Donnerstag, 28. März 2024

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Amateurfotografie-Ausstellung
Vom Bauhaus zu Instagram

Milliarden Smartphone-Besitzer halten ihr Leben in Schnappschüssen fest und teilen ihre Bilder in unzähligen Social-Media-Kanälen. Die Amateur-Aufnahmen sind zu einem zentralen Kommunikationsmedium geworden. Eine Ausstellung in Hamburg zeigt, wie alles anfing.

Von Andrea Richter | 04.10.2019
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"Dark Content" von Eva und Franco Mattes aus der Ausstellung "Amateurfotografie. Vom Bauhaus zu Instagram" ( © Eva und Franco Mattes)
"Der Schäferhund ist nicht mein favorisierter Hund, aber diese Frau fand ich ganz faszinierend." Esther Ruelfs, Kuratorin der Ausstellung über Amateurfotografie, steht vor einer drei mal drei Meter großen Wand-Installation mit unzähligen postkartengroßen Schäferhund-Porträts. "Und das ist eben eine Frau gewesen, deren fotografischen Nachlass wir hier haben, eine Amateurfotografin und die hat ja Hunderte, wenn nicht Tausende Fotos von Dixie ihrem Schäferhund gemacht. Das ist immer derselbe? Das ist immer derselbe und das ist immer ihr Hund. Von 1952 bis 1986, von dem Moment, wo sie diesen Schäferhund bekommt, bis zu seinem Tod."
600 Aufnahmen. Dicht an dicht, mehr oder weniger ordentlich aufgereiht, ein Bild rausgerutscht. Dixie macht Sitz. Dixie macht Platz, Dixie gibt Pfötchen. Analog, schwarzweiß, auf Pappe geklebt. "Der Amateur, als Liebhaber ist natürlich jemand, der mit seinem Gegenstand, den er fotografiert, ganz stark verbunden ist und diese Obsession kommt natürlich auch aus dieser Begeisterung für den Gegenstand, den er fotografiert."
Eine kleine Kamera macht's möglich
Die Geschichte der Amateurfotografie beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Verbreitung der Kodak Brownie Box. Mit der kleinen Kamera, die nur einen Dollar kostet, wird das Fotografieren erschwinglich und entwickelt sich zum Massenphänomen. Der Amateur, im Gegensatz zum Profi, der mit dem Fotografieren Geld verdient, sucht sich seine Motive im Alltag, auf Reisen, in der Familie.
An diesen laien- und oft fehlerhaften Aufnahmen der Amateure orientiert sich die Fotografie am Bauhaus. "Das Neue Sehen", wie László Moholy-Nagy es formuliert, will bewusst Regeln brechen, neue Perspektiven, neue Blickachsen und neue Motive finden.
Tulga Beyerle, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe, spannt mit der Amateurfotografie-Ausstellung einen Bogen vom Bauhaus zu Instagram: "Ich finde, dass, was diese Ausstellung auch zeigt, ist wenn das Bauhaus damals oder wichtige Protagonisten eben vor allem den Amateur als Inspirationsquelle herangezogen haben, weil er unverbildet ist, also weil er eben nicht als professioneller Fotograf ausgebildet wurde, und daher die Regeln entweder absichtlich, bewusst ignoriert oder gar nicht kannte, und das eigentlich zu dem Spannenden gemacht haben. Die professionelle Fotografie hat sich natürlich weiterentwickelt - aber trotzdem ist dieser Freiheitsbruch oder die Möglichkeit des Eröffnens einer neuen Freiheit geblieben."
Fotografie als Mittel zur Selbstermächtigung und Agitation
Die Arbeiterbewegung entdeckt in den 20er-Jahren die Fotografie als Mittel zur Selbstermächtigung und Agitation. In dieser kritischen Tradition versteht sich auch das Werkers Collective aus Amsterdam. Marc und Roger sitzen im Ausstellungsraum an einem zehn Meter langen Tisch mit einem weißen Baumwolltuch, darauf gedruckt Fotos und Texte über Hausarbeit, vier Stickrahmen, in denen erste Buchstaben ausgefüllt sind. Ein partizipatives Projekt, gestickte Bildkritik. Marc: "Wir haben eine Plattform im Netz, über die wir Leute dazu aufrufen, ihre Fotos zu Hausarbeit hochzuladen, um dann gemeinsam über deren politische Dimension nachzudenken."
Katzen und Protestgesten
Roger: "Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns für Handarbeiten interessieren – weil es sich um geschlechtsspezifische Arbeit handelt. Unser Projekt ist also im Kern feministisch. Unsere Sicht auf Hausarbeit ist eine feministische."
Die Ausstellungsarchitektur ist bewusst schlicht gehalten: weiße Lochplatten, einige Vitrinen. Ein Monitor mit Cat Content. Auf der bluescreenfarbenen Auslegeware sitzt Irene Chabr vor bunten Protest-Selfies, auf Karton aufgezogen und in Clustern gehängt. Auslöser zur Arbeit über Protestgesten war der Arabische Frühling, dessen Bilder im Netz eine ungeheure Macht entwickelten:
"Ich hab dann eigentlich ab 2014, 2015 systematisch angefangen zu untersuchen und auch zu sammeln, was gibt es eigentlich für Protestgesten im Netz und wie manifestieren sie sich? Das ist jetzt ein aktuelles Beispiel. Das bezieht sich auf die Proteste in Hongkong, die momentan aktuell sind. Und zwar hat eine junge Frau ihr Auge verloren bei den Protesten durch ein Geschoss von der Polizei. Man sah das dann auf den Straßenprotesten auch, dass viele ihr Auge abgeklebt hatten, und mit der Zeit sah man es dann auch in den sozialen Medien wirklich als Protest und das kursierte dann oder kursiert immer noch unter dem Hashtag #EyeForHongkong."
Geschichte der Demokratisierung des Mediums
Die Geschichte der Amateurfotografie ist auch eine Geschichte der Demokratisierung des Mediums. Museumsdirektorin Tulga Beyerle: "Ich finde auch eine interessante Frage, ob da wirklich eine neue Art der Fotografie entsteht. Gleichzeitig aber ist das Phänomen Internet- und Handyfotografie - macht Bewegungen deutlich, macht neue Codes deutlich, macht neue Selbstinszenierungen deutlich, die schon spannend sind für unsere Zeit, die sehr politisch auch sind."
Vom Bauhaus zu Instagram zeigt verschiedenste Aspekte der Amateurfotografie. Die Künstlerinnen Irene Chabr und das Werkers Collective zeigen in ihren Arbeiten mit Amateur-Material, Strategien sich der digitalen Bilderflut zu bemächtigen. Das macht Spaß und lässt hoffen.