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Analyse der SPD nach der Bundestagswahl
"Wir müssen eine klare Programmatik haben"

Die späte Benennung des Kanzlerkandidaten Martin Schulz sei nicht der größte Fehler gewesen, sagte SPD-Politikerin Wiebke Esdar im Dlf mit Blick auf den Bericht einer externen Beratergruppe über Versäumnisse der SPD im Bundestagswahlkampf. Der Partei habe es an klaren inhaltlichen Vorstellungen gefehlt.

Wiebke Esdar im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.06.2018
    Leere Stuhlreihen sind am Vortag des Außerordentlichen Bundesparteitags der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) in der Tagungshalle zu sehen.
    Externe Experten haben monatelang die internen Fehler der SPD analysiert (dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
    Armbrüster: Frau Esdar, kann die SPD das - aus Fehlern lernen?
    Esdar: Das haben wir uns auf jeden Fall vorgenommen, und ich selber persönlich bin auch überzeugt davon, dass wir das können. Zumindest ab heute können wir sagen, wir haben eine richtig gute Analyse dafür, und ich glaube, wenn man aus Fehlern lernen will, dann braucht man erst mal eine gute, ehrliche, offene Analyse. Die haben uns die Externen, die wir beauftragt haben, jetzt geliefert und dann müssen wir das jetzt umsetzen, was sich daraus ergibt.
    Armbrüster: Warum braucht man denn dafür Externe, um solche Fehler rauszufinden?
    Esdar: Weil der Blick, den Externe auf das, was man an Handlungen vollbracht hat, aber vor allem natürlich auch in einem Wahlkampf, wie es nach außen wirkt und wie es von außen wahrgenommen, weil das, glaube ich, Leute von extern noch mal ganz anders beurteilen können, und weil Externe natürlich den Vorteil haben, dass sie nicht mit irgendwelchen Loyalitäten oder irgendwelchen eigenen Interessen oder sonst irgendwie mit der Sache verbandelt sind, sondern weil sie da unabhängig sind.
    Armbrüster: Das heißt, man kann aber auch zusammenfassend festhalten: Die gesamte SPD-Spitze hat da grobe Fehler gemacht im vergangenen Bundestagswahlkampf.
    Esdar: Zu dem Entschluss, dass ziemlich viele grobe Fehler gemacht worden sind, kommt die Analyse. Das ist aber natürlich eine Sache, die jetzt für uns heute nicht, als der Bericht vorgelegt wurde, überraschend war, denn wir haben ein schlechtes Ergebnis eingefahren und wir haben, ehrlich gesagt, auch nicht nur einmal eine Wahl verloren, sondern wir haben schon über mehrere Jahre immer wieder schlechte Ergebnisse gehabt. Zumindest Ergebnisse, die nicht unserem Anspruch gerecht wurden, wie wir Politik machen wollen und wie wir die Menschen vertreten wollen. Von daher sind Fehler gemacht worden und das ist noch mal analysiert worden, denn es ist ja nicht nur wichtig zu wissen, ob Fehler gemacht wurden, sondern das Wertvolle ist ja, dass wir jetzt eine Analyse haben, aus der wir Rückschlüsse machen, warum sind sie gemacht worden, was müssen wir ändern, damit sie nicht noch mal passieren.
    "Rückschlüsse aus der Analyse ziehen"
    Armbrüster: Ein Kernfehler, der da identifiziert wird, ist die Benennung des Kanzlerkandidaten, und da wird eindeutig gesagt, das ist bei den letzten Wahlen eindeutig zu spät geschehen. Ist das korrekt?
    Esdar: Das, was da gesagt wird, ist korrekt. Ich sehe das auch ähnlich. Ich weiß nicht, ob das ein Kernfehler ist. Es ist einer von vielen. Das Entscheidende ist aber an der Stelle natürlich nicht nur der Zeitpunkt, sondern die Frage, wie betten wir eine Kanzlerkandidatur ein in eine Programmatik, in inhaltliche Vorstellungen, Positionierungen und eine Kommunikation, dass wir deutlich machen können, wo wir hin wollen. Wie passt das zusammen. Und damit das zusammenpasst, müssen wir natürlich erst auch einmal eine klare Programmatik und klare inhaltliche Vorstellungen, Kernbotschaften haben, und die haben in Gänze auch gefehlt, so dass ich sagen würde, der Zeitpunkt ist vielleicht irgendwie eine Frage, aber das ganze rund herum, wie man dann eine kohärente Strategie macht, die hat vor allem gefehlt. Ich glaube, das ist noch viel ausschlaggebender gewesen.
    Armbrüster: Über die Programmarbeit können wir gleich noch sprechen. Ich will gerade noch bei der Kandidatenfrage bleiben. Wenn ich das richtig verstehe, will die SPD jetzt tatsächlich schon im kommenden Jahr 2019 entscheiden, wer es bei der Bundestagswahl werden wird. Wie genau wollen Sie diese Kandidatensuche organisieren?
    Esdar: Das melden momentan die Pressevertreter, dass das 2019 passieren soll. Das wäre auch ein richtiger Rückschluss aus der Tatsache, dass man sagt, man möchte das zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl machen. Wie das Verfahren dazu sein wird, das ist ja eine der Fragen der Handlungsempfehlung, die wir jetzt als Rückschlüsse aus der Analyse ziehen wollen. Die haben wir im Parteivorstand noch nicht diskutiert. Das heißt, das werden wir in den nächsten Monaten zu gegebener Zeit dann noch mal diskutieren. Das steht zum heutigen Tag noch nicht fest.
