altmaier zum Kohle-Kompromiss
"Die Umweltbilanz kann sich sehen lassen"

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat den zwischen Bund und Ländern ausgehandelten Fahrplan zum Kohleausstieg gegen Kritik aus der Kohlekommission verteidigt. Viele Forderungen der Umweltverbände seien erfüllt, sagte Altmaier im Dlf. Die Stromversorgung müsse aber sichergestellt sein.

Peter Altmaier im Gespräch mit Mario Dobovisek | 22.01.2020
Peter Altmaier (CDU), Bundesminister für Wirtschaft und Energie, spricht auf einer Pressekonferenz
Peter Altmaier (CDU) ist Bundesminister für Wirtschaft und Energie (dpa/ Christoph Soeder)
Vor wenigen Tagen hatte die Bundesregierung einen Zeitplan für den Kohleausstieg vorgestellt, auf den sie sich mit den betroffenen Bundesländern geeinigt hatte. Mitglieder der früheren Kohlekommission werfen der Bundesregierung nun vor, den Ausstieg nicht wie vereinbart umzusetzen und die zuvor in der Kohlekommission erzielten Einigungen zum Klimaschutz zu verletzen.
Dem widersprach Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Als Beispiele für erfüllte Forderungen der Umweltverbände nannte er den Erhalt des Hambacher Forsts und die Stilllegung von Tagebauen. Zum neuen Kraftwerk Datteln 4, das bald ans Netz gehen und importierte Steinkohle verstromen soll, habe es "keine messerscharfe Vorgabe" der Kohlekommission gegeben. Das Kraftwerk nicht in Betrieb zu nehmen, hätte aber zu mehr CO2-Ausstoß geführt, weil der Betreiber sich nun im Gegenzug verpflichtet habe, alte Kraftwerke abzuschalten.
Altmaier betonte, Deutschland sei das Land mit der höchsten Stromversorgungssicherheit in der ganzen Welt. Die Bundesregierung trage die Verantwortung dafür, dass dies auch so bleibe.

Mario Dobovisek: Die Politik feiert sich selbst für den Atomausstieg und jüngst auch für den Kohleausstieg mit samt den Eckdaten, empfohlen von der sogenannten Kohlekommission aus Wissenschaftlern, Interessenvertretern und Politikern, die sich allesamt lange darüber gebeugt, beraten und gestritten hatten. Eigentlich wollte sich die Bundesregierung an den Kompromiss halten, doch aus Sicht von acht Mitgliedern der ehemaligen Kommission bricht sie nun ihr Wort. Warum – das haben sie gestern auf einer Pressekonferenz und in ihrem Schreiben an die Kanzlerin begründet.
Am Telefon begrüße ich Peter Altmaier, CDU-Politiker und Bundeswirtschaftsminister. Guten Morgen, Herr Altmaier!
Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
Dobovisek: Unter anderem Sie, Herr Altmaier, werden scharf angegriffen von Mitgliedern aus der ehemaligen Kohlekommission. Wortbruch werfen sie Ihnen und der Bundesregierung insgesamt vor. Hat sich die Bundesregierung nicht an ihr Wort gehalten?
Altmaier: Das glaube ich nicht, denn wir haben ja lange mit der Kohlekommission und in der Kohlekommission gerungen. Wir haben uns dazu verpflichtet, die CO2-Emissionen drastisch zu senken. Wir haben allein im letzten Jahr bereits über 50 Millionen Tonnen CO2 reduziert. Das hatte niemand auf dem Schirm und niemand erwartet. Und unser Ziel ist es gemeinsam, dass wir die Minderungsverpflichtungen einhalten, sowohl im Jahre 2023 wie im Jahre 2030, und natürlich, dass wir den Kohleausstieg beenden, das heißt zum Erfolg führen, so schnell, wie es energieversorgungsmäßig möglich ist – gegebenenfalls sogar ein paar Jahre früher.
"Der Hambacher Forst wird erhalten"
Dobovisek: Aber, Herr Altmaier, "den Kompromiss verlassen Sie klar und eindeutig".
Altmaier: Das ist eine sehr willkürliche Darstellung, weil wir in diesem Kompromiss, den wir beschlossen haben mit den Bundesländern, mit den Beteiligten vor Ort, in der Bundesregierung, dort haben wir viele, viele Forderungen der Umweltverbände eindeutig erfüllt. Der Hambacher Forst wird erhalten, er wird nicht abgebaggert. Wir legen Braunkohletagebaue still. Wir nehmen bis zum Jahre 2030 die Hälfte aller Kohle- und Braunkohlekapazitäten aus dem Markt. Das sind einige der Beispiele. Dass es darüber hinaus Kritik gibt, das ist das gute Recht der Umweltverbände, und ich bin auch gerne bereit, mit den Beteiligten darüber zu reden.
