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Am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht:

"Ich habe sehr früh eine Zuneigung empfunden für den Glauben, das hat schon mit sieben, acht angefangen. Ich wollte unbedingt lernen, wie man betet, und wollte es auch praktizieren. Und genau so war es dann mit dem Tragen eines Kopftuches oder mit dem Fasten oder etlichen anderen Dingen, die ich unbedingt praktizieren wollte, weil sie mir einfach gefallen haben und weil ich mich damit sehr gut identifizieren konnte.

Gaby Mayr | 02.06.2003
    "Ich habe sehr früh eine Zuneigung empfunden für den Glauben, das hat schon mit sieben, acht angefangen. Ich wollte unbedingt lernen, wie man betet, und wollte es auch praktizieren. Und genau so war es dann mit dem Tragen eines Kopftuches oder mit dem Fasten oder etlichen anderen Dingen, die ich unbedingt praktizieren wollte, weil sie mir einfach gefallen haben und weil ich mich damit sehr gut identifizieren konnte.

    Fereshta Ludin ist gläubige Muslimin. In der Öffentlichkeit trägt sie Kopftuch - auch wenn sie vor einer Schulklasse steht und unterrichtet. Das gehört für sie zu ihrer Religion. Deshalb kam es zum Konflikt zwischen der heute Dreißigjährigen und dem Land Baden-Württemberg. Nachdem Ludin 1998 das Examen abgelegt hatte, weigerte sich das CDU-geführte Kultusministerium, sie als Lehrerin einzustellen. Trotz guter Beurteilungen. Ludin klagte. Sie verlor in drei Instanzen, daraufhin rief sie das Bundesverfassungsgericht an. In Kürze wird Karlsruhe seine Entscheidung verkünden. In erster Instanz urteilte das Verwaltungsgericht Stuttgart:

    Es ist zwar davon auszugehen, dass die Klägerin die fachlichen Voraussetzungen der Einstellung erfüllt; sie erfüllt jedoch nicht die persönlichen Voraussetzungen, weil sie im Dienst ein religiös motiviertes Kopftuch tragen möchte und dadurch gegen ihre Dienstpflichten verstoßen würde. Das Tragen eines islamisch religiös motivierten Kopftuches durch die Klägerin im Schulunterricht würde der staatlichen Neutralitätspflicht und damit auch den Dienstpflichten einer Lehrerin widersprechen.

    Fereshta Ludin wurde in Afghanistan geboren. Mit fünf Jahren kam sie nach Deutschland, weil ihr Vater zum afghanischen Botschafter ernannt worden war. Die muslimische Religion gehörte im Hause Ludin zum Alltag, eine besonders wichtige Rolle spielte sie nicht:

    Meine Eltern waren einfach traditionelle Muslime. Das heißt, sie waren also zwar gebunden an den Glauben, aber so wie zum Beispiel viele Christen hier an ihren Glauben gebunden sind.

    Als Fereshta sieben Jahre alt war, marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Der Vater verlor seinen Botschafterposten, eine Rückkehr nach Afghanistan kam nicht in Frage. In der Folge reiste die Familie nach Saudi-Arabien. Der Vater hatte sich, wie bei vielen Muslimen nach dem 40. Lebensjahr üblich, auf seinen Glauben besonnen und wollte nach Mekka pilgern. Bevor er sein Ziel erreichte, starb er. Die Familie - ohne Rückkehrmöglichkeit nach Afghanistan und ohne Verankerung in Deutschland - blieb zunächst in dem muslimischen Land:

    Es gab Dinge, die mich besonders beeindruckt haben. Zum Beispiel im Fastenmonat, dass alle in einer großen Gemeinschaft gefastet haben, dass man jeden Tag fünf Mal, die ganzen Menschen dort, gebetet haben, das war sichtbar. Aber es gab dann eben Momente, und ich würde sagen, es waren die Momente, die mich dazu gebracht haben, bewusst über den Islam nachzudenken, das waren Momente, wo ich gedacht habe, dieses Verhalten stimmt überhaupt nicht mit dem Islam überein, obwohl es als islamisch präsentiert wird. Da denke ich vor allem an die Praxis, was die Stellung der Frau angeht, wie der Alltag der muslimischen Frau dort eingeschränkt ist.

    Die saudische Interpretation des Koran verwehrt den Frauen elementare Rechte und zwingt Musliminnen unter den Ganzkörperschleier. Derart massive Einschränkungen waren ein wichtiger Grund, warum Fereshta Ludin im Alter von 14 Jahren mit ihrer Mutter nach Deutschland zurückkehrte. Später erwarb sie die deutsche Staatsbürgerschaft.

