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"Am Ende dafür zahlen muss immer der Verbraucher"

Kaum ist der Atomausstieg verkündet, hagelt es Kritik von der Industrie und der Opposition. Martin Cames hält die diversen "Horrorszenarien" für überzogen, räumt aber ein: Strom wird teurer werden.

Martin Cames im Gespräch mit Reinhard Bieck | 31.05.2011
    Silvia Engels: Die Bundesregierung will bis 2022 aus der Kernkraft in Deutschland aussteigen. Diese Ankündigung einer radikalen Energiewende beherrschte gestern die Schlagzeilen. Zudem kündigte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer überraschend an, offen für die neue deutschlandweite Suche nach einem Atomendlager zu sein, also auch in Bayern. – Darüber sprach gestern mein Kollege Reinhard Bieck mit Martin Cames, er ist Bereichsleiter Energie und Klimaschutz des Öko-Institutes in Berlin. Wie würde sein Institut das Problem der Endlagerung angehen?

    Martin Cames: Wir hoffen ein Stück weit, dass es etwas entspannt, wenn ganz klar ist, dass es einen Ausstieg gibt, und insbesondere auch die Suche noch mal ergebnisoffen oder zumindest ergebnisoffener durchgeführt wird. Letztendlich irgendwo müssen wir einen Platz finden, wo wir diesen Nuklearmüll lagern können langfristig. Also insofern, ich denke, diese Wende in der Energiepolitik, weg vom Atom, bringt zumindest auch in dieser Hinsicht neue Perspektiven.

    Reinhard Bieck: Sie sprechen von einer Wende. Wir haben aus Berlin gehört, dass Angela Merkel nicht weniger als ein neues Zeitalter der Energieversorgung angekündigt hat. Aber wir wollen noch mal festhalten: Fast 80 Prozent unseres gesamten Energiebedarfs wird mit Öl, Erdgas, Stein- und Braunkohle gedeckt, und daran ändert sich auch nichts. Wie kann man denn da von einem neuen Zeitalter sprechen?

    Cames: Wir haben natürlich sozusagen auch weitere Nutzung der fossilen Energieträger, aber die sind ja auch insbesondere in der Stromerzeugung gedeckelt durch den Emissionshandel. Und dort haben wir im europäischen Zusammenhang einen langfristigen Ausstiegspfad, gewissermaßen kann man das auch so nennen. Bis 2050 werden dort die Emissionen um 80 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert. Also hier bringen andere Instrumente entsprechenden Druck in Richtung Energiewende, hin zu einer nicht fossilen Wirtschaft.

    Bieck: Aber wie beurteilen Sie die Kritik von BDI-Präsident Hans-Peter Keitel, der von einem Ausstiegsszenario ohne Netz und doppelten Boden spricht?

    Cames: Das halte ich für deutlich überzogen, gerade im Moment. Ich meine, gut, wir haben jetzt keine Wintersituation, aber es zeigt sich doch, dass wir auf diese AKW derzeit im Moment nicht angewiesen sind, und wir haben das geprüft in unseren Studien, wir haben hinreichend Reserven in Deutschland und wir sind darüber hinaus nicht isoliert, sondern in einem europäischen Verbund. Also ich sehe dieses als ein Horrorszenario, das letztendlich umgekehrt keinen Grund und Boden hat.

    Bieck: Jetzt gibt es aber von der anderen Seite auch Kritik. Die Grünen befürchten ja, dieses eine AKW, das da noch als Reserve in Betrieb bleiben soll, das sei so ein Hintertürchen dann doch wieder in die Atomenergie. Sehen Sie das auch so?

    Cames: Da wäre ich vorsichtig, weil wir ja auch an anderer Stelle noch AKW laufen haben. Wir haben das Problem, dass wir tatsächlich nicht völlige Transparenz haben, die wir eigentlich nötig hätten, um das genau beurteilen zu können. Wir können nicht völlig ausschließen, dass es tatsächlich zu Engpässen im süddeutschen Raum kommt. Aber insofern würde ich diesen einen Punkt nicht so dramatisch bewerten.

