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Amtsantritt von Jair Bolsonaro
Gefahr für die brasilianische Demokratie?

Am 1. Januar tritt Jair Bolsonaro in Brasilien das Amt des Präsidenten an. Gewählt wurde der ultrarechte Ex-Militär von vielen, weil er versprach, Recht und Ordnung zu schaffen. Doch viele Menschen sorgen sich nun wegen der militärischen Ausrichtung des Kabinetts um Menschenrechte und Demokratie.

Von Victoria Eglau | 28.12.2018
    Der künftige Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, macht während des Wahlkampfs Fotos mit Soldaten in Sao Paulo
    Militarisierung der Politik? Der künftige Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, suchte schon während des Wahlkampfs die Nähe zum Militär (AFP/ Nelson Almeida)
    Brasilien, am letzten Sonntag im Oktober: Millionen von Menschen feiern ausgelassen den Wahlsieg des ultrarechten Ex-Militärs Jair Messias Bolsonaro. Seine Anhänger schwenken brasilianische Fahnen und rufen Mito, Mito. Ihr "Mythos" Bolsonaro hat die Stichwahl gegen den Kandidaten der linken Arbeiterpartei, Fernando Haddad, mit 55 Prozent der gültigen Stimmen gewonnen.
    Die Welt schaut an jenem Abend fassungslos nach Brasilien. Was ist dort geschehen? Und: Wie wird die politische Zukunft des größten Staates Lateinamerikas aussehen? Jair Bolsonaro, der während seiner 29 Jahre als Kongress-Abgeordneter mehrfach die brasilianische Militärdiktatur verherrlicht hatte, bemüht sich am Wahlabend, Ängste zu zerstreuen. In einer abgelesenen Rede bekennt er sich zu Verfassung und Demokratie:
    "Ihr werdet meine Zeugen sein: Meine Regierung wird die Verfassung, die Demokratie und die Freiheit verteidigen. Dies ist ein Versprechen, und ein Schwur vor Gott."
    Wirtschaftskrise als eine Ursache für Wahl Bolsonaros
    Am kommenden Dienstag, dem ersten Januar, wird Jair Messias Bolsonaro sein Amt antreten. Lucia, eine 66-jährige Ingenieurin aus einem wohlhabenden Viertel der Metropole São Paulo, hat damit überhaupt gar kein Problem. Sie setzt Hoffnungen in Bolsonaro, sie hat ihn gewählt – zwar nicht im ersten Wahlgang, aber in der Stichwahl.
    "Die Wahrheit ist, ich habe gegen die Arbeiterpartei PT gestimmt. Denn mit dem, was die PT während ihrer Regierungszeit gemacht hat, war ich absolut nicht einverstanden. Das heißt nicht, dass ich für Bolsonaro bin. Ich hoffe einfach, dass er eine ganz andere Politik macht und sich Brasiliens Lage bessert."
    Und die herabwürdigenden Kommentare gegenüber Frauen? Bolsonaro sei ein ungehobelter Macho und an seinem Auftreten müsse er noch arbeiten, findet Lucia. Viel wichtiger ist ihr aber, dass Brasilien unter dem künftigen Präsidenten, der ein ultraliberales Wirtschaftsprogramm angekündigt hat, wieder wächst – und dass es auch für sie persönlich wieder aufwärts geht. Denn wegen der schweren Wirtschaftskrise erhält die Ingenieurin heute nur ein Zehntel der Aufträge, die sie vor vier Jahren bekam.
    Der Soziologe Reginaldo Prando
    "Die brasilianische Gesellschaft kann sich unabhängig von der Regierung progressiv entwickeln”: der Soziologe Reginaldo Prandi (Victoria Eglau/Deutschlandradio)
    Stimmen wie die von Lucia haben Jair Bolsonaro zum Wahlsieg verholfen – allein mit den Stimmen seiner Anhänger hätte er es wohl nicht ins Präsidentenamt geschafft.
    "Ein Teil von Bolsonaros Wählern sympathisiert nicht mit ihm und seinen Ideen – ihre Stimmen gingen gegen die Arbeiterpartei! Ein wirklich sehr großer Teil von Bolsonaros Stimmen waren Stimmen gegen die PT", sagt der Demokratieforscher José Álvaro Moisés von der Universität São Paulo.
