Freitag, 19. April 2024

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Amnesty: Merkel soll Mursi zur Reform des Sicherheitsapparats drängen

Amnesty International (AI) fordert Bundeskanzlerin Merkel auf, bei ihrem Treffen mit dem ägyptischen Staatschef Mursi die Menschenrechte auf die Agenda zu setzen. So sei in den letzten zwei Jahren niemand wegen Gewalt gegen Demonstranten zur Rechenschaft gezogen worden, kritisiert die AI-Nordafrika-Referentin Jüttner.

Ruth Jüttner im Gespräch mit Bettina Klein | 30.01.2013
    Bettina Klein: Aufgrund der dramatischen Entwicklung in seinem Land hat Präsident Mursi seine Europareise verkürzt. Er wird nur einige Stunden in Berlin sein, der Frankreichbesuch ist völlig abgesagt. Aber Deutschland dann offenbar doch auch oder gerade in der gegenwärtigen Situation wichtig genug, um mal vorstellig zu werden, und dabei geht es – wen wundert es – auch ums Geld, um Wirtschaft, um Handelsbeziehungen und um Tourismus – Probleme also, die der Krise in Ägypten durchaus mit zugrunde liegen, wenn man den Analysen des Auswärtigen Amtes folgt. Die Bundesregierung könnte also ihren wirtschaftlichen Einfluss geltend machen, um an der Stabilisierung des Landes mitzuwirken. Kann sie das wirklich?
    Am Telefon ist jetzt Ruth Jüttner, sie ist bei Amnesty International zuständig unter anderem für Ägypten. Frau Jüttner, Außenminister Westerwelle ruft dazu auf, Geduld mit Ägypten zu haben, zumindest eine strategische Geduld. Ist das aus Ihrer Sicht berechtigt?

    Ruth Jüttner: Sicherlich muss man sagen, dass die Situation in Ägypten im Moment sehr angeheizt ist und dass alle Seiten zur Mäßigung aufgerufen werden müssen. Aber ich denke, wo wir keine Geduld mehr haben dürfen, ist im Bereich der Reform der Menschenrechte, insbesondere der Reform des ganzen Sicherheitsapparates in Ägypten. Das bezieht sich auf die Polizei, Militär und Geheimdienste, denn diese Sicherheitsdienste sind in den vergangenen zwei Jahren mit unverhältnismäßiger Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen. Niemand wurde bisher wirklich zur Rechenschaft gezogen. Es gibt nur eine Handvoll von Polizisten und Soldaten, die tatsächlich eine Haftstrafe wegen der Tötung von Demonstranten abbüßen. Und das hat dazu geführt, dass das ägyptische Volk das Vertrauen in den Staat, in die Sicherheitskräfte, in die Institutionen verloren hat.

    Klein: Aber was wäre da die richtige Antwort von deutscher Seite?

    Jüttner: Wir haben die deutsche Politik, Frau Merkel aufgefordert, die Menschenrechte auf die Agenda in den Gesprächen mit Ägypten zu setzen, sowohl bei dem Besuch jetzt von Herrn Mursi, aber auch insgesamt in den bilateralen Beziehungen. Deutschland sollte darauf drängen, dass Reformen auch vor allen Dingen im Gesetzesbereich und im Sicherheitsbereich jetzt wirklich angegangen werden, denn die Versprechungen, die in den letzten zwei Jahren gemacht worden sind, sind bisher noch nicht in konkrete Maßnahmen umgemünzt worden und deswegen ist es höchste Zeit, dass hier jetzt auch wirklich was eingeleitet wird.

    Klein: Was heißt Drängen? Welche Druckmittel hat Deutschland in der Hand?

    Jüttner: Ich denke, die Bundesregierung sollte die Beziehungen nutzen, die bestehen, um die ägyptische Seite dabei zu unterstützen, diese Reformen jetzt einzuleiten. Sie können Unterstützung anbieten, aber eben sehr deutlich machen, dass neben vielen anderen Problemen, die sicherlich auch angegangen werden müssen, Verbesserungen im Bereich der Menschenrechtslage wirklich unverzichtbar sind.

    Klein: Unterstützung welcher Art?

    Jüttner: Ein wichtiger Bereich, der im Bereich der Reformen eine Rolle spielt, ist zum Beispiel der Bereich des Trainings, der Ausbildung von Polizei, von Armee. Hier können Angebote gemacht werden. Was auch dazu gehört ist, dass in transparenter Weise die Sicherheitskräfte überprüft werden, um zu schauen, wer hatte Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen, und dass dann auch in transparenter Weise der Bevölkerung gegenüber deutlich gemacht wird, wie solche Überprüfungen stattfinden, und dass Polizisten, die in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind, dann suspendiert werden, dass sie überprüft werden, dass sie vor Gericht gestellt werden. Auch hier können Angebote gemacht werden aus den Erfahrungen, die Deutschland zum Beispiel gemacht hat, den Ägyptern Unterstützung zu geben.

    Klein: Das sind, Frau Jüttner, mit Verlaub sicherlich notwendige, aber in gewisser Weise eben auch wohlfeile Appelle. Welche Macht hat die Bundesregierung, um dabei zu bleiben, denn Herr Mursi kommt heute nach Berlin, welche Macht hat die Bundesregierung, da tatsächlich etwas zu bewirken?

