Freitag, 19. April 2024

Archiv

Amy Coney Barrett und die "People of Praise"
Die fromme Richterin

Der US-Senat hat die konservative Juristin Amy Coney Barrett als neue Verfassungsrichterin bestätigt. Die Kandidatin von US-Präsident Trump hat eine charismatisch-christliche Gemeinschaft berühmt gemacht: Wer steckt hinter "People of Praise"? Wie wird eine kleine Kirchengruppe die Politik und Gesellschaft prägen?

Von Sinje Stadtlich | 27.10.2020
US-Präsident Donald Trump spricht, während Amy Coney Barrett, Associate Justice am Obersten Gerichtshof der USA, während einer feierlichen Vereidigung auf dem South Lawn des Weißen Hauses am 26. Oktober 2020 in Washington, DC, zuhört.
Fragen nach der Religion haben die Demokraten in der Anhörung von Amy Coney Barrett ausgespart - über mögliche Einflüsse auf die künftige oberste Richterin wird nun spekuliert (AFP / Getty Images / Alex Wong)
Wohl sehr wenige Amerikaner hatten je von "People of Praise" gehört, bevor bekannt wurde, dass Richterin Amy Coney Barrett Mitglied dieser Gruppe ist. Als "eng verbundene" oder "verschlossene" christliche Gemeinschaft bezeichnen sie viele Medien, und diese Verschlossenheit befördert Spekulationen darüber, was genau die Mitglieder glauben und wie sie leben.
1971 in Indiana gegründet, ist "People of Praise" keine eigentliche Kirche, sondern eine christliche Gemeinschaft, deren Mitglieder verschiedenen Religionen angehören – 90 Prozent von ihnen sind allerdings Katholiken. Der Religions-Journalist Michael O’Loughlin hat sich für die Jesuiten-Zeitschrift "America Magazine" intensiv mit der Gruppe auseinandergesetzt.
Richterin und 'handmaid'
"Diese Gemeinschaft ähnelt eher dem pfingstkirchlichen Christentum als dem traditionellen Katholizismus. Die Mitglieder betonen, wie der Heilige Geist im Leben der Gläubigen wirkt. Zu ihren Praktiken gehören etwa Zungenrede, Heilungsgottesdienste und die Lobpreismusik. Das sind Menschen, die ihren Glauben intensiv jeden Tag leben wollen und nicht nur einmal am Sonntag in die Kirche gehen. Sie treffen sich in kleinen Gruppen zum Beten, und manche leben auch zusammen. "
Demokraten im US-Wahlkampf
Die Wahlkampfstrategie von Joe Biden, auf gläubige Wähler zuzugehen, mache unbedingt Sinn, sagte Nordamerika-Experte Michael Hochgeschwender im Dlf: "Katholiken wollen angesprochen werden".
Zuletzt sorgten Recherchen der Nachrichten-Agentur AP und der Washington Post für Aufsehen, wonach Richterin Amy Coney Barrett während ihrer Studienzeit im Haus eines der Gründer der "People of Praise" gelebt habe. Außerdem habe sie den Rang einer "handmaid" innegehabt, in der Organisation der "People of Praise" eine Art weibliche Mentorin, die jüngere Frauen in Glaubens- und Lebensfragen berät und leitet.
Vor allem ehemalige Mitglieder der Gemeinschaft haben sich in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet und die strenge Hierarchie kritisiert, die dort gelten würde. Manche sprechen von Unterdrückung.
Michael O’Loughlin: "Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, verteidigen 'People of Praise' als Gemeinschaft, in der sie ihr Leben ganz bewusst leben können. Aber ehemalige Mitglieder beklagen, dort werde sehr viel Kontrolle ausgeübt, vor allem von Männern über Frauen. Das ist nicht allzu transparent, und weil die Gruppe unabhängig von der institutionalisierten Kirche ist, kann es sein, dass charismatische Führer aufsteigen, die vielleicht für die Seelsorge nicht richtig ausgebildet sind und die deswegen dazu tendieren, ihre Mitglieder zu kontrollieren."
Lebenslange Bindung
Mitglieder geben fünf Prozent ihres Einkommens an die Gemeinschaft ab und legen nach einer Probezeit eine Art Versprechen ab, dass sie ihr Leben lang in der Gruppe bleiben wollen. Kritiker fürchten, die Ansichten der "People of Praise" – wie die Ablehnung von Abtreibungen oder von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften – könnten eine zukünftige Supreme-Court-Richterin Barrett in ihren juristischen Urteilen beeinflussen.
