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Am Tropf der EU

8,4 Milliarden Euro soll Deutschland dem Hilfspaket für Griechenland beisteuern. Professor Max Otte, Finanzwissenschaftler der Fachhochschule Worms, sagt, es wäre verkraftbar, eine Staatsinsolvenz in Griechenland zuzulassen.

Max Otte im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.04.2010
    Sandra Schulz: Junk oder Ramsch, in dieser Kategorie läuft Griechenland jetzt bei der Ratingagentur Standard & Poor's. Übersetzen kann man das mit "jetzt kommt das Land nicht mehr nur schwer an Kredite, sondern faktisch gar nicht mehr". Thema heute in Athen, Thema für ganz Europa, darum wächst auch der Handlungsdruck weiter, in Berlin auch und gerade auf die Bundesregierung, denn 8,4 Milliarden Euro soll Deutschland dem Hilfspaket ja beisteuern. Am Nachmittag diskutiert das Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Vorsitzenden der internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen, und auch wenn das offiziell nicht auf der Themenliste stand, auch das Kabinett kommt an dem Thema natürlich nicht vorbei. In Griechenland wird die Lage jetzt also noch schwieriger. Der offizielle Hilferuf nach Europa kam ja schon Ende vergangener Woche. Aber jetzt schwört Ministerpräsident Papandreou seine Landsleute auf die härteste Zeit seit Jahrzehnten ein, denn er weiß, wie viel von den Sparbemühungen in seinem Land abhängt. Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Professor Max Otte, Finanzwissenschaftler der Fachhochschule Worms und Autor des Buches "Der Crash kommt!". Guten Tag!

    Max Otte: Guten Tag, Frau Schulz.

    Schulz: Herr Otte, die Bundesregierung hat bisher ja auf die strengen Bedingungen für die Nothilfe gepocht. Erst müsse das dreijährige Sparprogramm stehen, dann könne man über die Milliarden-Hilfe sprechen. Ist für diese Haltung jetzt überhaupt noch Zeit?

    Otte: Das ist in der Tat ein Erpressungsversuch beziehungsweise es ist so viel Druck durch die Kapitalmärkte aufgebaut worden, dass es immer schwieriger wird, aber im Prinzip kann ich die Haltung natürlich verstehen. Die Situation ist in der Tat jetzt brenzlig. Aber mal schauen, ob die Bundesregierung das Rückgrat hat, das durchzustehen. Ich denke, eher nicht.

    Schulz: Sie sagen, Erpressungsversuch. Ist die Bundesregierung nicht auch tatsächlich erpressbar?

    Otte: Nein, letztlich nicht, nur moralisch. Deutschland hat eine gute wirtschaftliche Position. Es wäre letztlich natürlich kein Problem – kein Problem ist natürlich zu einfach, aber es wäre verkraftbar -, eine Staatsinsolvenz in Griechenland zuzulassen. Das ist durchaus eine Option. Natürlich würde dann die Hypo Real und andere deutsche Banken ein Problem bekommen, aber dann kann man ja immer noch stützen in der zweiten Reihe. Man darf diese Option nicht völlig vom Tisch wischen. Die Griechen haben unsolide gewirtschaftet. Von daher soll man zumindest darüber nachdenken dürfen.

    Schulz: Also sind die Szenarien, dass eine Staatsinsolvenz einer zweiten Finanzkrise gleich käme, zu schwarz gemalt?

    Otte: Es wäre natürlich schon eine Sache, die die Weltwirtschaft zu verdauen hätte, sie würde natürlich schon Probleme aufwerfen. Aber auf der anderen Seite wäre es auch das richtige Signal, um von der unsoliden Schuldenpolitik der letzten Jahrzehnte irgendwo wieder runterzukommen, denn sonst dreht sich die Spirale immer weiter. Im Moment wird der Euro gerade von einer Stabilitätsgemeinschaft zu einer Inflationsgemeinschaft und genau unter diesen Vorzeichen hätte Deutschland den EU-Vertrag nicht unterschrieben, und jetzt wird es genau umgedreht. Wir bekommen genau das im Euro, was wir niemals wollten.