    Viele Analysten sehen das ähnlich – auch der bekannte Soziologe und Religionsforscher Reginaldo Prandi. An ihn ging die Frage, ob nicht Brasiliens politisch einflussreiche evangelikale Kirchen Bolsonaro den Wahlsieg bescherten. Hatten doch die meisten Pastoren und Fernseh-Prediger bei ihren Anhängern massiv für den Rechtspolitiker geworben.
    "Die Evangelikalen machen dreißig Prozent der Wählerschaft aus, und ein Großteil hat Bolsonaro den Vorzug gegeben. Aber nein, nein, sie haben nicht den Ausschlag für Bolsonaros Wahlsieg gegeben. Den Ausschlag gegeben haben Frauen, Männer, Weiße, Schwarze, Studenten, Händler, die die PT nicht mehr an der Macht wollten."
    Korruption tief verwurzelt im politischen System
    Reginaldo Prandi sagt das nicht gerne. Einst stand er selbst der Arbeiterpartei nah, unterstützte ihren Gründer Lula da Silva in mehreren Wahlkämpfen. Doch als 2005 der erste große Korruptionsskandal aufflog, nahm Prandi Abstand von der PT. Die Korruption ist der Arbeiterpartei zum Verhängnis geworden. Im ganzen politischen System Brasiliens ist sie tief verwurzelt, alle Parteien sind betroffen, aber nach fast fünfzehn Jahren Regierungszeit wird sie vor allem der PT angelastet.
    Korruption, Wirtschaftskrise, ein Wiederanstieg der Armut – reicht das aus, um den Triumph eines ultrarechten Ex-Militärs zu erklären, der der Demokratie bisher nicht sonderlich zugetan schien?
    "Der Anteil der Brasilianer, der sagt, dass er auch ein nichtdemokratisches Regime unterstützen würde, wenn es denn wirtschaftlich mehr Resultate bringt, der ist stark angestiegen. Und heute ist es so, dass nur noch eine Minderheit der Brasilianer sagt, dass sie auf jeden Fall in einem demokratischen System leben möchten."
    Die beunruhigende Entwicklung, die der deutsch-brasilianische Politologe Oliver Stuenkel von der Privathochschule Fundaçao Getulio Vargas erwähnt, hat schon vor vielen Jahren begonnen. Der Demokratieforscher José Álvaro Moisés von der Universität São Paulo fragt seine Landsleute seit Jahren in wissenschaftlichen Umfragen, wie es um ihr Vertrauen in die demokratischen Institutionen steht. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Das Ansehen von Kongress, Parteien oder dem Obersten Gerichtshof ist katastrophal.
    "Wenn dieses Misstrauen zu lange anhält und sogar wächst, kann das die Bedingungen dafür schaffen, dass ein autoritäres Regime an die Macht kommt. In unseren Umfragen sehen wir, dass seit dreißig Jahren etwa 13 bis 16 Prozent der Brasilianer einem autoritären Regime dem Vorzug geben würden. Das ist genau die autoritäre Basis unserer Gesellschaft, von der aus Bolsonaro dann neue Wähler erobert hat."
    Wie rechts und wie autoritär Jair Bolsonaros Regierung sein wird, in welche Richtung sie sich entwickeln könnte, darüber kann heute, wenige Tage vor seinem Amtsantritt, nur spekuliert werden. José Álvaro Moisés wagt eine Prognose:
    "Nach meiner Einschätzung hat die Regierung auf jeden Fall eine autoritäre Mentalität, aber das muss nicht heißen, dass Bolsonaro ein Faschist ist oder dass er auf jeden Fall ein Militärregime installieren wird. Aber ein autoritärer Präsident kann Risiken für die Demokratie bedeuten."
    Militärs als "gut ausgebildete Technokraten"
    Die hohe Militärpräsenz in Bolsonaros Kabinett wird gerade im Ausland als beunruhigend wahrgenommen: Sieben ehemalige Angehörige der Streitkräfte, darunter vier Ex-Generäle, werden Ministerämter bekleiden – etwa für Infrastruktur, Bergbau und Energie oder Wissenschaft und Technologie.
