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Andere Länder, andere Arbeitsmentalität

Wenn ein Konzern seine Produktion nach Tschechien, Polen oder Ungarn verlagert, bleibt bei der alten Belegschaft oft nur die Hoffnung, dass die Effizienz der Werke im Osten niedriger sei. Tatsächlich stehen viele Investoren aber vor ganz anderen Problemen: Die Arbeitsmentalität in den neuen EU-Ländern ist häufig eine andere als in Deutschland. Kilian Kirchgeßner berichtet.

15.02.2007
    Die Maschinen laufen auf Hochtouren beim Elektronik-Hersteller Kostal. Die imposante Fabrikhalle steht auf halber Strecke zwischen Prag und dem nordwestlich gelegenen Pilsen. Hier in Tschechien baut die deutsche Firma Fahrzeugschalter, mit denen sich Scheibenwischer, Blinker und Fernlicht bedienen lassen. Das Unternehmen ist – typisch deutsch – straff durchorganisiert: Eigene Werkbusse bringen die 1.800 Mitarbeiter aus den nahegelegenen Dörfern zur Fabrik. Sie arbeiten im Schichtdienst, die nagelneuen Maschinen laufen rund um die Uhr, sieben Tage pro Woche. Für viele Mitarbeiter ist die Firma Kostal der erste deutsche Arbeitgeber, bei dem sie beschäftigt sind.

    "Die Unterschiede zwischen Tschechen und Deutschen gibt es tatsächlich, erzählt ein junger Ingenieur. Mein Chef ist Deutscher, deshalb kann ich das ganz gut vergleichen. Er fordert immer, dass ich die Aufgaben ganz exakt erfülle, dass die Arbeit in der richtigen Reihenfolge läuft und eben genauen Regeln folgt."

    Die Genauigkeit der deutschen Arbeitsweise und der Fleiß prägten das überlieferte Deutschlandbild, das die Bewohner hier im böhmischen Dorf Zdice schon lange hatten. Die ersten eigenen Erfahrungen machten sie, als die großen Investoren am Ende der 90-er Jahre in Zdice angekommen sind.

    Dass heute die Maschinen auch in der Provinz auf Hochtouren laufen, hat mit dem Wirtschaftswunder zu tun, das die ganze mitteleuropäische Region erlebt. Allein in Tschechien sind 1.100 deutsche Unternehmen aktiv; in Polen, Ungarn und der Slowakei liegen die Zahlen ähnlich hoch. Zwischen fünf- und sechshundert Euro verdient hier ein Fließbandarbeiter, das war für viele Firmen ein schlagendes Argument. Von der Zentrale im Westen liegen die neuen Standorte im Osten häufig nur ein paar Autostunden entfernt. Trotz der geographischen Nähe müssen sich die Investoren allerdings auf eine ganz andere Arbeitsmentalität einstellen. So ging es auch Christoph Weiligmann. Seit zweieinhalb Jahren leitet er bei der Firma Kostal in Tschechien die Produktionsplanung.

    "Beim Aufsetzen des ersten Projekts, das wir hier hatten, bin ich ähnlich herangegangen, habe einen Terminplan aufgestellt mit 15 Wochen Laufzeit, habe den Projektfortschritt aufgesetzt und habe mir da auch – naja, nicht viele graue Haare eingefangen, aber ich wurde ein bisschen nervös, als der Projektfortschritt nicht da war."

    Am Ende klappte dann doch noch alles– und Christoph Weiligmann war um eine Erkenntnis reicher: Feste Strukturen und exakte Zeitpläne waren seine Mitarbeiter einfach nicht gewöhnt. Mit dieser Erfahrung steht er nicht alleine dar. Immer wieder klagen Investoren darüber, dass die Tschechen ganz anders an Aufgaben herangehen als ihre deutschen Kollegen. Vor allem über den Hang der Fließbandarbeiter zum Improvisieren klagen die deutschen Vorgesetzen – wenn ein Problem auftaucht, sagen sie, würden die Tschechen das lieber individuell lösen, ohne sich an die vorgesehenen Dienstwege zu halten. Ein konstanter Qualitätsstandard sei so nicht zu halten, sagt Bohumil Bednar. Er ist Tscheche und leitet bei der Firma Kostal die Produktion.

    "Die Tschechen waren in der Vergangenheit darauf angewiesen, dass sie in einer kritischen Situation aus wenigen Mitteln das beste machen, das ist die kommunistische Erfahrung. Die hat sich tief eingebrannt und viele sind stolz auf ihr Improvisationstalent. Wenn sie jetzt in einer deutschen Firma ein Problem schnell und unbürokratisch lösen, können sie einfach nicht verstehen, dass der Chef sie nachher dafür kritisiert. Sie sehen nicht, dass die deutschen Firmen schon historisch stärker auf Standards und feste Regeln achten."

    Um die Unterschiede zu überbrücken, setzen vor allem große Unternehmen auf eine systematische Fortbildung. Dabei sei vor allem wichtig, heißt es bei deutschen Investoren, dass am Ende die Qualität stimme. Auf welche Art sie erreicht wird, sei eigentlich zweitrangig, sagt Bernard Bauer, der Geschäftsführer der deutsch-tschechischen Handelskammer.

    "Wenn wir als Investor hier ins Land kommen, sollten wir uns schon ein bisschen bemühen, auf die Mentalität einzugehen. Wir können nicht erwarten, dass alles so ist wie bei uns zu Hause. Ich denke, dass ein gesunder Mix notwendig ist."

    Einen Erfolg immerhin haben die deutschen Investoren schon erzielt: Christoph Weiligmann von Kostal erzählt stolz, dass die Produktivität der tschechischen Werke stetig zunehme. Inzwischen liege sie schon fast so hoch wie in Deutschland.