Dobovisek: Zum Beispiel, weil ein neues Steinkohlekraftwerk, nämlich Datteln IV, noch ans Netz gehen darf und gehen soll. Das war so im Kompromiss nicht vereinbart.
Altmaier: Im Kompromiss ist angeregt worden, Gespräche zu führen zu diesem Thema. Das war keine messerscharfe Vorgabe.
Dobovisek: Das sehen die anderen Beteiligten anders!
Altmaier: Diese Gespräche sind geführt worden und es hat sich herausgestellt, dass Datteln IV zum einen eine sehr rechtlich sichere Position hat durch Gerichtsurteile und zum anderen eine Nicht-Inbetriebnahme wahrscheinlich dazu geführt hätte, dass wir wesentlich mehr CO2 ausgestoßen hätten. Denn der Betreiber hat sich verpflichtet, im Gegenzug alte Kohlekraftwerke stillzulegen. Die erzeugen aber pro Tonne Kohle wesentlich mehr CO2.
Dobovisek: Sie scheuen, Herr Altmaier, auf Deutsch gesagt, das Risiko, noch höhere Entschädigungen an den Betreiber zu bezahlen?
Altmaier: Wir sind ja kritisiert worden dafür, dass wir hohe Entschädigungen gezahlt haben, die wir übrigens zahlen mussten nach dem Grundgesetz und nach unserer Verfassung, damit die Stilllegungen, die in den nächsten Jahren bevorstehen, nicht vom Bundesverfassungsgericht oder von anderen Gerichten für rechtswidrig erklärt werden. Dafür sind wir kritisiert worden, auch von der Umweltbewegung, und deshalb finde ich es mit Verlaub nicht ganz konsequent, wenn man sagt, im Falle von Datteln, da interessiert uns die Höhe der Entschädigung gar nicht, das darf nicht ans Netz, koste es was es wolle.
Ich glaube, dass die Umweltbilanz sich sehen lassen kann. Wir haben in Westdeutschland viel mehr Braunkohlekapazitäten stillgelegt, als ursprünglich geplant war. Auch das kommt in der Diskussion kaum zum Ausdruck. Und umgekehrt war es für die großen Industrie- und energieintensiven Unternehmen in Nordrhein-Westfalen auch wichtig zu wissen, dass die Stromversorgung gesichert ist und dass der Strom jederzeit in der erforderlichen Menge verfügbar ist.
"Es macht wenig Sinn, dass man öffentlich streitet"
Dobovisek: Der Ausstiegspfad – so nennen es auch die Kritiker – aus der Kohle sei nicht mehr stetig. In den nächsten Jahren gäbe es viel zu wenige Abschaltungen, stattdessen sogar die Neu-Inbetriebnahme. Der Naturschutzring nennt das "klimapolitischen Irrsinn". – Sie haben vorhin vorsichtig formuliert, dass da vielleicht diejenigen, die Ihnen da gegenüberstehen, auch falsch liegen. Bezichtigen Sie denn die acht der Lüge?
Altmaier: Nein. Ich glaube, es macht wenig Sinn, dass man öffentlich streitet. Ich habe eine andere Sicht der Dinge und es hat gestern auch eine ganze Reihe von Mitgliedern der Kohlekommission gegeben, die sich zu Wort gemeldet haben, etwa die Gewerkschaftsvertreter, und die eine dezidiert andere Auffassung vertreten haben. Es gibt auch in dieser Kohlekommission unterschiedliche Auffassungen.
Was ich zusagen kann und was wir einhalten werden, das sind die Stilllegungen zu den Abschaltterminen, die vorgegeben sind. Es gibt einen Punkt, wo die Kritiker formal recht haben. Das ist, dass wir manchmal zwei oder drei Jahre haben ohne Stilllegungen. Aber der am meisten kritisierte Zeitpunkt, der befindet sich nach dem Jahre 2023 bis 2025, und dort legen wir alle Atomkraftwerke still bis Ende 2021. Wenn 9000 Megawatt Leistung stillgelegt werden, nicht mehr zur Verfügung stehen, um die Stromversorgung zu sichern, dann ist es, glaube ich, richtig, dass wir auch schauen, dass sich die Stromwirtschaft anpassen kann, dass man sich darauf vorbereiten kann, dass Gaskapazitäten, die wir für den Übergang brauchen, ins Geld kommen. Wir haben kein Interesse daran, dass wir dann durch Importe von schmutzigem Kohlestrom oder Atomstrom aus anderen Ländern ausschließlich diese Lücke füllen müssen.
Dobovisek: Es kritisieren ja die ehemaligen Kommissionsmitglieder auch, es fehle ein klarer Pfad für den Ausbau erneuerbarer Energien. Schon jetzt liegen sie im Strommix deutlich vor den fossilen Energien und könnten bei beherzter Förderung den Kohleausstieg auffangen, sagen sie, aber nur bei beherzter Förderung. Die fehlt, wenn wir uns zum Beispiel die Windkraft angucken.
