Donnerstag, 25. April 2024

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Amerikanist zum Kapitol-Sturm
"Die Beschmutzung republikanischer Ideale"

"Zitadelle der Demokratie" nennt Joe Biden das Kapitol. Die Erstürmung des Gebäudes durch Trump-Anhänger erschüttert Menschen weltweit. Tote und Verletzte sind zu beklagen. "Es ist ein Skandal, dass niemand vorbereitet war auf diese Gewalttat" sagte Simon Wendt, Professor für Amerikanistik, im Dlf.

Simon Wendt im Gespräch mit Karin Fischer | 07.01.2021
Trump-Anhänger, mit wehenden US-Fahnen, vor dem Kapitol in Washington.
Wehende Fahnen, wilde Kostüme und lautes Gebaren - Trump Unterstützerinnen und Unterstützer stürmen das Kapitol (Getty Images / The Washington Post / Evelyn Hockstein)
Karin Fischer: Die Erstürmung des Kapitols interessiert uns hier auch in historischer Perspektive, die Frage geht an Prof. Simon Wendt, Amerikanist an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, Herr Wendt, Joe Biden sprach vom Kapitol als der "Zitadelle der Demokratie", ein Gesprächsgast heute Morgen im Dlf (07.01.2021) vom "Heiligtum", bitte lassen Sie uns diese Begriffe historisch unterfüttern. Für was steht das Kapitol in Washington?
Simon Wendt, Professor für Amerikanistik an der Goethe Universität Frankfurt am Main
Simon Wendt ist Professor für Amerikanistik an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Er ist Mitglied der amerikanischen, historischen Gesellschaft und forscht unter anderem zu den Themen Rassismus und Protestbewegungen in den USA.
Simon Wendt: Ja, es ist natürlich ganz klar, dass das Kapitol letztendlich das wichtigste Symbol der amerikanischen Demokratie ist. Es wurde erbaut 1800, das heißt, es besteht schon sehr lange. Und in vielerlei Hinsicht ist es sozusagen die Verkörperung der amerikanischen Revolution. Deswegen sprechen viele davon, dass es eine Art heiliger Schrein ist, den es gilt zu bewahren und zu schützen.
Fischer: Warum ist es die Verkörperung der amerikanischen Revolution?
Wendt: Na ja, es ging ja nach der Revolution darum, zu entscheiden, wo kommt die Hauptstadt hin, da hat man sich zunächst für Philadelphia entschieden und danach für Washington D.C. Und da ging es auch darum, diesem neuen System, diesem neuen politischen System, das die amerikanische Revolution hervorgebracht hat, ein permanentes Zuhause zu geben. Da wurden also viele Pläne, ein Wettkampf verschiedener Architekten angeschaut, es wurde sich entschieden für dieses Design, das letztendlich eben auch die Demokratie symbolisieren sollte.
Fischer: Der Name spielt ja an auf einen der sieben Hügel Roms, man zitiert den kapitolinischen Hügel im Klassizismus gerne und überträgt ihn gerne auch auf andere Gebäude. In diesem Fall, wie Sie sagen, um die republikanische Tradition zu zitieren, in der sich die USA sehen und gesehen haben, was gelinde gesagt etwas anderes ist als die republikanischen Trump-Anhänger, die wir gestern mit Gewalt in dieses Haus eindrangen sahen.

"Es ist der Zirkelschluss einer Präsidentschaft"

Wendt: Ja, natürlich. Ich denke, dass hier viele Menschen glauben, dass diese Stürmung des Kapitols in gewisser Weise die Beschmutzung dieser republikanischen Ideale war. Und deswegen sind alle sehr, sehr schockiert und fragen sich, wie es dazu kommen konnte.
Fischer: Was ist Ihre Erklärung?
Wendt: Man muss einfach sehen, dass die Stürmung in einer gewissen Weise der Kulminationspunkt der Präsidentschaft von Donald Trump ist. Er hat schon sehr oft per Twitter oder in seinen Reden nicht mal sehr versteckt dazu aufgerufen, Gewalt anzuwenden. Und in dem Fall hat er schon fast explizit dazu aufgerufen, die Auszählung der Wahlstimmen zu unterbrechen. Und insofern kann man eben nur sagen, dass – so schockiert alle sind – das gar nicht überraschend ist, weil es letztendlich der Zirkelschluss ist einer Präsidentschaft, die sich in vielerlei Hinsicht auch um Gewalt gedreht hat.
Fischer: Wie beurteilen Sie denn diese Vorgänge von gestern demokratiegeschichtlich, um es mal hochtrabend etwas kulturell zu formulieren?
Wendt: Man muss sich natürlich vor Augen führen, dass das, was dort passieren sollte, nämlich die Auszählung der Wahlstimmen der verschiedenen Bundesstaaten, die ja wirklich nur eine Art von Zeremonie ist, dass die durch Trump so politisiert wurde, durch die Verschwörungstheorien so infrage gestellt wurde, dass seine Anhänger dazu bereit waren, diese demokratische Tradition zu kippen oder zu verhindern. Das muss tatsächlich jeden, der die USA kennt, sehr erschrecken.
Fischer: Dann noch eine Frage zu der Spaltung der Gesellschaft und den Bildern, die sie produziert. Die Sportler der NBA, der nationalen Basketballliga, die sich gestern alle vor dem Spiel hingekniet haben, haben explizit darauf aufmerksam gemacht. Es gibt zwei Amerikas inzwischen, hieß es da, in dem einen wird man erschossen, wenn man in seinem Auto schläft oder Zigaretten verkauft, in dem anderen kann man das Kapitol stürmen, und es passiert praktisch nichts. Und auch die Twitter-Bilder, die die Black Lives Matter-Proteste am Kapitol zeigen und die jetzt wieder hervorgeholt werden, sprechen ja da auch eine sehr eindeutige Sprache.