    Doch viele Brasilianer beunruhigt das gar nicht – einer von ihnen: der Politologe Alberto Pfeifer von der Universität São Paulo. Die Minister seien gut ausgebildete Technokraten, meint er. Viele Brasilianer vertrauten den Militärs und hätten die Hoffnung, dass diese endlich die exorbitant hohe Kriminalität in den Griff bekämen:
    "Die Militärs haben in unserer Gesellschaft den Ruf, dass sie am besten für die öffentliche Sicherheit sorgen können. Der Polizei ist es nicht gelungen, der Kriminalität Herr zu werden. Wer kann das? Die Militärs. Und: Die brasilianischen Militärs genießen die Reputation, sich aus der Korruption herausgehalten zu haben. Sie gelten als sauber, korrekt – und effizient. Die Erwartungen sind also groß, dass sie in der Nationalregierung effizient arbeiten werden."
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    "Nur noch eine Minderheit der Brasilianer sagt, dass sie auf jeden Fall in einem demokratischen System leben möchten": Der Politologe Oliver Stuenkel (Victoria Eglau/Deutschlandradio)
    Andere weisen lieber auf die Risiken hin. Der Demokratieforscher José Álvaro Moisés gehört zu jenen Brasilianern, die die starke militärische Prägung der Regierung von Jair Bolsonaro sehr wohl besorgt stimmt:
    "Ich sehe das Risiko einer Militarisierung der Politik. Wir wissen nicht, wie diese Minister mit militärischen Background reagieren werden, wenn der Kongress Nein zu einer ihrer Initiativen sagt. Ich will nicht sagen, dass sie gleich Panzer schicken werden. Aber Militärs sind nicht fürs politische Verhandeln ausgebildet, sondern für die Konfrontation. Noch können wir nicht sagen, was uns erwartet, ob es ein Desaster wird. Aber das Risiko existiert."
    Starke, demokratische Gegengewichte zur potenziell autoritären brasilianischen Regierung hält José Álvaro Moisés für unerlässlich: Einen gut funktionierenden Kongress und Höchsten Gerichtshof. Und eine Opposition, deren Legitimität von der Regierung anerkannt werde und die ihre Oppositionsrolle aktiv ausfülle.
    "Insgesamt kann man schon sehen, dass das Parlament auch historisch in der Lage ist, die Präsidenten zu bremsen oder auch zu stürzen. Das zeigt, dass die Institutionen insgesamt funktionieren", sagt Oliver Stuenkel, Politikwissenschaftler von der Fundaçao Getulio Vargas.
    Erschüttertes Vertrauen in demokratische Institutionen
    Das Problem sei das inzwischen extrem tief gesunkene Ansehen dieser Institutionen, "das zu einer Lage führen kann, dass eine Verletzung bestimmter Checks and Balances, bestimmter Regeln, die die Exekutive, also den Präsidenten, einengen, dass die heute nicht mehr zu großen Protesten führen würde. Und das ist letztendlich ausschlaggebend, inwieweit die Zivilgesellschaft auf die Straße gehen würde, inwieweit Druck auf den Präsidenten ausgeübt würde, wenn es tatsächlich zu einer solchen Überschreitung kommt."
    Es ist keine Anti-Bolsonaro-Demo, sondern ein ganz normaler Sonntag auf der Avenida Paulista, der wohl emblematischsten Verkehrsader von São Paulo. Museen, Universitäten, Bürotürme, Banken, Kulturzentren und Shopping-Center reihen sich hier aneinander.
    Sonntags wird die Avenida Paulista für den Verkehr gesperrt. Alle paar Meter spielen Bands und ein buntes Volk von Fußgängern und Radfahrern, Familien und Freundesgruppen, hetero- und homosexuellen Paaren, Schwarzen, Weißen, Indigenen und Menschen asiatischer Herkunft nimmt die Straße in Besitz: Brasilien in seiner ganzen Vielfalt.
