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Am Ende bleibt Ratlosigkeit

Im Mittelpunkt der Erzählung von Peter Truschner steht der Abstieg des Akademikers Robert, der nach der Trennung von Frau und Geliebter in die problematischen Randviertel des urbanen Lebens gleitet. Was den Stoff für eingehende Porträts gescheiterter Großstadtexistenzen geben könnte, kommt über eine oberflächliche Bescheibung nicht hinaus.

Von Ralph Gerstenberg | 24.08.2007
    Geträumt wird eigentlich recht wenig in Peter Truschners Roman "Die Träumer". Seine Protagonisten Iris und Robert sind eines jener kinderlosen Mittelstandspaare, die sich irgendwann im Laufe der Jahre abhanden gekommen sind. Iris macht Karriere als High-Society-Köchin mit eigenem Catering-Service, Robert arbeitet als Assistent an der Uni. Seine Affären mit Studentinnen sorgen im eingespielten Beziehungsalltag mit seinen "Gewohnheiten und Gewöhnlichkeiten" für den nötigen Ausgleich.

    Als seine derzeitige Geliebte, deren Körper er braucht, "um heil und besänftigt durch die Wochen zu kommen", plötzlich einen Schlussstrich zieht, rastet er aus, trinkt Tinte, attackiert einen Kollegen und wird schließlich gefeuert. Anschließend erkundet der nunmehr arbeitslose Akademiker mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination die Randzonen der Gesellschaft. Er lässt sich treiben und scheitert an seiner eigenen Unentschlossenheit - eine Figurenhaltung, die Peter Truschner heutzutage plausibler erscheint als die Entwicklungsmodelle des klassischen Bildungsromans:

    "Viele Romane könnten wirklich heutzutage wie aus dem 19. Jahrhundert sein, eben so Entwicklungsromane. Dem Robert geschehen einfach Dinge. Und die Wandlung, die viele gerne sehen wollen oder auf die viele warten, findet nicht statt. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Das ist genau das, was ich im Alltag auch beobachte."

    Die Angst, eigene Entscheidungen zu treffen, und die daraus resultierende Faszination für starke Persönlichkeiten wird Robert letztendlich zum Verhängnis. Von seinem Tod erfährt der Leser gleich zu Beginn des Romans. Roberts Frau Iris wird die traurige Nachricht erst etwas später, am Morgen nach einem erfolgreichen Promi-Bankett, von einer Männerstimme auf dem Anrufbeantworter mitgeteilt.

    Ihre anschließende Suche nach den Umständen, die zu Roberts Tod führten, bleibt ergebnislos. Erzähltechnisch tut sich Truschner damit gewiss keinen Gefallen. So muss er einen allwissenden Erzähler bemühen, der den Leser über die Einzelheiten von Roberts Ende informiert. Vielleicht wäre es wirkungsvoller gewesen, aus der Perspektive von Iris die Tatumstände zu rekonstruieren:

    "Spannender vielleicht, vielleicht auch irgendwie schlüssiger, vielleicht auch irgendwie emotionaler. Aber in Wahrheit sehe ich das nirgends. Das sind filmische Sehweisen der übleren Art, wie sie der Krimi mehr oder weniger ganz stark in die Köpfe der Menschen hineinpuscht. Wenn man also das Fernsehen aufdreht oder wenn man das Hollywoodkino sich anschaut, dann gibt es immer so einen filmischen Ermittlungsplot. Und irgendwelche Leute kommen dann drauf, und der Zuschauer klebt dran, und es gibt eine Auflösung, und irgendwie findet jemand zu sich oder findet heraus, was passiert ist. In Wahrheit geschieht das ja überhaupt nicht. In Wahrheit endet vieles nur in Ermattung. Oder man findet sich da rein, dass etwas vorüber ist, oder man findet nichts als einen großen leeren Schmerz über die ganze Sache. So enden Dinge, so banal, so traurig und so unaufgeklärt enden sie in Wahrheit."

