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Am Potsdamer Platz
Der größte Kühlschrank Berlins

14 Kilometer Kühlleitungen, 15 riesige Kältemaschinen, die jährlich 150.000 Kubikmeter Wasser verdampfen lassen - das sind die Fakten zu Deutschlands größter Kältezentrale. Sie steht mitten in Berlin und versorgt viele prominente Gebäude mit Kühlung - angeblich weitaus effektiver als viele einzelne Klimaanlagen.

Von Thomas Weinert | 03.08.2017
    Eine Figur in Form eines Technikers scheint in Berlin über eine überdimensionale Leiter die Kältezentrale der Vattenfall Europe Wärme AG im Vordergrund der Hochhäuser des Potsdamer Platzes zu erklimmen.
    Die Kältezentrale Berlins. Mit der Gesamtanlage können 10.000 Büros und 1.000 Wohnungen mit einer Kühlkraft von 44 Megawatt oder ca. 500.000 Kühlschränken klimatisiert werden. (dpa/ Tobias Kleinschmidt )
    Stresemannstraße in Berlin, ganz in der Nähe zum Potsdamer Platz. In Sichtweite des Abgeordnetenhauses lehnt eine überdimensionierte Leiter an einer Hausfassade, die von außen nicht viel anders aussieht als die sechsstöckigen Bürogebäude drumrum. Eine überlebensgroße Figur, ein Arbeiter im Blaumann mit Schutzhelm, steigt auf dieser Leiter Richtung Dach. "Vattenfall" steht in großen Lettern daneben und ein Spruch, der von großem Engagement zeugen soll für die Energieversorgung Berlins. Um Werbung zu machen, hätte der schwedische Staatskonzern aber auch nur die Türen weit aufmachen können, um seinem Namen alle Ehre zu machen:
    "Ja, wir gehen jetzt gleich in unsere Kühltürme rein und wichtig ist, dass man hier am Potsdamer Platz die Geräuschemissionen im Außenbereich niedrig hält, daraufhin haben wir hier umfangreiche Schallschutzmaßnahmen aufgewendet und Sie werden gleich merken, warum, weil wir jetzt in den Kühlturmbereich reingehen – es wird schon lauter – und Sie hören, wie hier das Wasser verrieselt in diesem Kühlturm."
    "Ja, das sieht aus wie ein ziemlich monströser Tropenregen und unten, wo das Wasser ankommt, schäumt es auch ein bisschen und man merkt auch die Kühle hier..." Was der Sinn des Ganzen wäre. Gerhard Plambeck steht quasi im Herzen des größten Kühlschranks von Berlin: hinter langen Metallpanelen rauscht das Wasser in die Tiefe, Ventilatoren saugen Luft an, Verdunstung sorgt für Abkühlung, wie im Kühlschrank zu Hause, nur in etwas anderen Dimensionen."
    Kältenetz für die Hochhäuser auf der einstigen Brache
    Plambeck, ein freundlicher Mann in mittleren Jahren, ist der Chef hier, und er kann viel erzählen über diesen riesigen Kühlschrank mitten in der Stadt, in Deutschland in dieser Form einzigartig. Vattenfall hatte nach der Wende eine Ausschreibung gewonnen, mit der die Stadt Berlin jene Brache, die wieder zum Potsdamer Platz werden sollte, energetisch fit machen wollte für die Zukunft. Eine einmalige Chance, auf dem einstigen Niemandsland zwischen Ost und West nicht nur Fernwärme- und Elektrizitätsversorgung sicherzustellen, Berlin wollte auch ein Kältenetz, das die geplanten Hochhäuser versorgt:
    "Diese Ausschreibung hat damals unser Unternehmen gewonnen mit dem Konzept Aufbau einer GuD Anlage, das heißt eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks im Kraftwerk Mitte, drei Kilometer entfernt hier vom Potsdamer Platz. Von da wird Strom erzeugt und die Fernwärme. Die Fernwärme kommt hierher und hier am Potsdamer Platz, an diesem Standort, wo wir jetzt sind, wurde eine Kälteanlage konzipiert und ein Kältenetz, was die ganzen Kunden am Potsdamer Platz versorgt."
    Projektmanager Gerhard Plambeck steht  in Berlin an einer  Kältemaschine.
    Projektmanager Gerhard Plambeck: "Jede Kältemaschine wird von uns so gefahren, dass sie im optimalen Wirkungsgradbereich ist." (dpa/ Tobias Kleinschmidt )
    Mit der Energie der Fernwärme und inzwischen 15 Kältemaschinen sorgt Plambeck mit seinem Team für kühle Köpfe zum Beispiel bei der Deutschen Bahn in ihrem gläsernen Tower direkt am Potsdamer Platz, aber auch im Gropiusbau, auch umliegende Einkaufszentren und Privatwohnungen gehören zu den Abnehmern.
