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Amazonas
Frühe Besiedlung könnte Einfluss auf Biodiversität haben

Lange bevor der erste Europäer seinen Fuß in den Amazonas-Regenwald setzte, lebten dort indigene Völker. Wie viele Menschen dort siedelten, ist umstritten. Das Ausmaß könnte jedoch Auswirkungen auf die Biodiversitäts- und Klimaforschung haben. Eine neue Studie legt nahe, dass diese Menschen bis heute einen großen Einfluss auf die Region haben.

Von Dagmar Röhrlich | 03.01.2017
    Regenwald am Amazonas in Peru, aufgenommen am 05.10.2005
    Regenwald am Amazonas in Peru (Jose Alvarez/dpa)
    Der Amazonas-Regenwald ist nicht unberührt. Schon vor Jahrtausenden wurde dort Landwirtschaft betrieben. Die Spuren der Menschen zu finden, die in präkolumbianischer Zeit vor mehr als 500 Jahren dort siedelten, ist allerdings schwierig:
    "Anders als beispielsweise in den Anden bleiben im Amazonas-Regenwald archäologischen Artefakte nicht erhalten. Wir müssen vielmehr nach terra preta suchen, einem schwarzen Boden, der aus einer Mischung von Holz- und Pflanzenkohle besteht, Fäkalien und Kompost. Überhaupt: Wenn wir in den Sedimenten Holzkohle finden, wissen wir, dass Menschen dort waren, denn es brennt im Regenwald nicht."
    Auch Gräben und künstliche Hügel gäben Hinweise auf eine frühere Besiedlung, erklärt Crystal McMichael von der Universität Amsterdam. Die Hinweise sind also sehr versteckt und unter der dichten Pflanzendecke schwer auszumachen. Eine Sisyphusarbeit angesichts der Größe des Amazonasbeckens: Seine Fläche lässt sich mit der der Vereinigten Staaten vergleichen:
    "Deshalb haben wir aufgrund unserer eigenen Daten und der von Archäologen ein Vorhersagemodell entwickelt. Wir wollen aufgrund von Faktoren wie dem Abstand von Flüssen, Höhenlage oder auch Waldtyp prognostizieren, wo in diesem riesigen Becken aufgrund solcher Umweltfaktoren mit welcher Wahrscheinlichkeit früher einmal Menschen gelebt haben und wo nicht."
    Die Biodiversitätsforscherin spürt den Siedlungsgebieten aus einem besonderen Grund nach: Sie glaubt, dass die Studien zur Artenvielfalt und der Rolle des Amazonasbeckens im Klimasystem verzerrt sind. Der Grund: Die Menschen lebten, so erklärt sie, vor allem in leichter zugänglichen Bereichen - und genau da haben auch Ökologen und Biologen die meisten Studien durchgeführt.
    Artenvielfalt könnte höher sein als bisher angenommen
    "Kollegen von mir haben bemerkt, dass dort, wo einmal Menschen gelebt haben, mehr Paranussbäume wachsen und dass es dort mehr unterschiedliche Palmenarten gibt. Das heißt, die Ergebnisse von Biodiversitätsuntersuchungen könnten durch das Erbe früherer Besiedlung verfälscht sein. Wir müssten erst einmal erforschen, ob in den nicht vom Menschen beeinflussten Gebieten beispielsweise die Palmenvielfalt genauso hoch ist wie in dem beeinflussten."
    Diese Arbeiten laufen. Trotz der Verzerrung bei den Palmenarten könnte die wahre Artenvielfalt im Amazonasgebiet höher liegen als derzeit angenommen, erklärt Crystal McMichael: Schließlich seien die nachwachsenden Wälder vergleichsweise jung:
    "Eine für das Amazonasgebiet typische Baumart lebt durchschnittlich 400 Jahre. Manche können auch bis zu 1500 Jahre alt werden. Falls die Menschen in präkolumbianischer Zeit den Regenwald gerodet haben, um Landwirtschaft zu betreiben, sind seitdem erst wenige Baugenerationen aufgewachsen: Wir haben es in diesen Gebieten also nicht mehr mit einem ursprünglichen Wald zu tun."
    Folgen für die Klimaforschung
    Die mögliche Verzerrung durch das Zusammenfallen von alten Siedlungs- und neuen Studiengebieten hätte auch Folgen für die Klimaforschung:
    "Jüngere Wälder akkumulieren Kohlenstoff schneller als alte. Derzeit wird die Kapazität des Amazonasregenwalds als Kohlenstoffsenke aufgrund der Analyse von 200 Gebiete abgeschätzt. Wenn diese 200 Gebiete nicht für den natürlichen Wald stehen, sondern für einen, der vom Menschen beeinflusst worden ist, könnte die angenommene Speicherfähigkeit zu hoch sein. Wir sollten also unbedingt sicher unbeeinflusste Stellen untersuchen, um zu sehen, ob wir einen Unterschied finden."
    Offen wäre auch die Frage, wie schnell sich der Regenwald nach einer Störung wieder erholt. Dafür lässt sich in den alten Siedlungsgebiete ablesen, wie diese Erholung über die Jahrhunderte hinweg abläuft - und wie der Regenwald genutzt werden kann, ohne ihn vollkommen zu zerstören.