    Bei ihrem Glauben gab sich Fereshta Ludin nicht damit zufrieden, Regeln und Rituale zu befolgen. Sie studierte den Koran im arabischen Original und setzte sich mit dem Text auseinander - auch mit den Bekleidungsvorschriften des heiligen Buches.

    Der Koran verlangt von den Gläubigen in mehreren Suren, sich dezent zu kleiden und zu verhalten - das gilt für Frauen und Männer. Als gläubige Muslimin muss sie ihren Kopf in der Öffentlichkeit bedecken - davon ist Fereshta Ludin überzeugt:

    Prophet! Sag deinen Gattinnen und Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen, wenn sie austreten, sich etwas von ihrem Gewand über den Kopf herunterziehen. So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie als ehrbare Frauen erkannt und daraufhin nicht belästigt werden.

    Koran-Sure 33, Vers 59

    Das Kopftuch ist für mich Teil meiner Glaubenspraxis, es ist ein wichtiger Teil, weil ich es aus den Quellen entnehme, dass es eine verpflichtende Sache ist. Das heißt aber nicht, da muss ich immer das gleich dazusagen, weil ich leider oft missverstanden werde, das heißt dann nicht, dass ich dann die Erwartung gleichzeitig habe, dass jede andere muslimische Frau, weil ich eins trage, es auch tragen muss.

    Im Islam gibt es nicht die eine Autorität - vergleichbar dem Papst in der katholischen Kirche -, die den Koran für alle Muslime verbindlich auslegen könnte. Jede und jeder Gläubige muss Glaubensentscheidungen - im Rahmen der heiligen Schriften - selber treffen. Ausdrücklich fordert der Koran: "Setz deinen Verstand ein!"

    Viel nachgedacht über Religion hat auch die Erziehungswissenschaftlerin Yasemin Karakasoglu, bevor sie sich für den muslimischen Glauben entschied. Sie trägt kein Kopftuch. Karakasoglu lehrt und forscht an der Universität Essen über "Islam in Deutschland". Als Tochter einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters wuchs sie in Deutschland auf. Die Mutter, eine Prostestantin, sorgte dafür, dass die Tochter weiß, was es mit Weihnachten und Ostern auf sich hat. Der Vater war ein überzeugter Anhänger der Trennung von Kirche und Staat, wie sie der türkische Staatsgründer Kemal Atatürk vertrat. Familienangehörige des Vaters in der Türkei prägten Yasemin Karakasoglus Umgang mit dem Islam: Sie beten und gehen in die Moschee. Aber sie betrachten ihren Glauben als Privatangelegenheit. Zeichen ihrer Religion in der Öffentlichkeit zu tragen, kommt für sie nicht in Frage:

    So ist auch bei meinen Verwandten in der Türkei es nicht üblich, ein Kopftuch zu tragen. Und wird auch nicht gesehen als etwas, was für die Zukunft unbedingt erstrebenswert ist wie in vielen anderen Familien. Wo man sagt, das ist quasi eine Art Krönung der Entwicklung zu einer Religiosität hin.

    Mit öffentlich sichtbarer muslimischer Religiosität war Yasemin Karakasoglu erstmals während ihres Studiums der Turkologie in Hamburg konfrontiert. Auch mit Kopftuch tragenden Frauen:

    Weil ich das nicht gewohnt war aus meinem persönlichen Umfeld, war es erst befremdlich. Und ich habe Deutungsmuster aus meiner Familie übernommen: Aha, die sind also sehr streng religiös, und die werten andere ab, wenn man sich nicht so verhält. Die möchten alle dazu bringen, dass man auch ein Kopftuch trägt. Fast wie so eine Gefahr. Aber das hat mich auch wiederum gereizt, denke ich. Deswegen habe ich mich wissenschaftlich mit dem Thema auseinander gesetzt. Und darüber sehr viel Kontakt zu Frauen bekommen, die ein Kopftuch tragen. Und mit sehr vielen Frauen über sehr persönliche Dinge gesprochen, sie in ihrem persönlichen Umfeld kennengelernt und festgestellt - das klingt jetzt so banal - aber das sind halt Frauen wie ich. Die haben ein etwas anderes Verständnis von ihrer Religiosität, von der Religion, vom Islam. Aber sie lassen mich auch so sein, wie ich sein möchte.

