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"Amerika hat einen Schritt für sich selbst getan"

Wolfgang Ischinger, ehemaliger Botschafter in den USA und Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, sieht alle Voraussetzungen erfüllt, dass Barack Obama die europäischen Staaten wieder als wichtigste Partner erkennt und durch Konsens und Überzeugung führt. Die Aussetzung der Guantanamo-Verfahren sei ein wichtiges Indiz, dass die gemeinsamen Werte des Westens wieder beschworen würden.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Bettina Klein | 21.01.2009
    Bettina Klein: Im Studio in Berlin begrüße ich Wolfgang Ischinger. Er war von 2001 bis 2006 Botschafter in den USA und ist nun Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, die ja Anfang Februar wieder bevorsteht. Guten Morgen, Herr Ischinger.

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Ich frage Sie zunächst mal als ehemaligen Botschafter nach Ihrem Eindruck. Was bewirkt der Wechsel, den wir gestern in Amerika erlebt haben, für das Land?

    Ischinger: Für Amerika ist das ein historischer Einschnitt von Ausmaßen, die wir uns hier in Europa, glaube ich, nur bei großer Anstrengung überhaupt vorstellen können.

    Klein: Was meinen Sie damit?

    Ischinger: Noch im Frühjahr, noch im Sommer munkelten ja viele, viele amerikanische Analytiker und professionelle Beobachter, dass am Wahltag schließlich doch viele Amerikaner, selbst wenn sie vorher so etwas nie sagen würden, dann eben doch möglicherweise keinen Schwarzen wählen würden. Es hat sich herausgestellt, dass solche Spekulationen falsch waren. Amerika hat einen Schritt für sich selbst getan, der ein historischer Einschnitt ist. Ich glaube, dass man gar nicht abmessen kann, welche Freude, welcher Ruck durch das Land geht. Vergessen wir nicht, dass die Generation von Obamas Vater noch in einem Land lebte, in dem Schwarze nicht mit Weißen im selben Bus fahren konnten. Das ist für sich genommen, mal von allen außenpolitischen und internationalen Aspekten abgesehen, für das Land ein unglaublich bedeutsamer Schritt nach vorne, ich denke wirklich in die richtige Richtung.

    Klein: Sie sind durchaus auch persönlich berührt. Stimmt das?

    Ischinger: Ich bin persönlich auch berührt und beeindruckt. Ich bin, muss ich sagen, auch beeindruckt von der Nüchternheit, mit der der neue Präsident gestern Amerika auf die wirklich unglaublich schwierigen Aufgaben der nächsten Monate und Jahre hingewiesen hat. Wir hatten ja vor einigen Jahren hier in Deutschland auch die Debatte über eine Ruck-Rede, die man brauche. Das war eine Ruck-Rede.

    Klein: Herr Ischinger, wie sieht die neue Rolle der USA aus als Weltmacht unter dieser neuen Regierung, unter einem Präsidenten Obama, als mögliche Gestalterin einer neuen Weltordnung, oder ist es mit diesem Anspruch, was dieses Land angeht, komplett vorbei?

    Ischinger: Nein, das denke ich überhaupt nicht. An den Fakten, an den Tatsachen ändert sich ja zunächst überhaupt nichts. Amerika war, ist und bleibt auf absehbare Zeit die mit Abstand, mit riesigem Abstand größte, wahrscheinlich die einzige, wirklich global handlungsfähige Militärmacht. Es ändert sich auch nichts an den Problemen, vor denen wir stehen. Das Nahost-Problem ist genauso virulent wie es war. Die ungelöste Iran-Frage belastet uns alle. Das heißt, an den Tatsachen und Problemen ändert sich ja gar nichts.

    Aber durch den Wechsel im Präsidentenamt hat die amerikanische Politik die Chance, das zu tun, was der amerikanische Altmeister Kissinger immer wieder amerikanischen Regierungen gepredigt hat, nämlich Führen nicht durch militärische Stärke, sondern Führen durch Stärke, die sich aus Konsensbildung ergibt, Führen durch Überzeugung. Ich denke, das ist die große Chance, die dieser neue Präsident der Welt gegenüber, uns gegenüber, den anderen Partnern Amerikas gegenüber hat. Er kann - und ich denke, er bringt die besten Voraussetzungen dafür mit - den Versuch machen, als Großmacht, als wichtigster Partner auch aller europäischen Staaten durch Konsens zu führen, durch Überzeugung zu führen. Wenn ihm das gelingt, dann werden natürlich europäische Staatsmänner ganz anders als in den letzten Jahren nichts lieber tun, als sich mit dem amerikanischen Präsidenten im Weißen Haus oder in Camp David oder an sonstigen Orten ablichten zu lassen. Das war für mich als Botschafter so ein erstaunliches Phänomen, dass es plötzlich gar nicht mehr populär war für so manchen europäischen oder anderen ausländischen Staatsmann, ins Weiße Haus zu kommen und sich dort fotografieren zu lassen, weil Amerika Dinge zu verkörpern schien, die nicht nur unpopulär waren, sondern die man eigentlich gar nicht mit vertreten konnte.

