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Amnesty kritisiert Griechenlands Flüchtlingspolitik

In Griechenland werden Flüchtlinge nach ihrer Ankunft wie Kriminelle behandelt, sagt die Generalsekretärin von Amnesty International, Monika Lüke. Sie lebten meist ohne ärztliche Betreuung auf engstem Raum und würden nach bis zu 18 Monaten Aufenthalt abgeschoben. Aus diesem Grund dürfe die Bundesregierung keine Menschen mehr nach Griechenland abschieben.

Monika Lüke im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.07.2010
    Jasper Barenberg: Groß ist die Zahl von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer versuchen, Europa zu erreichen. Der Transit ist allerdings gefährlich. Wie viele dabei Jahr für Jahr umkommen, niemand weiß es. Sicher ist nur: Es sind viele. Gefahren lauern aber auch auf die, die es schaffen, zum Beispiel in Griechenland. Seit Jahren schon erheben Menschenrechtsorganisationen schwere Vorwürfe gegen die dortigen Behörden. Bootsflüchtlinge würden abgefangen, eingeschüchtert, geschlagen, zur Umkehr gezwungen. Zum Umgang Griechenlands wird Amnesty International heute einen Bericht vorlegen. Dazu ein Gespräch mit der Generalsekretärin der Organisation in Deutschland, Monika Lücke. Hat sich etwas verbessert an der Lage der Flüchtlinge?

    Monika Lüke: Es hat sich eigentlich nichts verbessert, das Problem hat sich verlagert. Die Flüchtlinge erreichen zwar das griechische Festland, werden aber dort wie Kriminelle behandelt – egal ob sie dort als Asylbewerber hinkommen, ob sie ohne Papiere dort sind oder aber auch zurückgeschickt werden von einem anderen EU-Mitgliedsland, sie werden wie Kriminelle behandelt. Dabei ist Asyl ja kein Straftatbestand, sondern ein Recht. Das vergisst die griechische Regierung.

    Barenberg: Wie sieht es denn aus mit der sozialen, mit der medizinischen Betreuung der Flüchtlinge, der Migranten, wenn sie nach Griechenland kommen?

    Lüke: Es ist so, dass die Flüchtlinge, Migranten eigentlich alle interniert werden, in Verwaltungshaft genommen werden per se, und dort ist die medizinische Versorgung schlecht, es gibt kaum Zugang zu Rechtsbeiständen, und unbegleitete Kinder werden zusammen mit Erwachsenen festgehalten. Das geht bis zu 18 Monate, und danach werden die Flüchtlinge in der Regel abgeschoben. Die derzeitige griechische Regierung hat sich zwar dazu bekannt, dass sie was verändern will, auch weil es eben ein Urteil gab vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, bisher haben wir da aber noch nicht viel gesehen.

    Barenberg: Hygienische Bedingungen waren ein Punkt seit Jahren der Kritik, hat sich an diesen Zuständen irgendetwas verbessert inzwischen?

    Lüke: Soweit wir wissen nein. Bei uns waren Leute vor Ort, die sich Lager angeguckt haben. Es ist so, es gibt keine ärztliche Behandlung, teilweise gibt es noch nicht mal sauberes Wasser, und die Flüchtlinge leben auf engstem Raum.

    Barenberg: Sie werden lange festgehalten in Verwaltungshaft, sagen Sie, sie leben auf engstem Raum, sie haben kaum Möglichkeit, einen Anwalt zu sprechen, einen Übersetzer zu sprechen. Wie qualifizieren Sie diese Zustände insgesamt, wenn man Europa in den Blick nimmt und das Verhalten gegenüber solchen Menschen?

    Lüke: Ja, zwei Dinge: Das Ganze ist natürlich menschenrechtswidrig, die griechische Regierung hat die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert, bekennt sich zum Flüchtlingsschutz formal, hat die Kinderrechtskonvention ratifiziert, muss eigentlich alles tun, um Kinder zu schützen, auch Flüchtlingskinder, das tut sie nicht. Das hatte … Aber eigentlich sollte das auch Konsequenzen haben für die Bundesregierung, denn die Bundesregierung muss dringend davon Abstand nehmen, Flüchtlinge nach Griechenland zurückzuschicken, weil sie die dort in menschenrechtswidrige Zustände schickt. Dennoch wissen wir, dass mindestens 181 Asylbewerber, die zunächst griechischen Boden betreten haben, von der Bundesregierung im Jahr 2009 wieder nach Griechenland zurückgeschickt wurden, um dort das Verfahren zu durchlaufen.