    Wie Yasemin Karakasoglu Kopftuch tragende Frauen früher als fremd und bedrohlich empfand, so geht es vielen Bundesbürgern bis heute. Sie sehen "das Abendland", "das Christentum" oder auch "die politische Liberalität" in Gefahr, wenn Musliminnen in Deutschland eine Kopfbedeckung tragen. Manche reagieren aggressiv - das reicht von Anpöbeleien bis zu Entlassungen Kopftuch tragender Frauen:

    Im niedersächsischen Schellerten wurde der Vertrag einer muslimischen Betreuerin an einer Grundschule nicht verlängert, weil sie aus religiösen Gründen eine Kopfbedeckung trägt.

    Im hessischen Schlüchtern wurde einer Verkäuferin wegen ihres Kopftuches gekündigt.

    Im nordrheinwestfälischen Bergkamen wurde einer Kindergärtnerin gekündigt, weil sie Kopftuch trägt.

    Meistens kommt es zu Konflikten, wenn die Kopftuch tragende Frau Kinder erzieht oder unterrichtet. Unstrittig ist: Wer religiös oder politisch missioniert - egal für welche Organisation - hat an öffentlichen Schulen und Kindergärten nichts zu suchen. Denn der deutsche Staat ist zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Und diejenigen, die im Auftrag des Staates Kinder unterrichten und erziehen, sind es auch.

    Aber ist das Kopftuch einer gläubigen Muslimin bereits religiöse Propaganda?

    Das baden-württembergische Kultusministerium will sich vor der Urteilsverkündung nicht äußern, weil es Partei in dem Rechtsstreit ist. Im SPD/PDS-regierten Berlin kommt man in der Kopftuchfrage zum gleichen Ergebnis wie in Stuttgart. Rita Hermanns, Sprecherin des Berliner Schulsenators:

    Alle Kinder müssen die Schule besuchen, und sie haben ein Recht darauf, dort neutralen Boden zu betreten. Das heißt, es gibt in Deutschland ein sogenanntes Überwältigungsverbot: Ich darf nicht mit etwas konfrontiert werden, mit dem ich nichts zu tun haben möchte. Und wir sind der Meinung, dass eine Lehrerin, die ein Kopftuch trägt, ja ganz eindeutig sich zu einer Religionszugehörigkeit bekennt und dass das auch die Kinder beeinflussen könnte. Deshalb sind wir der Meinung, dass eine Lehrerin dieses nicht tragen sollte.

    Mathias Rohe, Jurist und Islamwissenschaftler an der Universität Erlangen/Nürnberg, hält dagegen:

    Neutralität heißt zwar, dass der Staat sich in Glaubensdinge nicht einmischen darf, also er darf nicht festlegen, was richtig und falsch ist, er darf auch nicht aktiv Glauben in eine bestimmte Richtung propagieren, aber Neutralität heißt nicht, dass Religion aus dem öffentlichen Raum verbannt sein müsste. Jedenfalls nicht nach den Vorstellungen unseres Grundgesetzes.

    Wer als Lehrkraft ein religiöses Symbol trägt, muss dies allerdings zurückhaltend tun:

    Wenn es hinreichend dezent gemacht wird, wenn es deutlich wird, das ist ein Element der persönlichen Abschauung dieser Lehrerin und weiter nichts, dann müsste meines Erachtens trotz allem die positive Religionsfreiheit den Vorzug haben.

    Andererseits: Im Jahr 1995 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Kreuze in bayerischen Klassenzimmern abgehängt werden müssten. Geklagt hatte ein bayerisches Elternpaar, das eine christliche Erziehung seiner drei Kinder ablehnte. Die Kreuze an der Wand verletzten nach Auffassung des Gerichtes die im Grundgesetz garantierte Freiheit des Einzelnen, nach eigenen Glaubensüberzeugungen zu leben sowie die staatliche Neutralitätspflicht. Professor Rohe hält es für akzeptabel, dass religiöse Symbole von der Schulwand verschwinden, Lehrkräfte aber religiöse Zeichen tragen:

    Es ist schon ein Unterschied, ob eine Person Kleidung trägt, das ist doch etwas sehr viel Individuelleres als ob der Staat jetzt seine Räumlichkeiten in einer bestimmten Art und Weise ausgestaltet. Der Staat schreibt ja nun der Lehrerin eben nicht vor, dass sie ein Kopftuch aufziehen soll, das entscheidet sie dann selbst gegebenenfalls, aber er hängt eben an die Klassenzimmerwand das Kreuz auf, ganz aktiv. Insofern besteht ein gewisser Unterschied.