    Von Staatsbibliothek über Philharmonie bis Abgeordnetenhaus
    Hinter schweren Metalltüren die Leitwarte dieser riesengroßen Klimaanlage, ein schlichter Raum mit Tischen und Bildschirmen. Bilder von Überwachungskameras und Systemgrafiken.
    "Und hier an diesem grünen Ring, das sind die Außenkonturen vom Potsdamer Platz und die äußersten Kunden, also wir sehen hier zum Beispiel die Kanadische Botschaft im Norden." "Und wir sehen hier auch die Staatsbibliothek, die Philharmonie, das Kulturforum, also wir haben hier sehr prominente Kunden: neben dem Bundesrat natürlich auch das Abgeordnetenhaus von Berlin." "Also, wenn die sich heiß diskutieren im Plenarsaal, dann kühlen Sie die ab!?" "Ja, genau!"
    14 Kilometer lang sind inzwischen die Kühlleitungen, die unter den Straßen der Umgebung liegen und Mensch und Maschine das Arbeiten im Sommer erleichtern. Insbesondere die Großrechner der Umgebung benötigen Kühlung, immer mehr bei stets steigender IT-Leistung. Gerhard Plambeck erklärt, warum eine einzige Kühlanlage da sehr viel umweltfreundlicher ist als einzelne Klimaanlagen in jedem Gebäude:
    "Also, wir haben hier 15 Kältemaschinen. Jede Kältemaschine wird von uns so gefahren, dass sie im optimalen Wirkungsgradbereich ist. Wenn man jetzt individuell ein Haus hat und man hat eine oder zwei Kältemaschinen, dann ist die zu 95 Prozent des Jahres außerhalb des optimalen Wirkungsgradbereichs. Das heißt: Wir können hier viel effektiver, also mit weniger Energie Kälte erzeugen, als es jeder individuelle machen könnte mit einer kleinen Anlage."
    Über den Dächern des Potsdamer Platzes
    Um sich den Umfang des Kältenetzes besser vorstellen zu können, geht es auf einer luftigen Wendeltreppe außen am Gebäude hoch hinaus auf das Dach der Anlage: vorne Gerhard Plambeck, hinter dem nicht ganz schwindelfreien Reporter der Pressesprecher von Vattenfall. Als Belohnung ein Blick von der Spree bis zum Leipziger Platz, auf dem Dach die Lüftungen der Kühltürme:
    "Das geht, Herr Weinert?" "Jaja, ich konzentriere mich auf mein Mikrofon…"
    "… und im hinteren Bereich den Debis-Bereich, also alles, was zum Potsdamer Platz gehört und im Vordergrund das Sony-Center und das Beisheim-Center und das Einkaufscenter LP12." "Und Mall of Berlin auch, glaube ich?" "Ja, genau…"
    150.000 Kubikmeter Wasser verdunsten jedes Jahr auf dem Dach dieser Anlage.
    Weltweit mehr Energie zum Kühlen als zum Heizen
    Wieder zurück im Innern des Gebäudes erklärt Plambeck an blauen Rohranlagen, wie dieser Verlust ausgeglichen wird:
    "Wir gehen mal etwas Näher ran, damit wir das Rauschen auch wahrnehmen können hier, in diesem Bereich, wird das Wasser nachgespeist, nämlich das Wasser für unsere Kühltürme, nämlich das Wasser, das verdunstet wird, müssen wir ja auch wieder nachspeisen, und das machen wir hier über diese Armaturen und Leitungen."
    Wenn die Rohre schwarz sind und mit weichem Isolationsmaterial überzogen, dann ist der Weg nicht mehr weit unter die Straßen der Umgebung, maximal 400 Meter sind die Kunden weg, die nun sechs Grad kaltes Wasser zugepumpt bekommen: Hier in Deutschland eine Besonderheit, weltweit wird inzwischen weit mehr Energie aufgewendet zum Kühlen als zum Heizen.
    "Also bis jetzt sind wir noch nicht an unsere Auslastungsgrenze gekommen. Das heißt, wir haben noch Reserve nach oben." "Also für den Klimawandel ist vorgesorgt?" "Ja, so kann man das vielleicht auch nennen. Bzw. es ist noch Reserve für weitere Kunden da. Aber wir merken, dass über die Jahre hin kontinuierlich der Kälteabsatz gestiegen ist. Ob das jetzt auf den Klimawandel zurückzuführen ist oder dass immer mehr Kunden dazugekommen sind, das kann ich Ihnen auch nicht sagen."