    Barenberg: Der Hintergrund für diese Angelegenheit ist ja die Regelung der Europäischen Union, innerhalb der Europäischen Union, dass jeder Flüchtling in Europa nur einen Asylantrag stellen darf, nämlich in dem Land, in dem er zuerst seinen Fuß sozusagen auf europäischen Boden setzt, diese Drittstaatenregelung. Kann die noch aufrechterhalten werden, wenn wir uns Zustände wie die in Griechenland jetzt vor Augen führen?

    Lüke: So in dem Maße, wie sie jetzt gilt, kann sie nicht weiter aufrechterhalten werden, das hat die Europäische Kommission erkannt, das haben die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten erkannt, denn es gibt Reformüberlegungen, es gibt neue Vorschläge hin auf eine fairere Lastenteilung. Leider sträubt sich die Bundesregierung dagegen. Das ist aber fatal, denn tatsächlich führt ja der Druck, der auf den Randstaaten lastet, wie Griechenland, auf Italien, auf Malta, wo eben das Gros der Flüchtlinge hinkommt, der Druck, der dazu führt, dass diese ihre Systeme verschärfen oder keinen Schutz gewähren, der führt eben dazu, dass letztlich den Flüchtlingen Unrecht geschieht, dass kein faires Asylverfahren durchgeführt wird.

    Wenn die Bundesregierung da einen fairen Anteil übernähme, genauso wie andere Staaten mitten in Europa, dann würde sich die Situation verbessern, dann würde der Druck diesen Randstaaten genommen. Die könnten ihre Asylsysteme besser managen, könnten rechtliche Standards aufrechterhalten, und das Problem wäre gelöst. Die Bundesregierung erkennt das ja sogar informell, indem sie peu à peu Flüchtlinge aus Malta aufnimmt. Deswegen verstehen wir das von Amnesty überhaupt nicht, weswegen sich die Bundesregierung gegen Reformüberlegungen in Europa so sehr sträubt.

    Barenberg: Würden Sie also sagen, dass Europa sein Flüchtlingsproblem im Moment an die Staaten am Rande delegiert quasi, an Italien, an Spanien, an Malta und an Griechenland eben, wo die Zustände so schlimm sind, wie Sie sie beschrieben haben?

    Lüke: Ich gehe sogar noch weiter. Europa lagert den Flüchtlingsschutz aus. Es gibt mehrere Ringe: Zunächst den Ring in Nordafrika – mittlerweile ist es so, die Flüchtlinge sterben nicht mehr auf dem Mittelmeer, sondern die sterben schon in der Wüste Nordafrikas. Das haben Nichtregierungsorganisationen für 2009 festgestellt. Dann gibt es Flüchtlinge, die schaffen es dennoch aufs Mittelmeer. Dort ist es so, dass Schiffe in Seenot nicht unbedingt gerettet werden, auch da haben wir Berichte über zwei Vorfälle im vergangenen Jahr. Wenn es dann Flüchtlinge schaffen, nach Europa zu kommen, nach Griechenland, nach Malta, nach Italien, müssen sie damit rechnen, dass sie eben keine Flüchtlingsrechte genießen, dass sie keinen Schutz genießen, sondern wieder zurückgeschoben werden. Europa vernachlässigt da seine internationalen Verpflichtungen zutiefst, und das, obwohl weltweit lediglich 15 Prozent aller Flüchtlinge in Europa Aufnahme suchen. Die meisten bleiben ja in den Herkunftsregionen. Wir verstehen nicht, warum Europa sich da seiner Verantwortung entzieht, auch die Bundesregierung.