Michael O’Loughlin: "Sie hat gesagt, dass ihre Religion ihre Urteile nicht beeinflussen wird. Aber es ist legitim zu fragen, welchen Einfluss diese Gruppe auf sie hat. Es wäre völlig angemessen gewesen, wenn die Senatoren danach gefragt hätten – um zu verstehen, wer sie ist und warum sie welche Werte vertritt."
Trump und US-Juden im Wahlkampf Trotz seiner vermeintlich pro-israelischen Politik wenden sich viele Juden in den USA von Donald Trump ab. Auch, weil sie ihn dafür verantwortlich machen, dass die Zahl der antisemitischen Übergriffe in seiner Amtszeit stark gestiegen ist.
Doch Barretts Religion haben die demokratischen Senatoren in der Anhörung in der vergangenen Woche wohlweislich ausgespart. 2017, als sie zur Richterin am Berufungsgericht ernannt wurde, hatte die Demokratin Dianne Feinstein die Kandidatin Barrett noch explizit auf ihre Religion angesprochen:
"Wenn man Ihre Reden liest, bekommt man den Eindruck, dass es eine Glaubenslehre ist, die aus Ihnen spricht. Und das ist von Bedeutung, gerade wenn es um wichtige Themen geht, für die viele Menschen in diesem Land sehr lange gekämpft haben."
Die Glaubensfrage
Damit hatten die Demokraten damals viel Kritik auf sich gezogen. Nordamerika-Experte Michael Hochgeschwender von der Ludwig-Maximilians-Universität München sagte dazu kürzlich im Deutschlandfunk:
"Sie haben einen schweren Fehler gemacht, als bei der Ernennung zum Federal Circuit Court Dianne Feinstein aus Kalifornien nach dem Glauben der Kandidatin Barrett gefragt hat, weil das verstößt tatsächlich gegen die amerikanische Verfassung. Religiöse Testakte darf es nicht geben. Die hat es im 19. Jahrhundert mal gegeben, und das hat der Supreme Court damals verboten. Also bewegt man sich auf sehr schwankendem Grund, demokratischerseits."
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Wahlen in den USA (picture alliance / Wolfram Steinberg)
Viele Republikaner nutzen diesen Fauxpas bis heute, um die Demokraten als religionsfeindlich zu kritisieren. Präsident Donald Trump verteidigte Barrett noch bei einer Pressekonferenz Ende September gegen vermeintliche Angriffe auf ihren Glauben:
Donald Trump (Pressekonferenz vom 28.09.2020): "The Catholic church is very united, they are very thrilled that we chose Amy... (...) I thought we settled this with the election of John F. Kennedy, but seriously they are going after her Catholicism. I will stand with her, fight with her."
Die katholische Kirche stehe hinter seiner Entscheidung für Amy Barrett, sagt Trump. Er hätte gedacht, seit der Wahl des Katholiken John F. Kennedy zum Präsidenten vor 60 Jahren, habe sich etwas verändert. Aber sie nähmen sie tatsächlich wegen ihres Katholizismus ins Visier. Er aber stehe zu ihr und kämpfe für sie. In der Anhörung im Senat versuchten die Demokraten dagegen vor allem aufzuzeigen, welche sozialpolitische Folgen eine Ernennung Barretts haben könnte, allen voran in der Krankenversicherung.
Mit der Ernennung von Amy Coney Barrett sind sechs der insgesamt neun Richter am Obersten Gerichtshof Katholiken. "Für die längste Zeit in der Geschichte gab es überhaupt keine Katholiken am Supreme Court," sagt Michael O’Loughlin, "dann wurde einige Jahrzehnte lang ein Sitz quasi für einen Katholiken freigehalten. Und jetzt könnten es passieren, dass wir eine starke katholische Mehrheit am Obersten Gericht bekommen. Allerdings stehen diese katholischen Richter für eine ausgesprochen große Bandbreite politischer Ideologien und Rechtsauffassungen. Statt sich auf die Religion der Richter zu konzentrieren, sollte man sich vielleicht eher ihre juristische Arbeit anschauen."