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Am Beispiel Indien und Pakistan
Studie berechnet weltweite Folgen eines regionalen Atomkriegs

Seit einem Jahr steht die Weltuntergangsuhr auf zwei Minuten vor zwölf. Damit befindet sich die Erde so nahe am Abgrund eines Atomkrieges wie in den schwierigsten Zeiten des Ost-West-Konflikts. Eine neue Studie beschreibt, was bereits ein lokaler nuklearer Schlagabtausch global bedeuten würde.

Von Dagmar Röhrlich | 10.10.2019
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Auch ein regionaler Atomkonflikt kann katastrophale globale Folgen haben (picture alliance / dpa)
Mit dem Ende des Kalten Krieges schien die Gefahr eines Atomkriegs gebannt, und die Angst verlor sich. Doch die Bedrohung wächst. Der im Moment vielleicht gefährlichste Krisenherd ist der in Indien und Pakistan. Für diese beiden Staaten hat Alan Robock von der Rutgers University nach mehr als zehn Jahren die Szenarien einer nuklearen Eskalation auf den neuesten Stand gebracht:
"Wir haben die Berechnungen wiederholt, weil Indien und Pakistan ihr Arsenal seit damals ausgebaut haben und es immer weiter ausbauen. Auch die Städte sind gewachsen, so dass bei den Bränden noch mehr Rauch freigesetzt würde. Es war also Zeit für eine Neuanalyse. Dafür haben wir haben uns angeschaut, was ein Atomkrieg im Jahr 2025 bedeuten würde."
Dossier: Atomwaffen
Militärische Planspiele
Denn bis dahin lassen sich die Entwicklungen bei Waffentechnik und Städtebau gut abschätzen. Für ihre Simulationen arbeiteten Klimaforscher um Alan Robock mit Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen zusammen. In die Wahl des Szenarios floss eine Studie der Defense Threat Reduction Agency des US-Verteidigungsministeriums ein. Sie war aufgrund von Rollenspielen mit pensionierten indischen und pakistanischen Generälen und Politikern zu dem Ergebnis gekommen, dass sich - falls weder die USA, noch Russland eingreifen – im Konfliktfall ein ausgewachsener Nuklearkrieg entwickeln würde:
"Pakistan würde in diesem Szenario 150 strategische Waffen auf Ziele in Indien abfeuern, Indien etwa 100 auf solche in Pakistan. 100 weitere hielte Indien zurück, um auf einen potentiellen Schlag Chinas zu reagieren. Wir sind davon ausgegangen, dass Waffen eingesetzt werden, die von der Größe der Hiroshima-Bombe bis zu 100 Kilotonnen TNT-Äquivalent reichen. Die Feuer, die durch die Atomangriffe entfacht werden, setzen 16 bis 37 Millionen Tonnen Rauch und Ruß frei, und wir haben die Reaktion des Klimas und der Primärproduktion berechnet."
Weitreichende Folgen rund um den Globus
Durch die Angriffe könnten bis zu 125 Millionen Menschen sterben. Doch die Folgen reichen weit über die beiden kriegführenden Länder hinaus.
"In unserem Szenario wurden die Waffen im Verlauf einer Woche eingesetzt, und die Feuersbrünste pumpten Rauch und Ruß in die Atmosphäre. Die Sonne heizt die Rußpartikel weiter auf, so dass sie bis in die Stratosphäre aufsteigen. Dort legen sie sich innerhalb von zwei Monaten wie ein dunkler Schleier um die Erde. Der schirmt zwischen 20 und 35 Prozent des Sonnenlichts ab und löst so einen gravierenden Klimawandel aus. Es dauert ein Jahr, ehe die Abkühlung ihr Maximum erreicht, weil Meer und Land nur langsam abkühlen."
Die globale Durchschnittstemperatur sinkt um zwei bis fünf Grad, und weil dadurch dann auch weniger Wasser verdunstet, kommt es zu Dürren. Auch die Nettoprimärproduktion sinkt: an Land um bis zu 30 Prozent, in den Meeren um bis zu 15 Prozent. Es dauert mindestens zehn Jahre, ehe sich die Systeme wieder normalisieren. Das bedeutet, dass weltweit noch mehr Menschen sterben – die indirekten Folgen könnten gravierender sein als die direkten.
Auch andere Szenarien sind denkbar
"Dieses Szenario ist nur eines von vielen. Auch zwischen Indien und China könnte ein Atomkrieg ausbrechen. Oder es könnte einen Atomkrieg geben zwischen den USA und Russland, bei dem dann sehr viel mehr Waffen eingesetzt werden und der so viel Rauch freisetzen könnte, dass ein nuklearer Winter die Folge wäre."
Mit Temperaturen, die auch im Sommer unter dem Gefrierpunkt liegen. Die Welt, urteilt Alan Robock, sollte wissen, welche Konsequenzen nukleare Auseinandersetzungen haben können.
"Die Tatsache, dass Atomwaffen existieren, bedeutet, dass sie verwendet werden könnten. Wir können uns kein logisches Argument vorstellen, warum wir sie einsetzen sollten. Denn wenn ein Atomkrieg erst einmal begonnen hat, lässt er sich kaum begrenzen.