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Am Beispiel des türkischen Vaters
Einwanderergeschichte als Comic

Halfdan Piskets Vater kam einst als Gastarbeiter aus der Türkei nach Dänemark. In der „Danskertrilogi“ erzählt der Zeichner die Einwanderungsgeschichte seines Vaters: von dessen Abrutschen in die Kriminalität, aber auch davon, wie er dem Sohn das Leben im neuen Land leichter machen wollte.

Von Jana Sinram | 18.04.2019
Comiczeichner Halfdan Pisket an seinem Schreibtisch
Comiczeichner Halfdan Pisket hat die Einwanderungsgeschichte seines Vaters in einer Graphic Novel aufgearbeitet (Deutschlandradio / Jana Sinram)
Halfdan Pisket hat zu sich nach Hause eingeladen. Von der U-Bahnstation Amagerbro ist es nicht weit bis zu dem rot verklinkerten Mehrfamilienhaus mit den grünen Balkonen.
"N. Pisket", steht auf dem Klingelschild. N. Pisket war Halfdans Vater – im Februar ist er an Krebs gestorben.
Halfdan sieht müde aus, als er die Tür öffnet. Er will hier wohnen bleiben, erzählt er, das habe er seinem Vater versprochen. Dessen Lebensgeschichte erzählt der junge Künstler in einer Comicserie. Seine "Danskertrilogi" hat den 33-Jährigen berühmt gemacht.
"Es sind drei Bücher. Im ersten geht es um seine Jugend an der Grenze zwischen Armenien und der Türkei und seine Entscheidung, das Land zu verlassen. Das zweite Buch handelt davon, wie er als Gastarbeiter nach Dänemark kommt, sich an die Gesellschaft anpassen muss und eine Familie gründet. Und im letzten Buch erzähle ich, wie mein Vater versucht, dänischer Staatsbürger zu werden, und wie er kriminell wird."
Bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt mit dänischem Vornamen
Der junge Mann mit dem nachdenklichen Gesicht und den markanten Augenbrauen macht als erstes das, was so ziemlich alle Dänen tun, wenn Besuch kommt: Kaffee kochen. In der Spüle der kleinen Küche stapelt sich das Geschirr, auf der Fensterbank steht ein Strauß halb geöffneter Osterglocken. Halfdan ist bei seiner dänischen Mutter aufgewachsen. Der Kontakt zum Vater war immer da, von dessen Einwanderungsgeschichte hat er aber lange nicht viel gewusst, erzählt er:
"Als Kind habe ich mich 100 Prozent dänisch gefühlt. Ich habe zwei weitere Vornamen bekommen, damit ich später mal bei Arbeitgebern anrufen kann und sagen, ich heiße Kristoffer Svenningsen. Weil mein Vater erlebt hat, wie schwer es ist, einen anderen ethnischen Hintergrund zu haben. Er hat darauf bestanden, dass ich kein Türkisch lernen soll, und er hat nie über seine Zeit in der Türkei gesprochen. Davon habe ich erst als Erwachsener erfahren, als ich begonnen habe, ihn zu interviewen."
Halfdan wusste, dass sein Vater mehrfach im Gefängnis saß, etwa, weil er in Kopenhagen in der Freistadt Christiania mit Haschisch dealte. Ursprünglich habe er nur einen Comic über die Kriminalität seines Vaters zeichnen wollen, sagt der Künstler. Nachdem sein bester Freund gestorben sei, habe er mit seinem Vater darüber gesprochen und dieser habe sich plötzlich geöffnet.
"Er hat angefangen, über seine eigene Kindheit zu sprechen und erzählt, wie er erst seinen besten Freund verloren hat, und dann seinen Bruder und seinen Vater. Und da habe ich gemerkt, dass es Geschichten in seinem Leben gibt, die vielleicht wichtiger sind als die Kriminalität."
"Gastarbeiter, Flüchtling, krimineller Einwanderer"
Halfdan erfuhr, dass sein Vater schon in der Türkei im Gefängnis gesessen hatte, als Deserteur. Als sich nach seiner Entlassung die Gelegenheit ergab, in Dänemark Geld zu verdienen, zögerte er nicht lange, auch weil er in der Türkei eigentlich niemanden mehr hatte.
"Da ist mir klar geworden, dass ich eine Geschichte über ganz unterschiedliche Formen der Migration erzählen kann, weil mein Vater verschiedene Dinge in sich vereint hat. Er war Gastarbeiter, aber auch Flüchtling, krimineller Einwanderer. Und meine eigene Geschichte - wie es ist, mit einem Elternteil aufzuwachsen, der Außenseiter in der Gesellschaft ist, zu akzeptieren, dass man niemals in das Land zurückkehren wird, wo man herkommt. Mir ist klar geworden, dass ich eine viel größere Geschichte erzähle als nur die meines Vaters."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Unter Dänen. Über die Grenzen der Integration".
Der Comiczeichner zeigt seine Graphic Novel, die ins Schwedische, Französische und Niederländische übersetzt worden ist. Die markanten schwarz-weißen Zeichnungen hat er digital angefertigt, teils sind die Szenen realistisch, teils zu Traumbildern verzerrt. Mit seiner "Danskertrilogi" hat Halfdan Pisket in Dänemark mehrere Preise gewonnen. Im Januar wurde er auch in Frankreich ausgezeichnet, mit dem Preis für die beste Serie beim Festival International de la Bande Dessinée in Angoulême, das als wichtigstes Comicfestival Europas gilt. Das hat sein Vater kurz vor seinem Tod noch mitbekommen.
Einwanderungsdebatte: "So extrem, ich habe keine Lust, mitzudiskutieren"
Sein Vater habe schon vorher gefunden, dass sein Sohn der tüchtigste Zeichner der Welt sei, erzählt Halfdan. Und sich gefreut, dass andere diese Meinung teilten. Halfdan hat für seine Geschichte auch andere Migranten interviewt. Die Namen seiner Hauptfiguren hat er geändert und betont, sie seien der Realität nur nachempfunden. Bei seinem Vater hätten die Bücher dennoch viel bewirkt, sagt er:
"Sie haben sein Selbstbewusstsein verändert. Und auch die Art, wie er über sein Leben gesprochen hat."
Ob die Integration in Dänemark gut oder schlecht läuft? Diese Frage findet Halfdan Pisket am Beispiel seines Vaters nur schwer zu beantworten.
"Das ist eine ziemlich zweischneidige Sache. Mein Vater hat die dänische Staatsbürgerschaft bekommen. Er war hier 40 Jahre, hat mehrfach im Gefängnis gesessen, eine dänische Rente erhalten. Das zeigt, dass wir ein sehr tolerantes System haben. Andererseits ist die Einwanderungsdebatte in Dänemark jetzt so extrem, dass ich keine Lust habe, mitzudiskutieren."
Eine Sache habe er im Gespräch mit seinem Vater und anderen Einwanderern gelernt, sagt der junge Künstler. Auch die Menschen am Rand der Gesellschaft hofften und träumten mehr oder weniger von den gleichen Dingen: von Sicherheit und davon, eine Familie zu haben und nicht alleine zu sein.