    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf die Entwicklung seit gestern Abend schauen. Warum entscheidet eine Ratingagentur über Gedeih und Verderb eines Landes?

    Otte: Ja, das ist in der Tat natürlich eine erstaunliche Sache und letztlich ist ja die ganze Griechenland-Krise und auch die Krise der südeuropäischen Staaten ein Ablenkungsmanöver der wirklich schuldigen: das sind England und die USA. Die Haushalte in England und den USA sind nicht besser als die der südeuropäischen Staaten. Man hat also schnell PIIGS erfunden, um dort die Diskussion zu eröffnen, und wenn dann gegen ein Land spekuliert wird, sucht man natürlich sich das kleinste und schwächste aus – das war in dem Fall Griechenland -, und jetzt raten auch noch die angelsächsischen Ratingagenturen, muss ich dazu sagen, prozyklisch die Finanzen hinunter, erhöhen also den Druck, und das ist schon ein erstaunliches Zusammentreffen, eine erstaunliche Entwicklung.

    Schulz: Aber sind die Märkte nicht einfach nur ehrlich?

    Otte: Nein. Märkte übertreiben grundsätzlich, in die positive Richtung wie auch in die negative. Griechenland hat natürlich riesen Probleme, aber Anleihenzinsen von 13, 14 Prozent, die spiegeln eigentlich die Panik wider. Mit einem harten Sparprogramm, wie es der IWF zum Beispiel verordnen würde, gestützt mit einigen neuen Krediten, dürfte Griechenland durch die Krise kommen, wenn man das hart anpackt und vernünftig saniert.

    Schulz: Jetzt ist das Hilfspaket ja im Gespräch. Für die deutsche Lösung pochen jetzt immer mehr Bundestagsfraktionen auch darauf, die Banken oder den privaten Sektor zum Teil auch mit in die Pflicht zu nehmen. Ist das die richtige Konsequenz?

    Otte: Das wäre die richtige Konsequenz, es ist nur technisch sehr schwer machbar. Da wäre in der Tat zunächst einmal die Staatsinsolvenz das bessere. Dann müsste der Staat sagen, ich kann nicht zahlen, also Griechenland, und dann müssten die Gläubiger ihre Forderungen offenlegen und dann würde über eine Teilquote verhandelt, wie das ja auch im Pariser Club in den 80er-, 90er-Jahren gemacht wurde, wenn es um die lateinamerikanischen Länder ging. Also wenn ich schon sage, ich beteilige den privaten Sektor, dann bin ich fast bei der Staatsinsolvenz.

    Schulz: Als Gegenargument wird die sogenannte nukleare Option gehandelt, was auch wieder negative Konsequenzen für den Markt, für den Sektor hätte. Können Sie uns erklären, was dahinter steckt?

    Otte: Die nukleare Option kann ich in der Form nicht interpretieren. Da denke ich, das ist ein Modewort, was in der Form im Moment nicht weiter zu kommentieren ist.

    Schulz: Professor Max Otte, wären wir in der gleichen schwierigen Lage, wenn die Staatengemeinschaft, wenn die internationalen Staaten nach Ausbruch der Krise wahr gemacht hätten, was sie angekündigt hatten, nämlich die Finanzmärkte besser zu regulieren?

    Otte: Ja. Ich denke, die Griechenland-Krise hätte uns dennoch erwischt, denn das ist ja ein strukturelles Problem. Die Griechen haben einfach zu viel ausgegeben und nicht genug eingenommen und haben am EU-Tropf gehangen, und es ist ja auch kein Geheimnis, dass die Wirtschaft in vielen Fällen korrupt ist und dass dort strukturell etwas geändert wird. Es wäre nur so, dass auf Dauer natürlich diese Spekulationen auch gegen Länder, dieses Wolfsrudelprinzip, wo sich im Prinzip alle großen Finanzinstitutionen spekulativ auf den Schwächsten stürzen, da nimmt man sich den vor und dann nimmt man sich den nächsten vor, diese Art von Spekulation, die könnte man durch Regulierung eindämmen. Aber Griechenland hätte selbst dann sicherlich etliche Hausaufgaben zu machen.