    Bieck: Ich möchte mich hier nicht zum Fürsprecher der Energiemultis machen, aber eines muss man doch auch mal sehen: Den vier Großen ist letztes Jahr mit der Aussicht auf eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke die Brennelementesteuer regelrecht abgerungen worden. Ende Mai heißt es jetzt, April, April, aber die Steuer bleibt. Finden Sie das richtig?

    Cames: Das finde ich durchaus richtig, weil die AKW laufen ja auch weiter und die Erträge, also die, die weiterlaufen, werden ja auch nur besteuert. Es wird ja sozusagen nicht die Steuer erhoben für alle AKW, sondern eben nur die, die weiterlaufen, und die bringen doch erhebliche Erlöse für die Betreiber, und dort eben die entsprechenden Erlöse zum Teil wenigstens abzuschöpfen, halte ich für durchaus richtig, insbesondere weil diese Beträge ja auch nötig sind, um eben die Hinterlassenschaften der Atomkraftwerke zu beseitigen beziehungsweise zu behandeln, gewissermaßen zu lagern.

    Bieck: Wo wir jetzt gerade bei den Kosten sind. Die Bundesregierung hat noch mit keinem Wort erwähnt, wie sie diese Energiewende bezahlen will. Was glauben Sie denn, was wird das Ganze kosten und wer wird am Ende dafür zahlen müssen?

    Cames: Gut, am Ende dafür zahlen muss immer der Verbraucher, das ist selbstverständlich. Aber auch hier, denke ich, wird oft übertrieben und von horrenden Kosten gesprochen. Wir gehen davon aus, dass die Strompreise tatsächlich steigen werden, aber in geringem Umfang zunächst auf jeden Fall. Hintergrund ist der: Erstens ist die Erzeugung nur ein Drittel ungefähr der gesamten Stromkosten, zum Teil sogar noch geringer, und zum zweiten bildet sich ja der Strompreis nicht allein durch den Durchschnitt, sondern am teuersten Kraftwerk, und wenn jetzt sozusagen noch teurere Kraftwerke hinzukommen, dann ändert sich das um die Differenz zwischen dem derzeit teuersten und dem zukünftig teuersten Kraftwerk, aber nicht zwischen dem Durchschnitt und dem teuersten Kraftwerk. Insofern: Hier wird ein Stück weit übertrieben und man kann sicherlich nicht behaupten, es würde keine Preiseffekte geben, aber sie werden nicht so drastisch sein.

    Bieck: Manche erhoffen sich von dieser Energiewende ja auch, damit werde die monopolartige Stellung dieser vier großen Konzerne beendet. Erkennen Sie denn bei den Plänen der Bundesregierung solche Ansätze in Richtung Dezentralisierung?

    Cames: Die kann ich derzeit so nicht erkennen. Ich glaube, da müsste letztendlich insbesondere im Bereich Netze etwas mehr passieren. Ich glaube, hier ist auch das gesamte Konzept recht dünn. Wir brauchen entsprechende Anreize für den Ausbau von Netzen, und dafür müssen wir ein entsprechendes Marktdesign haben, und da sagt das Konzept bisher relativ wenig.

    Bieck: Fest steht: Wir brauchen neue Stromtrassen und vor allem Speichertechnik. Aber es zeigt sich doch schon heute, dass Anwohner keine neuen Strommasten oder Pumpspeicherkraftwerke vor der Nase haben wollen. Der grüne Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, der sagt, für den Klimaschutz müssen Abstriche bei der Ästhetik in kauf genommen werden. Stimmen Sie dem zu?

    Cames: Im Prinzip ja. Es ist immer unschön, etwas so direkt vor der Nase zu haben, und insofern ist natürlich auch der unmittelbare Impuls, dagegen zu sein, durchaus nachvollziehbar. Aber ich glaube, da muss manchmal auch das einzelne Interesse etwas zurückstehen.

    Engels: Martin Cames, Bereichsleiter Energie und Klimaschutz am Öko-Institut in Berlin, im Gespräch mit meinem Kollegen Reinhard Bieck.

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