    Barenberg: Sie haben erwähnt, dass die Bundesregierung nach wie vor Flüchtlinge nach Griechenland zurückschickt, Flüchtlinge also, die zuerst in Griechenland um Asyl gebeten haben. Nun haben ja auch einige Gerichte in der Zwischenzeit entschieden, dass diese Praxis zu unterbinden ist, dass diese Flüchtlinge nicht zurückgeschickt werden dürfen. Richtet sich die Bundesregierung einfach nicht nach diesen Urteilen oder wie erklären Sie sich diese Haltung der Bundesregierung?

    Lüke: Es ist so, dass im September 2009 das Bundesverfassungsgericht zunächst im sogenannten einstweiligen Rechtsschutzverfahren erklärt hat in neuen Fällen, dass Flüchtlinge nicht nach Griechenland zurückgeschickt werden dürfen, die dort zunächst das europäische Territorium betreten haben. Dieses Verfahren ist aber noch anhängig, wie man unter Juristen sagt, das heißt, das Bundesverfassungsgericht hat noch nicht endgültig entschieden. Das wird in diesem Jahr noch passieren, so wie wir wissen, und dann wird ein Grundlagenurteil gefällt.

    Ich denke, das Bundesverfassungsgericht kann den Flüchtlingsschutz nur so ernst nehmen, dass es eben verbietet, Flüchtlinge in ein Land zurückzuschicken, Griechenland eben, wo das Asylrecht - man muss schon sagen - mit Füßen getreten wird. Und ich gehe fest davon aus, dass sich die Bundesregierung dann endlich auch absolut danach richtet. Derzeit ist es schon so – das muss man sagen –, minderjährige und traumatisierte Flüchtlinge werden nicht zurückgeschickt, aber eben immer noch erwachsene Männer. Und wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung dann aufhört, das zu tun, und dass sie dann auch endlich versteht, warum man eben das europäische Asylsystem reformieren muss, dass sie den Reformvorschlägen der Kommission zustimmt, die für eine faire Lastenverteilung sind.

    Barenberg: Was wären das denn für Maßnahmen, die für eine fairere, für eine gerechtere Verteilung der Lasten sorgen könnten?

    Lüke: Es gibt da zwei Ansatzpunkte: Zum einen müsste man ganz klar vorsehen im europäischen Recht, dass wenn klar ist, dass ein Staat – jetzt das Beispiel Griechenland – keinen richtigen Flüchtlingsschutz gewährt, dass dann die anderen EU-Staaten nicht zurückschicken dürfen. Das müsste die Kommission regeln können, das ist in den jetzigen Vorschlägen enthalten. Und damit verbunden werden müsste die Verpflichtung für Griechenland, für andere Staaten, die Asylsysteme zu verbessern. Das Zweite wäre tatsächlich eine grundlegendere Änderung, eine grundlegendere Reform, man müsste wirklich eine Lastenteilung verankern. Da gibt es Schlüssel, da gibt es Quoten. Ein Beispiel: Auch die Bundesländer teilen sich ja die Asylbewerber. Die werden dort verteilt nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel, nach dem Steueraufkommen – das könnte möglicherweise auch eine Lösung sein für die europäischen Staaten.

    Barenberg: Einheitliche Standards in der Asylpolitik stehen auf der Tagesordnung der Europäischen Union. Nun hat bei den jüngsten Verhandlungen die Bundesregierung abermals das Ziel infrage gestellt, bis 2010 einheitliche Regeln aufzustellen. Was wären die Folgen für die Betroffenen, wenn es dabei bleibt?

    Lüke: Ein großes Ungleichgewicht, ein Lotteriespiel. Es kommt einfach darauf an, wo man zuerst hinkommt nach Europa, ob man ein faires Asylverfahren erreicht, und letztlich heißt das, die, die mehr Geld haben, die mit dem Flugzeug kommen können, die dann eben auch in Deutschland oder Österreich oder Skandinavien landen können, sind privilegiert, genießen im Zweifel ein faireres Verfahren als die, die mit wenig Geld und viel Mühen sich übers Mittelmeer oder aber durch Afghanistan, Iran und Osteuropa durchschlagen. Eine Mehrklassengesellschaft.