    Die bayerische Landesregierung interpretierte das Urteil übrigens in der Weise, dass die Kreuze hängen blieben und nur dann abgenommen werden, wenn ein Schulkind beziehungsweise seine Eltern einen entsprechenden Antrag stellen und auch nach einem Vermittlungsverfahren bei ihrer Auffassung bleiben.

    Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen hängen keine Kreuze an der Klassenzimmerwand. Die Lehrkräfte dagegen dürfen religiöse Symbole tragen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland unterrichtet ein gutes Dutzend Lehrerinnen mit Kopftuch, erklärt Jürgen Schürcks vom Düsseldorfer Schulministerium:

    In Nordrhein-Westfalen sind die jeweiligen Bezirksregierungen die zuständigen Einstellungsbehörden. Sie entscheiden in jedem Einzelfall, ob die Bewerberin, so verlangen es die gesetzlichen Vorgaben, geeignet für den Schuldienst ist. Und da sehen wir nach den heute vorliegenden Erkenntnissen eine Bewerberin nicht schon deshalb als ungeeignet an, weil sie ein Kopftuch trägt.

    Kritik von Eltern an Kopftuch tragenden Lehrerinnen habe es nur selten gegeben:

    Die zuständigen Bezirksregierungen sind hingegangen und haben also diese Konfliktsituation gesprächsweise geklärt. Also wir setzen durchaus dann, wenn es diese wenigen Konfliktfälle gibt, auch auf Gespräche vor Ort. Ich glaube nämlich nicht, dass man durch ein Verbot in einem Erlass oder Ähnliches rechtspolitische oder gesellschaftspolitische Fragen klären kann.

    In der Tat: Ob eine muslimische Lehrerin mit Kopftuch unterrichten darf oder vor der Schultür bleiben muss, ist nicht allein eine Frage juristischer Interpretationen. Religionsfreiheit und Neutralität des Staates in religiösen Fragen sind grundlegende Pfeiler des friedlichen Zusammenlebens in unserer vielfältigen Gesellschaft. Aber beim "Kopftuchstreit" geht es obendrein um Integration - oder Nicht-Integration - einer beachtlichen Bevölkerungsgruppe: Der Muslime, die ihren Glauben sichtbar leben wollen.

    Die großen christlichen Kirchen reagieren auf das muslimische Kopftuch bei Lehrerinnen bisher unterschiedlich. In einer Handreichung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Gestaltung der christlichen Begegnung mit Muslimen heißt es

    ... dass grundsätzlich Lehrerinnen und Lehrer verpflichtet werden können, auf das Tragen solcher Kleidung zu verzichten, die für ihr religiöses Bekenntnis kennzeichnend ist.

    Die Katholische Bischofskonferenz arbeitet derzeit noch an einem vergleichbaren Papier über das Verhältnis zu den Muslimen. Bei den Katholiken, so scheint es momentan, betont man ein wenig stärker das Recht auf die "individuelle Glaubensüberzeugung" - das hieße also: keine strikte Ablehnung Kopftuch tragender Musliminnen.

    Die christlichen Kirchen stecken bei der Kopftuch-Frage in der Zwickmühle. Denn wenn Lehrkräfte keinerlei religiöse Symbole tragen dürfen, dann muss das auch für das christliche Kreuz um den Hals gelten, erklärt Mathias Rohe:

    Unsere Verfassungsordnung kennt keinen etwa sogenannten christlichen Kulturvorbehalt. Von daher dürfen wir hier nicht unterscheiden.

    Anders als die christlichen Kirchen reagierte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremerhaven bei einem Kopftuch-Konflikt. Günter Schmitt machte sich öffentlich stark für eine Lehramtsstudentin, die in seiner Heimatstadt ihr Schulpraktikum mit Kopftuch ableisten wollte und deshalb von der örtlichen CDU attackiert wurde. Als Englischlehrer unterrichtet Schmitt an der Marineschule der Bundeswehr - mit Kippa. Zwar verlangt die jüdische Religion von Männern nur, die Kappe in der Synagoge und bei religiösen Handlungen zu tragen, aber mancher gläubige Jude setzt sie auch im Alltag nicht ab:

    Ich hab die Einstellung dazu, dass eigentlich nicht nur die Synagoge ein von Gott durchzogenes Gebäude ist, von seiner Präsenz durchzogenes Gebäude ist, sondern dass er die ganze Welt geschaffen hat und ist eigentlich überall präsent für mich.

