Analoge Spiele in digitalen Zeiten

Wohin die Würfel fallen

44:01 Minuten
Eine Sammlung von bunten Würfeln in verschiedensten Formen.
Brett- und Gesellschaftsspiele haben nach wie vor eine große Fangemeinde © Martin Stengel
Von Martin Stengel · 17.12.2021
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Zocken, Gamen, Daddeln. Das digitale Spiel ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber wie steht’s ums analoge Brettspiel? Interessiert sich dafür noch jemand? Ja, Brett- und Gesellschaftsspiele haben eine große Fangemeinde. Gespielt wird nicht nur im privaten Kreis, sondern auch öffentlich.
Auch wenn es inzwischen zahlreiche Brettspiele für Einzelspieler gibt, macht doch für viele Fans dieses Zeitvertreibs das gemeinsame Spielerlebnis den besonderen Reiz aus. So auch für die Spielenden des „Alibaba“-Spieleclubs. Mit seinen deutschlandweit rund 800 Mitgliedern lädt er regelmäßig zu Spieletreffs ein.
Dabei legt der Club großen Wert auf eine offene Spielkultur: „Es gibt wenig Absprachen vorher, dass irgendwas Bestimmtes gespielt wird. In der Regel trifft man sich vor den Kisten und dann sagt irgendwer: ‚Ich würde gern das spielen‘, und drei Leute setzen sich dazu,“ erklärt Dirk Vahlenkamp vom Kölner Ableger des Clubs. Das können Freunde und Bekannte sein, aber auch Wildfremde. Hier treffen hartgesottene Spielenerds auf unbedarfte Anfänger. Die Hauptsache: Alle haben Lust auf einen gemeinsamen Abend voller Brettspiele.
Im Vordergrund sind Spielkartenstapel zu sehen, während im Hintergrund an drei Tischen gespielt wird.
Bei Spieleabenden treffen hartgesottene Spielenerds auf unbedarfte Anfänger.© Martin Stengel

Es geht nicht nur um Spielgeld

Angesichts der steigenden Verkaufszahlen während der Pandemie, steht außer Frage, dass sich mit Brettspielen Geld verdienen lässt. 2020 wuchs der Umsatz in Deutschland um rund 20 Prozent: Dieses Jahr erwartet die Branche Verkäufe im Wert von rund 700 Millionen Euro. Doch werden nicht alle Spieleautorinnen und -autoren reich mit ihren Ideen oder können überhaupt vom Spieleentwickeln leben. Es ist harte Arbeit, ein Spiel von der Idee über den Prototypen, der hunderte Stunden lang getestet werden muss, zur Marktreife und letztlich auch an einen Verlag zu bringen. Und selbst wenn es gelingt, am Ende ein Spiel in den Verkaufsregalen unterzubringen, ist es nicht selbstverständlich, dass auch der Name des oder der Entwicklerin auf der Spielebox steht, erzählt Spieleautorin Rita Modl. Sie führt unseren Autor über die größte Publikumsveranstaltung für nicht-elektronische Spiele in Essen – kurz SPIEL und versucht, ihre Spieleprototypen den Verlagen schmackhaft zu machen.

Spielend durch halb Europa

Die Messe zieht aber auch internationales Publikum an: Französische Verlage präsentieren ihre Spiele italienischen, japanischen und russischen Besuchern – oder dänischen: Mit dem „Bastard Café“ aus Kopenhagen reist seit 2008 jährlich eine Gruppe von ca. 100 Brettspielfans nach Essen und belegt dabei auch gerne mal eine halbes Hotel. Vor Ort decken sie sich mit Spieleneuheiten ein und verbringen gemeinsame Abende in der Hotel-Lobby, um diese gleich auszuprobieren. Denn die Gemeinschaft ist das große Plus der analogen Spiele gegenüber den digitalen, betont Peter Møller: „Für mich geht es beim Brettspielen darum, mit anderen Zeit zu verbringen, Quatsch zu reden und Spaß zu haben. Das geht online nicht so richtig. Das ist nicht das gleiche, wie mit deinen Freunden abzuhängen. Mir geht es mehr ums soziale Miteinander.“ Er ist Spielerezensent aus Leidenschaft und betreibt seit Jahren ein eigenes Blog, um anderen Spielebegeisterten den Weg durch den Spieledschungel zu erleichtern.
Eine Messehalle von oben fotografiert: Es befinden sich mehrere Tische im Raum, an denen verschiedene nicht-elektronische Spiele gespielt werden.
Die SPIEL in Essen - Die größte Publikumsveranstaltung für nicht-elektronische Spiele © Martin Stengel

Am Anfang war das Spiel

Aber warum spielen wir? Die meisten Spielenden führen den Spaß und die Geselligkeit an. Aber steckt da noch mehr dahinter? Reporter Martin Stengel hat diese Frage mit Prof. Dr. Jens Junge erörtert. Jens Junge ist Gründer des Instituts für Ludologie in Berlin, das sich mit dem spielenden Menschen beschäftigt, dem Homo ludens. Er sieht im Gesellschaftsspiel die Möglichkeit, Prozesse zu erlernen, mit denen wir uns auch im Alltagsleben ständig beschäftigen müssen: „Nach welchen Spielregeln wollen wir zusammenleben? Das ist ein permanenter Diskussionsprozess und der wird auch in Brettspielen ausgehandelt.“

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