Altmaier: Nein! Wir fördern jedes Jahr erneuerbare Energien mit 25 Milliarden Euro.
Gesetz zum Ausbau der Erneuerbaren Energien
Dobovisek: Und trotzdem schleppt der Ausbau.
Altmaier: Das ist die sogenannte EEG-Umlage und wir haben uns verpflichtet, den Ausbau der erneuerbaren Energien sogar zu beschleunigen. Dazu werden wir ein Gesetz vorlegen. Das ist seit langem so besprochen. Wir haben jetzt das Kohle-Ausstiegsgesetz und das Struktur-Förderungsgesetz, die wir bereits eingebracht haben beziehungsweise einbringen werden. Wir werden dann im Frühjahr ein großes, umfassendes Gesetz vorlegen, wo wir dann auch verbindliche Aufbaupfade und Zuwachspfade für erneuerbare Energien festlegen werden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir die Stromversorgungssicherheit auch dann sicherstellen müssen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Wir werden in Deutschland in Zukunft in vielen Monaten oder Tagen viel mehr Strom produzieren, als wir eigentlich benötigen, und zwar erneuerbar, grün und umweltfreundlich. Und dann wird es Tage geben, da werden die Wind- und die Solarenergie nicht ausreichen, den Strombedarf zu decken, und trotzdem muss auch dann der Strom aus der Steckdose kommen, und auch das ist die Verantwortung einer Bundesregierung, dass wir weiterhin das Land bleiben mit der höchsten Stromversorgungssicherheit in der ganzen Welt.
Dobovisek: Weil Sie, Herr Altmaier, die Strompreise, die EEG-Umlage angesprochen haben. Das kritisiert zum Beispiel auch die Industrie, der BDI, um genau zu sein. Das sei zu wenig Entlastung, anders als in dem Kohlekompromiss ausgehandelt. - Kommen wir auf das, was die SPD im Bundestag zum Beispiel vorschlägt. Die sagt nämlich, dass sich Bundesregierung und Kohlekommission jetzt noch einmal zusammensetzen sollen. Wollen Sie das auch, Herr Altmaier?
Altmaier: Ich habe überhaupt gar kein Problem damit. Ich habe noch nie ein Gespräch verweigert.
"Immer wieder das Gespräch mit den Umweltverbänden gesucht"
Dobovisek: Dann müssten Sie aber auch Zugeständnisse machen, oder zumindest dazu bereit sein.
Altmaier: Nein! Ich kann ja nicht einseitig Zugeständnisse machen, wo die Regierung als Gesamtheit mit den betroffenen Bundesländern und dem Parlament zu entscheiden hat. Das ist in der Demokratie der Normalfall, dass nicht einer alleine alles entscheiden kann. Aber ich habe in dieser ganzen Zeit, während die Kommission getagt hat, auch nachdem sie ihren Abschlussbericht vorgelegt hat, immer wieder das Gespräch mit den Umweltverbänden gesucht. Meine Telefonnummer ist bekannt und ich werde mich solchen Gesprächen sicherlich nicht verweigern.
"Umweltschutz und Wohlstand unter einen Hut bringen"
Dobovisek: Dennoch bleibt im Moment, der Ausstieg wird verzögert, ein neues Kraftwerk geht ans Netz, Dörfer werden weiter für die Braunkohle abgebaggert. Welches Signal geht davon aus, wenn zum Beispiel Angela Merkel jetzt nach Davos reist zu den Mächtigen der Welt, zum Weltwirtschaftsforum, das ja explizit die Nachhaltigkeit und den Klimawandel sich aufs Papier geschrieben hat?
Altmaier: Die deutsche Klimapolitik, die wir ja neu auf die Schienen gesetzt haben, im letzten Herbst mit den Beschlüssen zum Emissionshandel in den Bereichen, die bisher noch nicht erfasst waren, im Hinblick auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, das wird weltweit anerkannt. Und es gibt weltweit viele Länder, die sich genau an diesem Beispiel orientieren, weil wir in Deutschland Umweltschutz und Wohlstand unter einen Hut bringen konnten in den letzten zehn Jahren. Das soll auch in Zukunft so bleiben.
Dobovisek: Müssten Sie nicht genau deshalb als Vorbildfunktion noch mal eine Schippe drauflegen?
Altmaier: Wir haben uns ja entschieden in den Beschlüssen letzter Woche, dass wir das Enddatum der Kohleverstromung um drei Jahre vorziehen, wenn wir im Jahre 2026 feststellen, dass es versorgungssicherheitsmäßig möglich ist. Wir werden auch alles dafür tun, dass es möglich sein wird. Wir haben es geschafft in den letzten Jahren, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung zu verdoppeln. Das ist weltweit einzigartig und einmalig. Und wir wollen an diesem Kurs auch für die Zukunft festhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.