Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Amoklauf der Sklaven

Immer wieder haben sich Sklaven gegen ihre Leibeigenschaft aufgelehnt, doch der Protest verlief meist im Sande. Im August 1831 kam es zum offenen Sklavenaufstand in den USA. Der Anführer dieser Rebellion, der Sklave Nat Turner wurde nach den Unruhen vor 175 Jahren gehenkt.

Von Monika Koepcke | 11.11.2006
    Es ist ein heißer Abend im August 1831. Fünf Männer treffen sich auf einer Farm im amerikanischen Bundesstaat Virginia. Sie sind allesamt schwarze Sklaven, die die boomende amerikanische Textilindustrie mit Nachschub versorgen. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang schuften sie auf den riesigen Baumwollplantagen der amerikanischen Südstaaten. Die Männer essen zusammen, danach wird Weinbrand getrunken. Der Alkohol soll die Hemmschwellen senken. Denn diese Nacht hat der Anführer der Männer, ein Sklave namens Nat Turner, dazu auserkoren, seinen göttlichen Auftrag in die Tat umzusetzen. Später wird er zu Protokoll geben:

    "Seit Anfang 1830 war ich im Besitz von Mr. Joseph Travis, der mich freundlich behandelte und großes Vertrauen in mich hatte. Es gab keinen Grund, mich über ihn zu beklagen. Dennoch war er der erste, dessen Blut ich vergoss. Bewaffnet mit einem Beil schlich ich in das Schlafzimmer meines Herrn. Es war sehr dunkel, und mein erster Beilschlag verfehlte seinen Kopf. Er sprang aus dem Bett und rief den Namen seiner Frau. Es war sein letztes Wort. Ein fester Schlag mit dem Beil tötete ihn, und seine Frau, die neben ihm im Bett gelegen hatte, ereilte das gleiche Schicksal. "

    Von Plantage zu Plantage ziehen die Männer. Bewaffnet mit Beilen, Äxten, Stöcken töten sie jeden Weißen, den sie aufspüren. Ganz gleich, ob Mann oder Frau, ob alt oder jung. Selbst Kinder und Säuglinge werden erschlagen. Auf über 70 steigt die Zahl der Sklaven, die sich Nat Turner bei seinem Rachefeldzug anschließen, eineinhalb Tage lang wüten die Männer in den Häusern der Plantagenbesitzer. 55 Menschen verlieren ihr Leben. Dieser Aufstand verläuft planlos und unorganisiert. Es ist eher ein Amoklauf, bei dem sich hemmungslos Bahn bricht, was sich in vielen Jahren der Ausbeutung und Demütigung angestaut hat.

    "An jenem Tag, als man mich zum ersten Mal verkaufte, hatte ich eine solche Wut empfunden, eine solch unerträgliche Wut. An jenem Tag begriff ich zum ersten Mal, dass ich ein Sklave war, für alle Zeiten ein Sklave. Und seitdem wusste ich ganz sicher: Ungeachtet jeglicher Gefahr, an jedem Ort, zu jeder beliebigen Zeit, wer das Kind, das junge Mädchen, die Frau oder der Mann auch sei - diese ganze Welt weißen Fleisches würde sich eines Tages unter der Peitsche meiner Vergeltung krümmen und auseinanderbrechen, vergehen unter meinen Händen."

    So zitiert das Vernehmungsprotokoll Nat Turner nach seiner Verhaftung. Im Oktober 1800 kommt er als Sohn einer Sklavin zur Welt. Die Kinder seines Besitzers geben ihm Bibelunterricht, er bringt sich selbst das Lesen bei und versammelt als methodistischer Laienprediger die Sklaven der Umgebung um sich. Nat Turner übernimmt den christlichen Glauben nicht blind. Die Heilsbotschaft versteht er als konkrete Verheißung der Befreiung von der Sklaverei. Und er sieht sich von Gott auserwählt, diese Befreiung durchzuführen.

    "Gott hat oftmals zu mir gesprochen und meine Geschicke gelenkt. Nie hat er mir umständliche Mitteilungen gemacht oder ausführliche Befehle erteilt. Er hat zu mir vielmehr nur drei Worte gesagt: 'Ich bin da.' Und diese Worte waren es, die mir Kraft verliehen. Aus ihnen bezog ich ein geheimes Wissen, das mich in die Lage versetzte, zielstrebig seinen Willen zu erfüllen, wie ich ihn verstand, sei es Taufen oder Predigen, sei es Nächstenliebe oder Blutvergießen."

    Im Frühjahr 1831 deutet Nat Turner eine Sonnenfinsternis als göttlichen Auftrag, die Befreiung der Sklaven noch im gleichen Jahr durchzuführen. Am späten Abend des 21. August 1831 beginnen er und seine Gefolgsleute das Massaker an den Weißen. Nach 36 Stunden ist der Spuk vorbei. Die Aufrührer müssen sich der Übermacht des zu Hilfe geholten Militärs stellen. Viele von ihnen werden sofort erschossen, andere während der nächsten zwei Wochen gehenkt. Der Einzige der fliehen kann, ist Nat Turner. Sechs Wochen lang versteckt er sich in den nahen Wäldern. Ende Oktober spürt ihn ein Farmer in einem Erdloch auf. Wegen Mordes und Umsturzversuches wird Nat Turner zum Tode am Strang verurteilt. Als das Gericht ihn fragt, ob er nach diesem Urteil seine Taten nicht bedaure, antwortet er:

    "Wurde nicht Jesus auch gekreuzigt?"

    Am 11. November 1831 wird das Urteil vollstreckt. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten noch vier Millionen Schwarze als Sklaven auf den Plantagen der Südstaaten. Erst nach dem Ende des Bürgerkrieges 1865 wird mit einem Verfassungszusatz die Sklaverei abgeschafft.