    Schulz: Und Portugal ist dann das nächste Opfer?

    Otte: Ja, in der Tat. Wir müssen mal schauen, wie das jetzt hier ausgeht. Die Ratingagentur hat das ja vorsorglich auch gleich mit runtergeratet, so dass noch eine zweite Angriffsfläche ist. Mich wundert immer, dass England und Amerika nicht runtergeratet werden. Amerika hat ein Haushaltsdefizit von nahezu 13 Prozent des Bruttosozialprodukts. Die führende westliche Wirtschaft ist genauso schlimm wie Griechenland, der absolute Schuldenstand noch nicht. Da sieht man, dass die Märkte doch sehr selektiv vorgehen, gerade nach Modethemen, oder sich auf ein Opfer sozusagen stürzen, und das könnte man durch Regulierung natürlich schon etwas verhindern und kanalisieren.

    Schulz: Sie sagen ja gerade, Sie verstehen es selbst nicht, warum dort mit zweierlei Maß gemessen wird. Was könnte denn eine Erklärung dafür sein?

    Otte: Das ist Interessenpolitik. Die Ratingagenturen sind angelsächsisch und man hat ja nun auch das Disaster mit verursacht und jetzt lenkt man ganz gerne die Aufmerksamkeit auf neue Krisen und hofft, dass da die Diskussion entsteht und nicht im eigenen Land, und das scheint ja auch zu funktionieren.

    Schulz: Jetzt kommen natürlich wieder viele Nachrichten zusammen. Wir haben gestern gelernt, dass die Deutsche Bank 2,7 Milliarden Euro im Bereich des Investmentbankings verdient hat. Warum muss das möglich sein?

    Otte: Das ist in der Tat so lange möglich, wie sie die Finanzmärkte nicht regulieren. Da ist ja relativ wenig passiert. Solange wie sie extrem volatile, also schwankende Finanzmärkte haben, wird es auch immer Player geben, die im Investmentbanking viel Geld verdienen, und natürlich wäre es gut, den hypertrophen Finanzsektor, insbesondere den Investmentbanking-Sektor zurückzudrängen. Wir brauchen Investmentbanking, aber wir brauchen es nicht in dieser Menge und Masse. Da ist aber wie gesagt noch wenig passiert in der Regulierung.

    Schulz: Jetzt haben wir seit Ausbruch der Krise 2008 immer wieder die Frage aufgeworfen, ob wir uns jetzt gegen die Krise schützen, wie wir sie erlebt haben, ob die Krise nicht vielleicht in neuer Gestalt wiederkommt. Ist das genau jetzt der Fall?

    Otte: Natürlich! Das ist jetzt sozusagen eine zweite Welle. Nachdem wir den Finanzsektor halbwegs stabilisiert haben, auf Kosten auch natürlich staatlicher Ausgabenprogramme und auf Kosten der Staatsschulden, geht jetzt der nächste Krisenherd los. Das sind eben in der Tat die Staatsschulden in besonders schwachen Ländern. Das ist alles noch nicht ausgestanden.

    Schulz: Wo führt das hin?

    Otte: Das müssen wir dann sehen. Noch ist es nicht so, dass die Weltwirtschaft wieder am Abgrund steht. Da war der Herbst 2008 schon etwas anders. Ich denke, selbst eine Staatsinsolvenz Griechenlands würde jetzt die Weltwirtschaft nicht völlig aus dem Ruder werfen. Aber wenn wir so weiterwirtschaften und eben auch die Staatsschulden kräftig hochfahren, dann könnte es irgendwann richtig problematisch werden.

    Schulz: Der Finanzwissenschaftler Professor Max Otte von der Fachhochschule Worms, heute in den "Informationen am Mittag" hier im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank.

    Otte: Vielen Dank.