    Jüttner: Sicherlich richten sich unsere Forderungen auch an die Bundesregierung selber, weil wir leider auch immer feststellen, dass unsere eigene Politik die Menschenrechte zwar in der Rhetorik verwendet, aber dann in der Praxis, wenn es darauf ankommt, sehr häufig dann doch nicht den Menschenrechten diese Rolle einräumen. Wir haben das deutlich gemacht im Bereich der Rüstungsexporte. Hier bleibt auch die Bundesregierung hinter den eigenen Ansprüchen zurück. Es sollten keine Rüstungsgüter geliefert werden, die bei Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden. Deutschland hat 2011 im Wert von 74 Millionen Euro Rüstungsgüter geliefert, darunter Kleinwaffen, gepanzerte Wagen. Die sind in den letzten Jahren von den ägyptischen Sicherheitskräften in menschenrechtswidriger Weise eingesetzt worden. Hier muss die Bundespolitik deutlich machen, dass sie ihren eigenen Ansprüchen gerecht wird, und eben auch solche Rüstungslieferungen nur dann gewähren, wenn sichergestellt wird, dass sie in menschenrechtskonformer Weise eingesetzt werden.

    Klein: Es ist natürlich einfacher für Menschenrechtsgruppen, für Menschenrechtsorganisationen und auch für die Opposition, jeweils ihre Empörung zu äußern und Forderungen aufzustellen, einfacher als möglicherweise für eine Regierung, die auf Diplomatie angewiesen ist, um da etwas zu erreichen, und das gilt ja fast grundsätzlich für viele Krisen- und Konfliktregionen. Sehen Sie diese Gratwanderung und haben Sie den Eindruck, dass die Bundesregierung diese Gratwanderung derzeit bewältigt – immer vor dem Hintergrund, sie kann vielleicht nicht alles das einlösen in Gesprächen, was wünschenswert wäre?

    Jüttner: Sicherlich ist das eine Gratwanderung, aber ich denke, man muss auch schauen, dass die Veränderungen in Ägypten vor zwei Jahren begonnen haben und diejenigen, die dort in der Verantwortung waren, viele Versprechungen nicht umgesetzt haben, und es ist für uns auch nicht so richtig nachvollziehbar, inwiefern die Bundesregierung wirklich auch alle Chancen in den letzten zwei Jahren genutzt hat, um hier für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in Ägypten einzuwirken. Je länger sozusagen dieser Prozess hinausgezögert wird, umso schwieriger wird es dann auch sein, hier wirklich zu einem guten Ende zu kommen.

    Klein: Das heißt, Sie fordern auch Transparenz ein, was jetzt konkret die Politik der Bundesregierung im Blick auf Ägypten angeht?

    Jüttner: Natürlich, das gehört auch dazu. Und um eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik machen zu können, ist es wichtig, dass in der deutschen Politik nicht mit zweierlei Maß gemessen wird, weil das ist auch etwas, was dann oft deutschen Politikern vorgehalten wird, ihr habt früher mit Mubarak zusammengearbeitet, das war ein autokratischer Herrscher. Da müssen auch die deutschen Politiker ihre Hausaufgaben machen, weil das natürlich dann auch Einsatz für Menschenrechte sehr stark unterminiert, wenn dieser Einsatz nicht wirklich auch ohne doppelte Standards selbst eingehalten wird.

    Klein: Deutschland ist ja aufgrund seiner Wirtschaftskraft offenbar sehr interessant für Ägypten und scheint daher in einer starken Position. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie weit das eingesetzt werden kann in Verhandlungen, um etwas zu erreichen?

    Jüttner: Es ist mit Sicherheit hilfreich und wirksam, wenn es Beziehungen zwischen den Gesprächspartnern gibt, ob das nun wirtschaftliche Beziehungen sind oder kulturelle oder andere, weil solche Verbindungen dazu genutzt werden können, in vielen verschiedenen Zusammenhängen immer wieder deutlich zu machen, wie wichtig es ist, auch im Menschenrechtsbereich die notwendigen Reformen umzusetzen. Je weniger Gesprächskontakte, je weniger wirtschaftliche Kontakte, umso weniger Möglichkeiten hat man, überhaupt dieses Thema anzusprechen.

    Klein: Also durchaus im Kontakt, was Wirtschaftsbeziehungen angeht, bleiben und das schon als eine Möglichkeit der Einflussnahme sehen?

    Jüttner: Ich denke schon, dass man über auch solche Kontakte, Gespräche, über Wirtschaftskooperationen, in der Entwicklungszusammenarbeit, im kulturellen Austausch, im Bildungsbereich Möglichkeiten hat, die genutzt werden sollten, auch in diesen Bereichen zu gucken, wo kann man hier zu Verbesserungen im Bereich der Menschenrechtslage hinwirken. Wenn man im Wirtschaftsbereich schaut, wie sind zum Beispiel die Firmen dort aufgestellt, wie sind die Arbeitsbedingungen, werden die Rechte der Arbeitnehmer gewährt, all das sind natürlich auch Themen, die in der ägyptischen Revolution eine große Rolle gespielt haben. Es ging um Würde, um ein menschenwürdiges Leben, um soziale Gerechtigkeit und um Menschenrechte, und das findet sich eben in allen Bereichen des Lebens wieder.

    Klein: Sagt Ruth Jüttner - sie ist Referentin bei Amnesty International und dort zuständig für den Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika – zum heutigen Besuch des ägyptischen Präsidenten Mursi in Berlin.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.