    Der 39-jährige, in Berlin lebende Österreicher Peter Truschner, der vor sechs Jahren mit dem Roman "Schlangenkind" vielbeachtet debütierte, erfüllt fast vorbildlich die Forderung der von der neuen deutschen Befindlichkeitsprosa gelangweilten Literaturkritik nach Berichten von so genannten sozialen Brennpunkten. Er schickt seine Hauptfigur in die Außenbezirke einer namenlosen Stadt, die aber in sämtlichen Details sehr an Berlin erinnert.

    Robert taucht ein in ein Milieu, in dem die Hoffnungslosigkeit im Alkohol ertränkt wird, Gewalt unter Kindern an der Tagesordnung ist und Jugendliche in Suppenküchen von Führern paramilitärischer Wehrsportgruppen rekrutiert werden. Peter Truschner hat zweieinhalb Jahre im Berliner Problemkiez Wedding gelebt und legt Wert darauf, dass er die in seinem Roman beschriebenen Randzonen der Gesellschaft aus eigener Erfahrung kennt:

    "Die meisten fahren eigentlich eher dran vorbei, lesen im Feuilleton drüber oder gruseln sich bei irgendeiner ZDF-aktuell-Reportage im Monitor. Aber ich habe noch die wenigsten sich dort aufhalten sehen. Das klingt jetzt ein bisschen hochmütig, aber es ist manchmal ganz lustig, wenn man sich sagen lassen muss, man habe als Autor doch eine sehr komfortable Situation und könne da so allwissend über diese Phänomene schreiben. Nur bei mir ist es halt so, ich habe wirklich dort gewohnt. Und ich glaube an manchen Stellen, wie etwa bei der Szene, wo die Muslime und die Trinker auf diesem Platz aufeinander stoßen oder wo Robert mit den ethnischen Einwanderern Fußball spielt, da merkt man auch, dass das schon ziemlich genaue und minutiöse Beobachtungen sind und nicht nur einfach etwas, was ich mir in einer Art Unterschichtsgruselfantasie ausgemalt habe."

    Doch trotz guter Beobachtungen überträgt sich die Distanz, mit der Truschner dies alles schildert, auf den Leser. Viele Leerstellen in der Erzählung führen dazu, dass Roberts anfängliche Verführbarkeit durch einen gefährlichen Charismatiker und sein späterer Befreiungsschlag eher verwundern, als dass sie nachvollziehbar erscheinen. Hinzu kommt Truschners metaphernschwangere, nicht immer treffsichere Sprache. Da kehren Gedanken in Roberts Kopf zurück "wie Ameisen, die sich kurzfristig in einem fremden Bau verirrt hatten". Zwei Seiten später sind eben jene Gedanken richtungslos "wie unfrisiertes Haar über einem verschlafenen Gesicht".

    "Ich bin immer jemand gewesen, der lieber überwältigt wurde. Ich wollte eigentlich immer wissen, was hat der andere für Bilder im Kopf? Ich muss aber auch gestehen, das eine oder andere Bild ist vielleicht redundant, oder das eine oder andere Bild geht vielleicht ins Leere. Aber das muss man riskieren. Also, das ist erst mein zweites Buch, und ich bin da erst am Anfang bei der Entwicklung dieses Stils."

    In seinem Roman "Die Träumer" vermeidet Peter Truschner konkrete Details, etwa bei der Beschreibung eines vermeintlich rechten Fanatikers, der orientierungslose Jugendliche in einem Sattelitenstadtteil für seine diffusen Zwecke funktionalisiert. Die Schilderungen bleiben meist sehr allgemein, schwankend zwischen Sozialstudie, Beziehungsbeobachtung und Gesellschaftsanalyse. Truschner will einfach zuviel und sich dabei auf zu wenig festlegen lassen. So bleibt am Ende vor allem Ratlosigkeit.

    Peter Truschner: Die Träumer
    Zsolnay Verlag, 256 Seiten, 19,90 Euro.