    Klein: Eben. Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Jahren ja weltweit Kredit verspielt und die Frage ist ja, können sie hier an eine Rolle wieder anknüpfen, die Sie gerade mit dem Zitat von Kissinger wahrscheinlich skizzieren wollten, nämlich eine Führungsmacht in zumindest nur positivem Sinne spielen zu wollen.

    Ischinger: Ich denke, die Entscheidung, die der Präsident bereits in seinen ersten Stunden getroffen hat, die Guantanamo-Verfahren zunächst einmal zumindest auszusetzen, weist genau in die richtige Richtung, nämlich die Werte wieder zu beschwören, die die gemeinsamen Werte des Westens sind. Das sind die Werte der Würde des Einzelnen, das sind Grundsätze wie zum Beispiel, dass niemand ohne ein vernünftiges Gerichtsverfahren verurteilt werden kann. Die Rückkehr zu den Grundwerten des Westens, zu den Grundwerten der Aufklärung, die werden hiermit angedeutet und ich denke, er hat damit philosophisch, politisch, grundsätzlich die Richtung angedeutet, die viele, viele Millionen rund um den Erdball und in Amerika selbst auch von ihm erwarten. Das ist außerordentlich erfreulich aus meiner Sicht.

    Klein: Grundwerte des Westens will er wieder aufleben lassen, sagen Sie. Frage ist: Wie kommt man mit den Grundwerten des Westens weiter bei einem so dermaßen verfahrenen Konflikt wie dem, den wir im Nahen Osten haben?

    Ischinger: Ich kann Ihnen ja nur zustimmen. Nichts wäre erfreulicher gewesen, als wenn es schon zum Ende der Amtszeit seines Vor-Vorgängers Clinton zu einem Durchbruch im Sinne einer Friedenslösung im Nahen Osten gekommen ist. Ich bin da ganz realistisch und rate nicht dazu, jetzt übertriebene Erwartungen an den amerikanischen Präsidenten zu haben. Jeder Staatsführer, auch jeder amerikanische Präsident, hat auch seine Innenpolitik. Das gilt in Deutschland genauso wie in Washington. Und wir dürfen von diesem neuen amerikanischen Präsidenten keine Wunder erwarten, schon gar nicht in den ersten Wochen. Vergessen wir nicht, dass sein Team, auch sein außenpolitisches Team erst in groben Umrissen erkennbar ist. Es wird durchaus noch Tage, vielleicht sogar Wochen dauern, bis die wesentlichen Mitarbeiter (von der Außenministerin Clinton angefangen bis hin zu den Staatssekretären und so weiter) überhaupt im Amt sind. Die Vorstellung, dass der neue amerikanische Präsident jetzt mit dem Zauberstab eine Nahost-Lösung herbeiführt innerhalb von wenigen Tagen, Wochen oder Monaten, die halte ich für übertrieben.

    Was wir erwarten können und was sicherlich auch Gegenstand der Gespräche bereits in den nächsten Tagen und Wochen sein wird - übrigens auch am Rande der Sicherheitskonferenz in München, die ja in wenigen Wochen stattfindet, zwei Wochen, wird die Erwartung sein, dass dieser Präsident anders als sein Vorgänger nicht sechs oder mehr Jahre verstreichen lässt, bevor er persönlich anfängt, sich in dieser Frage massivst zu engagieren - in der Weise, wie man das von der westlichen Führungsmacht, wenn ich das noch einmal so nennen darf - so versteht sich Amerika ja auch -, erwarten kann.

    Klein: Vielen Dank! - Das war ein Gespräch mit Wolfgang Ischinger, ehemaliger deutscher Botschafter in den USA und Chef der Münchener Sicherheitskonferenz. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Ischinger, und einen schönen Tag.

    Ischinger: Vielen Dank! Auf Wiederhören.