    "Ich habe große Angst, denn ich bin schwarz und ich bin schwul, und dieser Präsident ist gegen all diese Eigenschaften, die ich mit mir herumschleppe", sagt Gibson, ein 31-jähriger Afrobrasilianer, der mit seiner Mutter über die Avenida Paulista spaziert. Gibson arbeitet in der Verwaltung einer Apotheke und schreibt in seiner Freizeit Theaterstücke. Er hat Angst, weil der künftige Präsident und seine Familie und Mitstreiter in der Vergangenheit skandalöse Bemerkungen über Schwarze und Homosexuelle gemacht haben. Bereits heute sind diese Gesellschaftsgruppen in Brasilien Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt – Gibson und Millionen von anderen fürchten, es könnte nun schlimmer werden.
    Ein paar hundert Meter weiter an der Avenida Paulista sitzt der 33-jährige Marcos in einer Pizzeria. Kurz vor Weihnachten hat er überstürzt seinen langjährigen Partner geheiratet. Zwar hatten die beiden immer mal wieder über Hochzeit gesprochen, aber Bolsonaros Sieg hat ihre Pläne beschleunigt – und nicht nur ihre: Es gab eine wahre Hochzeitswelle. Unter Homosexuellen geht die Sorge um, dass bereits eroberte Rechte wieder rückgängig gemacht werden könnten.
    "Die gleichberechtigte Ehe ist in Brasilien kein Gesetz, sondern basiert auf einer Gesetzesinterpretation des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 2011. Schwule und Lesben können heiraten, aber dieses Recht ist schwach, weil es kein Gesetz gibt. Ich weiß nicht, ob uns Bolsonaro wirklich das Recht auf Heirat nehmen will. Kann sein, dass seine Regierung sich da nicht einmischt. Aber das Recht zu verlieren, wollten mein Partner und ich nicht riskieren."
    Reaktionäre und rückwärtsgewandte Positionen
    Dass mit Damares Alves eine evangelikale Pastorin Ministerin für Frauen, Familien und Menschenrechte wird, lässt eine erzkonservative Familien- und Moralpolitik erwarten. Alves` Ernennung ist eine Dankesgeste an diese Kirchen, die Bolsonaro im Wahlkampf unterstützt hatten. Vor allem die Pfingstkirchen vertreten zum Teil reaktionäre und rückwärtsgewandte Positionen: Gegen ein Abtreibungsgesetz etwa, und gegen eine progressive Sexualaufklärung in den Schulen.
    Damares Alves ist nicht nur Pastorin, sondern auch Juristin. Die Pastorin werde sie nicht mit ins Ministerium nehmen, hat sie erklärt. Die Abtreibungsgegnerin aber vermutlich schon. Demokratieforscher José Álvaro Moisés:
    "Die künftige Ministerin ist gegen die Einführung eines Abtreibungsrechts. Sie ignoriert, dass es hier um ein Recht auf freie Entscheidung der Frauen geht, und um ein Problem öffentlicher Gesundheit. Die evangelikalen Kirchen haben es oft gesagt: Sie wollen Einfluss auf die Politik nehmen! Aber Brasilien ist nach seiner Tradition und Verfassung ein laizistischer Staat! Eine Pastorin als Ministerin, mit ihrem ganzen religiösen und ideologischen Gewicht, macht den Verlust an Laizismus offensichtlich."
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    Unter Homosexuellen geht die Sorge um, dass bereits eroberte Rechte wieder rückgängig gemacht werden könnten: der Afrobrasilianer Gibson mit seiner Mutter auf der Avenida Paulista (Victoria Eglau/Deutschlandradio)
    Auf der Avenida Paulista hadert der junge Afrobrasilianer Gibson mit dem Einfluss der evangelikalen Kirchen, der auch seine eigene Familie erfasst hat: "Eine Verwandte von mir hat eine Tochter, die dank der Quoten für schwarze, arme Schüler an der Uni studiert hat. Das war eine Politik der Arbeiterpartei. Aber jetzt ist meine Verwandte evangelikal und hat Bolsonaro gewählt!"
