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Amazon-Serie "The Man in the High Castle"
Dystopie für eine dystopische Welt

Nazi-Deutschland und Japan haben den Zweiten Weltkrieg gewonnen, die USA sind besetzt. Das ist der fiktive Ausgangspunkt der Amazon-Serie "The Man in the High Castle". Die zweite Staffel ist nun in Deutschland synchronisiert zu sehen. Eine düstere Dystopie, die kurz vor der Amtsübernahme von Donald Trump in einem anderen Licht erscheint.

Von Simone Schlosser | 13.01.2017
    Ein Taxi fährt am 25.11.2015 auf der New Yorker Third Avenue an einem umstrittenen Werbeplakat für die Serie "The Man in the High Castle" vorbei.
    Ab dem 13. Januar ist die zweite Staffel der Amazon-Serie "Man in the High Castle" in Deutschland in synchronisierter Fassung abrufbar. (dpa / picture alliance / Chris Melzer)
    Die neue Staffel von "The Man in the High Castle" beginnt in einer amerikanischen High School. Benannt nach dem deutsch-amerikanischen Nationalsozialisten Fritz Julius Kuhn. In Realität ein deportierter Landesverräter. In der Fiktion der Serie ein Nationalheld. Hier haben Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen und die Vereinigten Staaten unter sich aufgeteilt. Die Flagge ist nun Hakenkreuz und Stripes. Sieg Heil eine anerkannte Grußformel.
    "Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!"
    Solche Szenen hatten bereits in der ersten Staffel eine beklemmende Wirkung. Durch die Wahl eines Mannes, der sich öffentlich über Menschen mit Behinderung lustig macht und seine politischen Gegner mit antisemitischen Tweets diffamiert, verstärkt sich dieser Effekt. Plötzlich erscheint das alternativ-historische Setting in einem anderen Licht.
    "Ich sehe eine ganz grundsätzliche Veränderung in der amerikanischen Gesellschaft, weil die Leute Angst davor haben, was mit Donald Trump für eine Politik einziehen wird."
    Lars Schmeink ist Medienwissenschaftler und Gastprofessor an der Universität Cincinnati.
    "Die Erwartungshaltung ist tatsächlich ähnlich dessen, was die Serie transportiert. Nämlich dass eine starke Unterdrückung vorhanden sein wird, dass Minderheiten verfolgt werden, dass all die Freiheiten der Identity Politics womöglich wieder weggenommen werden."
    In der Fiktion von "The Man in the High Castle" leben Afroamerikaner versteckt in Gettos. Bücher wie "Die Abenteuer des Huckleberry Finn" sind verboten. Jazz und Blues nur über Piratensender zu empfangen.
    "So eine Musik kenne ich gar nicht." - "Natürlich, weil sie illegal ist. Zu viel von Negern beeinflusst."
    "Wir befinden uns in einer Zeit, die schon genau diese dystopischen Ausmaße annimmt. Da können Dystopien uns einfach helfen, zu zeigen, was wir anders tun könnten, und wie wir Dinge verändern. Da wäre natürlich die Hoffnung, dass wir irgendwann dazu kommen, das in eine Utopie zu überführen."
    Keine Serie, die fesselt
    "The Man in the High Castle" ist keine fesselnde Serie. Das Verhältnis zu den Figuren bleibt distanziert. Einige ihrer Handlungsentscheidungen wirken unplausibel. Doch wie wenige andere Drama-Serien regt "The Man in the High Castle" zum Nachdenken an. Die zweite Staffel hat ihre stärksten Momente immer dann, wenn die Figuren mit den Möglichkeiten eines moralischen Handelns in einer unmoralischen Welt konfrontiert werden:
    "Du musst wissen, alles, was ich tue, tue ich für die Familie. Damit unsere Kinder sicher sind." – "Für die Familie?" – "Unser Sohn ist krank."
    So etwa muss sich Nazi-General John Smith der Krankheit seines Sohnes stellen, dessen Leben vor dem Hintergrund der Euthanasie-Gesetze als wertlos gilt. Und Juliana Crane und ihr ehemaliger Verlobter Fred Fink versuchen als Teil der Widerstandsbewegung ihre Menschlichkeit zu bewahren:
    "Ich hätte nicht gedacht, dass ich in der Lage wäre, einen Mann zu töten. Das fühlt sich nicht gut an, auch wenn er Japaner war."
    Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem diktatorischen System
    Wie in jeder guten Dystopie geht es auch in "The Man in the High Castle" um die Suche nach einem Ausweg aus dem diktatorischen System. In der Serie sind es Filmrollen, welche die Figuren in alternativen Realitäten zeigen, und die von ihnen dazu genutzt werden können, um die Ereignisse in ihrer Welt zu beeinflussen.
    "Ich glaube, in diesem Spiel aus verschiedenen historischen Entwicklungsverläufen, liegt der Reiz der Serie. Das eben auszuprobieren und somit darauf hinzuweisen, dass es eine andere Möglichkeit gibt, als einfach nur hinzunehmen, wie die Politik im Moment gestaltet wird."
    Geschichten können die Welt verändern
    Die Metapher der Serie ist eindeutig: Geschichten können die Welt verändern. Das gilt insbesondere für Dystopien. Denn sie zwingen uns dazu, unsere Realität zu hinterfragen. Im Falle von "The Man in the High Castle" ist das unterhaltsam und schmerzhaft zugleich.
    "Da glaube ich tatsächlich, dass die veränderte Lebensrealität des 21. Jahrhunderts uns dazu hinführt, eine Art Science-Fiction-Repertoire zu benutzen, um die Welt zu verstehen. Wir werden die Science Fiction zu einem ganz normalen Kommunikationsmittel machen, weil wir damit einfach viel schneller und viel besser beschreiben können, wie unsere Realität aussieht."