Unterschiede zwischen Demonstranten

Wendt: Ja, es ist hier sehr wichtig, die Black Lives Matter-Bewegung ins Spiel zu bringen. Tatsächlich war vor circa einem Jahr auch in der Nähe des Kapitols große Proteste der Black Lives Matter-Bewegung zu sehen, und Hunderte von Polizisten haben das Kapitol geschützt, waren vorbereitet auf einen Protest, von dem Gewalt erwartet wurde, die dann nicht kam. In diesem Fall haben gewaltbereite, rechtsextreme Demonstranten mit den Hufen gescharrt, um ins Kapitol zu rennen, aber die Polizei war nicht vorbereitet. Und sie wurden auch nicht gestoppt, als sie dann die Fenster zerstört haben und ins Kapitol eingedrungen sind. Das heißt, tatsächlich sieht man hier einen großen Unterschied zwischen rechtsextremen Demonstranten und solchen Demonstranten, die dem linken Spektrum zuzuordnen sind. Das ist letztendlich ein Skandal, dass hier niemand vorbereitet war auf diese Gewalttat.
Fischer: Ich möchte noch mal zurück in die Geschichte blicken, denn das Kapitol zu schützen war gestern nicht zum ersten Mal notwendig. Wir haben gestern im Fernsehen gehört, dass seit über 100 Jahren ein derartiger Übergriff auf das Herz der Demokratie nicht gesehen worden sei. Tatsächlich sind es offensichtlich mehr als 200 Jahre, denn – Sie haben die Baugeschichte zitiert – nachdem das Kapitol von 1793 bis 1800 gebaut wurde, und Kongress und Supreme Court einzogen, lange vor der endgültigen Fertigstellung, dauerte es gerade mal 14 Jahre bis das Gebäude in Schutt und Asche gelegt worden war?
Wendt: Ganz richtig. Im Krieg von 1812, der gegen Großbritannien geführt wurde, wurde tatsächlich das Kapitol und auch das Weiße Haus niedergebrannt. Und wenn man sich das vor Augen führt, dass das also für fast 200 Jahre keine Stürmung des Kapitols gibt, dann ist das, was gestern passiert ist, natürlich umso erschreckender.
Fischer: Was für Dramen hat das Gebäude sonst noch gesehen?

"Niedergang der Demokratie"

Wendt: Es sind natürlich eine Reihe von Dramen passiert in dem Gebäude. Ich meine, in den 50er-Jahren zum Beispiel stürmten puerto-ricanische Nationalisten, aber nur eine ganz kleine Gruppe, das Repräsentantenhaus und waren dort in der Besuchergalerie und haben tatsächlich sogar auf Politiker, mehrere Politiker geschossen und haben diese verletzt. Es gab auch durchaus eine Reihe von Bombenanschlägen auf das Gebäude oder verschiedene Teile des Gebäudes in den 70er- und 80er-Jahren. Und zuletzt in den 90er-Jahren gab es auch einen Schusswechsel innerhalb des Gebäudes, bei dem zwei Polizisten erschossen wurde. Das heißt also, es ist schon einiges passiert, dennoch ist keines dieser Geschehnisse zu vergleichen mit dem, was gestern passiert ist. Insofern sind alle, nicht nur die Beobachter in Europa, schockiert. Hier sieht man tatsächlich, dass ein Personenkult, der um einen Präsidenten herum aufgebaut wird, eigentlich nur zum Niedergang der Demokratie führen kann.
Fischer: Es scheint aber noch ein anderes Thema virulent zu sein, wenn man die Stimmen gestern hörte der Menschen, die offenbar tatsächlich davon überzeugt sind, dass mit Biden Kommunismus und Sozialismus Einzug halten in Amerika, völlig unverständlicherweise in unseren Ohren. Ist das Gespenst dort noch so virulent?

"Gespenst des Kommunismus"

Wendt: Ja, natürlich. Ich meine, in Deutschland denken wir immer, dass die Gefahr des Kommunismus sozusagen ein Relikt des Kalten Krieges ist und seit den 90er-Jahren keine Rolle mehr spielt. Aber in den USA ist dieses Gespenst des Kommunismus beziehungsweise Sozialismus nach wie vor sehr stark und wird vor allem von der republikanischen Partei immer wieder verwendet, um vor den Demokraten Angst zu machen. Und leider, muss man dazu sagen, funktionierte das in der Vergangenheit auch immer wieder recht gut bei Wahlen, diesmal tatsächlich hat es nicht ganz funktioniert. Biden ist Präsident und die Republikaner natürlich sind unbedingt bereit, das zu akzeptieren.
Fischer: Warum wird das dort geglaubt?
Wendt: Nun ja, letztendlich geht es hier um eine politische Tradition des Republikanismus, der sich ganz stark darum dreht, dass die Zentralregierung in Washington die Bürger in Ruhe lassen soll, dass die Zentralregierung sich nicht unbedingt einmischt in das Leben der Menschen, dass sie die Wirtschaft in Ruhe lässt, damit die Leute schnell viel Geld verdienen können. Und insofern sind selbst kleine Dinge, die für uns normal erscheinen, die in einer Sozialdemokratie relativ normal sind, solche Dinge werden als Kommunismus abgetan. Und gerade die Befürworter von Trumps Ideologie glauben das so fest, dass alles, was in irgendeiner Weise nach Sozialdemokratie aussieht, als Kommunismus und vor allem als gefährlicher Kommunismus verunglimpft wird. Und das Resultat haben wir gestern gesehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.