    Brasilianische Menschenrechts-Organisationen erwarten unter dem neuen Präsidenten einen Rückgang politischer Maßnahmen zur gezielten Förderung benachteiligter Gesellschaftsgruppen. Die Geschäftsführerin der Menschenrechts-NGO Conectas, Juana Kweitel:
    "Die Politik der Zugangsquoten für Minderheiten, vor allem Afrobrasilianer, an den Universitäten sehe ich in Gefahr. Ebenso die Rechte der indigenen Völker und die bisherige Politik des Staates, ihr Land anzuerkennen und einzugrenzen."
    Jair Bolsonaro hat vor kurzem bereits erklärt, dass er von "Reservaten, in denen Indigene wie Tiere im Zoo gehalten würden" nichts halte. Weder die Aufrechterhaltung der ethnischen Vielfalt noch der Umweltschutz sind Prioritäten für den künftigen brasilianischen Präsidenten, der auch angedroht hat, das Pariser Klimaschutz-Abkommen zu verlassen.
    Bolsonaro nennt Umweltschützer "Extremisten"
    Juana Kweitel von Conectas ist pessimistisch:
    "Brasilien ist laut der britischen NGO Global Witness schon heute das Land, in dem die meisten Umwelt-Aktivisten ermordet werden. Die Gewalt gegenüber Umweltschützern ist riesig. Und dennoch will der Präsident, dass nun jeder Brasilianer eine Waffe tragen darf und er nennt Umweltschützer Extremisten!"
    Menschenrechts-Expertin Kweitel fürchtet, dass auch die Gewalt gegenüber Aktivisten in Landkonflikten zunehmen könnte. Und sie denkt an die Bevölkerung der Favelas, der Armenviertel, die oft in der Schusslinie des Kriegs zwischen Drogenbanden und Sicherheitskräften landen. Eines Kriegs, der schon unzählige Todesopfer gefordert hat, darunter viele Zivilisten. Und nicht selten stammen die tödlichen Kugeln aus Gewehren der Polizei oder des Militärs.
    "Eine Tendenz zur Militarisierung der öffentlichen Sicherheit sehen wir schon seit einigen Jahren. Bolsonaro will den Einsatz des Militärs im Kampf gegen die Kriminalität nun verstärken. Und er strebt an, dass Militärs, die während der Operationen Menschen töten, sich dafür nicht rechtlich verantworten müssen. Das beunruhigt mich am meisten."
    Am 1. Januar wird der Ultrarechte Jair Bolsonaro den Amtseid als brasilianischer Präsident ablegen. Hunderttausende seiner Anhänger könnten aus diesem Anlass in die Hauptstadt Brasilia pilgern. In den kommenden Wochen wird sich der bei einem Messer-Attentat verletzte Bolsonaro noch einmal operieren lassen und den Schongang einlegen müssen. Irgendwann aber wird er durchstarten, und was er dann aus Brasilien machen könnte, stimmt auch den Politologen Oliver Stuenkel von der Fundaçao Getulio Vargas nicht zuversichtlich:
    "Die Gefahr in Brasilien ist jetzt, dass es ganz viele kleine Schritte gibt, die die Demokratie aushöhlen werden. Dass bestimmte Zeitungen keine öffentlichen Gelder mehr erhalten, weil sie sich sehr kritisch gegenüber der Regierung positioniert haben. Oder auch eine sehr aggressive Rhetorik gegenüber der Opposition und den Journalisten, die dann zu mehr Gewalt führen kann gegenüber Oppositionspolitikern."
    Reginaldo Prandi, Soziologe von der Universität São Paulo, versucht sich – mit einer gehörigen Portion Optimismus – an einer positiven Version von Bolsonaros Regierung:
    "Falls es ihm gelingt, die Arbeitslosigkeit zu senken, die Wirtschaft anzukurbeln, Investitionen nach Brasilien zu holen und die hohe Gewaltrate zu senken, dann müsste man seine Regierung wohl gut nennen. All die sozialen Rückschritte muss dann die Zivilgesellschaft abfedern. Ich denke, die brasilianische Gesellschaft ist dafür reif genug und kann sich unabhängig von der Regierung progressiv entwickeln."