    Armbrüster: Mich würde da Ihre Meinung interessieren.
    Esdar: Meine Meinung ist, dass wir uns jetzt in den nächsten Monaten erst mal in den inhaltlichen Prozess begeben müssen und dass ich es dann für wichtig halte, dass wir einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin haben, die zum Programm passt, die glaubwürdig das vertreten kann, was wir als Positionierung und Haltung als SPD wiedergefunden haben. Das heißt, wir müssen dann einen Prozess finden, wo das beides einher Hand in Hand geht. Da habe ich heute noch keinen fertigen Weg, weil aber auch dieser Weg Ergebnis eines Diskussionsprozesses im Parteivorstand sein wird.
    Armbrüster: Aber das heißt ja letztendlich auch, Frau Esdar, dass alle in der SPD, die das gesagt haben, wir sollten den Kandidaten nicht zu früh benennen, weil der wird dann verbrannt in der Öffentlichkeit, all diese Leute hatten eigentlich immer Unrecht?
    Esdar: Ich bin der Auffassung, dass es Vorteile hat, wenn man es früh macht. Es hat auch Nachteile, wenn man es früh macht, genauso wie es Vor- und Nachteile hat, wenn man jemanden später benennt. Wie ich eben schon sagte, ist das für mich schlüssig, was in der Analyse stand, dass man es besser hätte früher machen müssen, aber das alleine ist nicht die Erklärung für eine Wahlniederlage oder der alleinige Schlüssel für den nächsten Wahlerfolg der SPD.
    Armbrüster: Sind das alles Fehler, die vor allen Dingen unter der Ägide von Sigmar Gabriel passiert sind?
    Esdar: Wir wissen auf jeden Fall, dass es Fehler sind, die nicht irgendwie nur die letzten zwei Monate vor der letzten Bundestagswahl verlaufen sind. Aber dieser Bericht, der uns vorgelegt wurde, und die Diskussion, die wir heute im Parteivorstand geführt haben, waren vor allem, glaube ich, deshalb so gut, weil sie nicht nach einzelnen Schuldigen gesucht haben, sondern weil sie gesagt haben, wir gehen mit dem Ansatz heran, ganz viele tragen Verantwortung. Letztlich sind wir alle verantwortlich und aus der Perspektive gucken wir, wie wir strukturelle und gemachte Fehler aufarbeiten können, ohne mit dem Finger auf den einen oder den anderen zu zeigen. Denn letztlich ist das vielleicht für die Presse immer ganz spannend, wenn man auch den einen oder anderen Schuldigen zeigt, aber es bringt uns in der Analyse nicht weiter und das macht es auch nicht irgendwie konstruktiv, so dass wir daraus dann lernen können.
    "Der Prozess ist so weit schon gediegen"
    Armbrüster: Aber Sie machen es sich damit natürlich auch einfach?
    Esdar: Nee! Ich glaube, es ist einfacher, sich auf einen ehemaligen Parteivorsitzenden zu stützen und zu sagen, Du warst aber schuld, Du hast den und den Fehler gemacht. Die Frage ist ja an der Stelle auch, eine Partei ist meiner Wahrnehmung nach auch immer Team Play. Eine Partei ist auch immer die Gesamtheit der Personen, die Verantwortung getragen haben. Wir leben ja in einer Demokratie und nicht in einer Diktatur. Wenn man nur einen Schuldigen benennt und das als Erklärung hinmacht, dann ist die Chance, dass daraus gelernt wird, sehr gering. Also glaube ich, es ist eigentlich das Einfachere zu sagen, Du bist schuld, Du hast den Fehler gemacht. Wir müssen auch die Frage stellen, wenn eine Person einen Fehler gemacht hat, warum standen ganz viele Leute rundherum und haben das nicht verhindert.
    Armbrüster: Dann lassen wir das mal so stehen. Stichwort Programmatik, programmatische Erneuerung der SPD. Da läuft ja bislang noch nicht so besonders viel, oder?
    Esdar: Ja. Da wird jetzt hinter den Kulissen viel gearbeitet. Es hat natürlich seine Zeit gebraucht, um das vorzubereiten, einmal was den organisationalen Prozess angeht, weil wir ja mit ganz vielen auch neuen Formaten arbeiten, zentralen Debattencamps, dezentralen Debattencamps. Dann wird es jetzt Impulspapiere geben, danach Thesenpapiere.
    Armbrüster: Aber, Frau Esdar! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche! Wir sind jetzt wirklich schon von der Bundestagswahl einige Monate entfernt, schon in der neuen Großen Koalition. Warum ist da noch kaum etwas oder eigentlich gar nichts zu erkennen von Erneuerung bei der SPD?
    Esdar: Ich finde, es ist schon einiges zu erkennen. Das sind einmal die Sachen, die jetzt im Hintergrund vorbereitet wurden für den Prozess. Der Prozess ist so weit schon gediegen, dass die Lenkungsgruppen ihre Arbeit aufgenommen haben und am 25. 6. Die vier Impulspapiere vorstellen werden. Diese Impulspapiere gibt es, weil wir vorher auf dem Parteitag beschlossen haben, welches die Kernfragen sind, die vier, mit denen wir uns als erstes beschäftigen wollen. Das ist beschlossen worden. Und dann gibt es natürlich auch noch zahlreiche Initiativen. Ich habe mit elf anderen jungen Abgeordneten auch ein Thesenpapier rausgebracht, was viel diskutiert worden ist. Wenn man sich auf die Suche macht, dann findet man, glaube ich, schon ganz gut auch inhaltliche Debattenbeiträge.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.