    Gleiche Religionsfreiheit für alle, forderte Günter Schmitt anlässlich des Kopftuch-Streites in Bremerhaven:

    Wenn es nun religionsgesetzlich bei den Muslimen so vorgeschrieben ist, und sie identifiziert sich wirklich mit diesen religionsgesetzlichen Vorschriften, okay, dann soll sie es tun. Genauso wie die deutsche Gesellschaft es toleriert, wenn Kollegen und Kolleginnen von mir mit einem Kreuz um den Hals in den Unterricht gehen. Das ist ein anderes Material, das ist an einer anderen Stelle platziert, aber es ist doch auch ein Zeichen: Dazu stehe ich, dazu gehöre ich. Man muss doch erst mal den Beweis führen, ob ein Ansinnen hinter dem Kopftuch, hinter dem Kreuz, hinter der Kippah ein Ansinnen ist, was nicht vereinbar ist mit unserer Auffassung eines demokratischen gesellschaftlichen Lebens. Das muss man erstmal erfahren, wenn man das erfährt, dann muss man natürlich eingreifen und sagen: So nicht!

    Auf eine weitere Dimension des Konfliktes verweist die US-amerikanische Geschlechterforscherin Margot Badran: In allen männlich geprägten Kulturen wird der weibliche Körper anders bewertet als der männliche.

    In vielen Kulturen wurde und wird der weibliche Körper sexualisiert gesehen, als verführerisch und verlockend, während der männliche Körper nicht so gesehen wird. Als Folge dieser weit verbreiteteten Denkungsweise macht man sich mehr Gedanken über die Verhüllung des weiblichen Körper, weil er eher als sexuelle Bedrohung angesehen wird als der männliche. Daraus folgt, dass in konservativen Familien und in traditionellen Gesellschaften Frauen unter größerem Druck stehen, sich "angemessen" zu kleiden.

    Der weibliche Körper als Verlockung und Bedrohung findet sich auch in den heiligen Büchern von Judentum, Christentum und Islam. Denn alle drei Religionen entstammen männlich geprägten Kulturen. Wenn Frauen nun in solchen Religionen und Gesellschaften zu Hause sind, müssen sie sich an deren Vorschriften halten, wenn sie unbehelligt leben und ihrer Arbeit nachgehen wollen. Aber auch muslimische Frauen in liberalen Gesellschaften entscheiden sich für das Kopftuch: weil sie einer traditionellen Familie entstammen, weil sie in eine traditionelle Familie einheiraten oder weil ihre Lesart des Koran ihnen sagt, dass sie sich bedecken sollen. Das heißt aber nicht, dass sie deshalb unterdrückt sein müssen.

    Fereshta Ludin, die für das Recht, als Lehrerin Kopftuch tragen zu dürfen, bis vors Bundesverfassungsgericht zog, ist eine unabhängige Frau. Selbstbewusst begründet sie, wie sie dazu kam Kopftuch zu tragen. Selbstbewusst ist sie auch in ihrer Lebensweise: Nach der Heirat trägt sie weiterhin ihren Geburtsnamen und nicht den Namen des Mannes. Die Tochter betreuen sie und ihr Mann gemeinsam - auch das keine Selbstverständlichkeit hierzulande. Und ihren Beruf will sie ungehindert ausüben.

    Wenn Politiker, Behörden und Gerichte nun bestimmen, dass muslimische Frauen im Klassenzimmer keine Kopfbedeckung tragen dürfen, reihen sie sich ein in den langen Zug derjenigen, die Politik mit den Körpern von Frauen machen, erklärt Professorin Badran:

    Frauen gelten als Aushängeschilder der Gesellschaft, des Staates, der Nation und der Religion. Die meisten Frauen aber, die heute ein Kopftuch tragen - das habe ich an verschiedenen Orten erforscht - bedecken sich als Zeichen ihrer Frömmigkeit. Nur sehr wenige setzen es bewusst als politische Stellungnahme ein. Es ist also eine völlig verdrehte Wahrnehmung in unseren so genannten modernen, so genannten intelligenten westlichen Gesellschaften, diese Frauen an die Kandarre zu nehmen und ihnen politische Absichten zu unterstellen.

    Egal wie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lauten wird - die Frage, ob Kopftuch tragende Musliminnen an deutschen Schulen unterrichten dürfen, muss letztlich politisch beantwortet werden. Denn das höchste deutsche Gericht hat nur zu entscheiden, ob eine Lehrerin mit Kopftuch von einer Schulbehörde abgelehnt werden darf. Das Urteil wird nicht als Begründung dafür herhalten können, dass eine Lehrerin mit Kopftuch abgelehnt werden muss.