Mittwoch, 24. April 2024

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Amnesty International kritisiert rot-grüne Menschenrechtspolitik

Die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Barbara Lochbihler, hat die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung kritisiert. Sie verwies auf die Tschetschenien-Frage. Während sich deutsche Diplomaten für eine Verurteilung des russischen Vorgehens einsetzten, spreche Bundeskanzler Schröder dem Land ein Lob aus.

Moderation: Dirk Müller | 04.08.2005
    Dirk Müller: Wie gehen Demokraten mit Diktatoren, Autokraten um, wie mit Demokraten, die vielleicht doch keine sind? Auch weil Gewalt zum festen Bestandteil ihrer Politik gehört. Fragen, die sich die westlichen Regierungen tagtäglich stellen und stellen müssen: Libyen, Syrien, China, aber auch Russland und die Türkei. Wie groß ist der Stellenwert der Menschenrechte in der internationalen Politik? Eine Bilanz der rot-grünen Menschenrechtspolitik wollen wir nun mit Barbara Lochbihler ziehen, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. Guten Morgen.

    Barbara Lochbihler: Guten Morgen.

    Müller: Gerhard Schröder und Wladimir Putin - verhindern Männerfreundschaften eine konsequente Menschenrechtspolitik?

    Lochbihler: Die Konsequenz vermisse ich da, da sehen wir einesteils, dass deutsche Diplomaten bei den Vereinten Nationen in der Menschenrechtskommission darum ringen, dass die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien verurteilt werden und gleichzeitig spricht sich der deutsche Bundeskanzler dafür aus und lobt die tschetschenischen Wahlen, dass sie fair seien und stellt auch dem russischen Rechtsstaat ein Lob aus. Das ist nicht konsequent und hier ist unsere Forderung eben, dass man eine gute Beziehung zwischen den Staaten nutzen muss, um konsequent Menschenrechtsverletzungen anzusprechen. Hier kann ja der russische Staat viel tun, um das aufzuklären und auch sich dafür einsetzen, dass es hier zu einer Strafverfolgung kommt.

    Müller: Wissen Sie denn, dass es der Bundeskanzler in Wirklichkeit besser weiß?

    Lochbihler: Ich glaube, in der Bewertung, wie es vor Ort aussieht, gibt es kaum Dissenzen zwischen der Regierung und Menschenrechtsorganisationen. Es wird ja nicht in Frage gestellt, dass es dort Menschenrechtsverletzungen gibt, für die die russische Regierung verantwortlich ist. Es ist nicht eine Frage des Wissens, sondern auch eben eine der Konsequenz und der Bestimmtheit, dass Menschenrechte Leitlinie der eigenen Politik sind.

    Müller: Ist das denn auf der anderen Seite jetzt gefragt für Sie ausgeschlossen, dass das Vorgehen, der Ansatz des Bundeskanzlers gegenüber Moskau politisch klug ist?

    Lochbihler: Es gibt für eine Regierung unterschiedliche Möglichkeiten, über Menschenrechtsverletzungen zu reden. Es kann weniger in der Öffentlichkeit sein und es kann und muss auch öffentlicher Druck sein. Da hat die Regierung verschiedene Möglichkeiten. Nur wenn sie es konsequent öffentlich verschweigt oder auch die Probleme beschönt, dann ist es kein Ansatz, der zu einem positiven Ergebnis führen kann.

    Müller: Gilt dies auch für Peking?

    Lochbihler: Das gilt für jegliche Regierung. Und in der Diskussion, zum Beispiel auch im Rechtsstaatdialog zwischen Deutschland und der chinesischen Regierung, sieht man auch, dass miteinander gesprochen wird, aber es gibt zu wenig konkrete Zielvorgaben, dass man eigentlich nicht messen kann, was damit erreicht wird. Und wir sehen, dass die chinesische Regierung empfindlich reagiert, wenn sie öffentlich kritisiert wird, sie macht dann schon Zugeständnisse und sagt wir werden uns bessern, aber de facto ist es so, dass wir hier noch sehr schwere Menschenrechtsverletzungen haben. Ein guter Ansatzpunkt ist es immer, auf internationale Rechtsstandards zu drängen, die ja auch die jeweiligen Regierungen unterschrieben haben. Zum Beispiel das Abkommen zur Abschaffung der Folter. Man kommt nicht in die Situation, als arrogant und westlich zu wirken, wenn man sich auf die internationalen Standards beruft und diese einfordert.

    Müller: Nun geschieht Politik ja nicht immer im Rahmen der reinen Lehre. Inwieweit könnte es kontraproduktiv sein, solche Forderungen und auch konkrete Verletzungen zu veröffentlichen?

    Lochbihler: Der öffentliche Druck und die Darstellung der tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen dort ist ein ganz zentrales Mittel, um eine Veränderung herzustellen. Dass eine nichtstaatliche Organisation dort deutlicher reden kann als die Regierung ist auch klar, aber man darf eben die Situation vor Ort nicht beschönigen oder verleugnen. Das wäre der völlig falsche Ansatzpunkt, das hat die Arbeit in sehr vielen Ländern auch gezeigt. Man muss Ausdauer haben und eben zeigen können, dass man nicht nur ein Land kritisiert, sondern dass das Leitsatz der eigenen Politik ist in der Diskussion mit sehr vielen Staaten.

    Müller: Dann sind also Transparente definitiv besser als Kamingespräche?

    Lochbihler: Sie können sich ergänzen aber auf keinen Fall ersetzen.

    Müller: Was muss die neue Regierung, wer immer diese auch bilden wird, besser machen?

    Lochbihler: Nun, sie muss auf dem Erreichten aufbauen. Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland strukturelle Verbesserungen bekommen für die Menschenrechtsarbeit, zum Beispiel einen eigenen Menschenrechtsausschuss im Bundestags, das deutsche Institut für Menschenrechte, das sind alles Dinge, die zu mehr Konstanz und Koordination in der Menschenrechtsarbeit sorgen, aber zum Beispiel die Idee, dass es Querschnittsaufgabe sein soll für alle Ressorts, die muss weiter ausgebaut werden. Es ist gut im Auswärtigen Amt, im Entwicklungshilfeministerium, aber es ist völlig abwesend zum Beispiel im Wirtschaftsministerium, im Ressort des Inneren und der Verteidigung. Hier muss man konsequent sein. Ich denke, Deutschland muss sich auf internationaler Ebene ganz stark dafür einsetzen, dass es hier innerhalb der Vereinten Nationen zu einer Stärkung des Menschenrechtsschutzes kommt, das wäre jetzt gerade wichtig, hier auf diese UNO-Reformen zu drängen und nicht nur auf einen Sitz im Sicherheitsrat zu schauen und zusätzlich muss Deutschland auch ganz notwendig auch gegenüber der USA darauf drängen, dass auch sie im Anti-Terror-Kampf hier Menschenrechte einhält, weil so eine starke Macht wie die USA hier ja schon den Ton angibt.