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Andere Länder, andere Leiden

In Deutschland leben rund sieben Millionen Ausländer aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Wie die deutsche Bevölkerung auch leidet ein Teil von ihnen an psychischen Problemen. Wie solchen Menschen angesichts kultureller Unterschiede und einer oft nicht unerheblichen Sprachbarriere trotzdem geholfen werden kann - darüber diskutierten Experten in Witten-Herdecke.

Von Kay Müllges | 11.09.2007
    Andere Länder, andere Sitten - das ist ein Allgemeinplatz. Weit weniger im allgemeinen Bewusstsein verankert ist die Tatsache, dass sich die gleiche psychische Erkrankung, je nach kulturellem Hintergrund, in ganz unterschiedlichen Symptomen äußern kann. Depressive Menschen aus dem Mittelmeerraum beispielsweise haben sehr viel häufiger und stärker körperliche Beschwerden. In der Fachliteratur gibt es dafür sogar einen eigenen Begriff - morbus turkikum, also türkische Erkrankung, weiß Solmaz Golsabahi vom Marienhospital in Hamm:

    " Das ist Ausdruck dafür das man eine Besonderheit beispielsweise von Patienten aus der Türkei kennt. Die haben ständig Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und alle möglichen Schmerzen. Die werden geröntgt, betreiben Doktor-Shopping, sind bei allen möglichen medizinischen Fachgebieten, nur nicht beim Psychiater, weil sie ja sehr viel körperliche Beschwerden haben. "

    In so einer Situation die richtige Diagnose zu stellen erfordert vom Arzt und Psychiater nicht nur das Wissen um solche kulturellen Unterschiede.. Er muss darüber hinaus fähig sein oft sehr fremde und deshalb irreführende sprachliche Beschreibungen eines Gemütszustandes zu erkennen. Im Iran beispielsweise gibt es für das Gefühl tiefer Traurigkeit eine feststehende Umschreibung: Meine Leber ist zerstückelt. In vielen Fällen ist die Sprachbarriere so groß, das die Psychiater mit Dolmetschern arbeiten müssen. Trotz dieser Schwierigkeiten muss der Psychiater vor allem aber seine eigenen kulturelle Identität kennen, meint jedenfalls Solmaz Golsabahi:

    " Das ist das Problem. Die meisten Kollegen haben einen guten Vorsatz, wollen sofort den Anderen kennen lernen und stoßen da an Hindernisse, weil sie sich selbst nicht kennen und daher keine Übersetzungsmöglichkeiten haben. Sie können ja nicht anfangen ein Wörterbuch zu schreiben, wenn sie nicht die Übersetzungsvokabular zur Verfügung haben und genau dieses Problem haben wir. "

    Bislang gibt es nur wenige Zentren in Deutschland, die sich dieser Art transkultureller Psychiatrie widmen. Eines davon ist das Landeskrankenhaus in Göttingen. Dort werden psychisch kranke Migranten nicht etwa auf eine spezielle Ausländerstation gelegt, sondern, entsprechend ihrer Symptomatik, auf die normalen Stationen verteilt, die allerdings, auf die besonderen Bedürfnisse von Migranten beispielsweise in Bezug auf die Ernährung oder die Hygiene eingestellt sind. Eine zweite wichtige Säule des dort praktizierten Modells sei die gezielte Arbeit mit den oft erforderlichen Dolmetschern, meint Ibrahim Özkan vom Landeskrankenhaus Göttingen:

    " Wir qualifizieren Dolmetscher dahingehend, das sie im therapeutischen Setting auch arbeiten können. "

    Also aktiv an der Therapiesitzung teilnehmen

    " Qualifizieren heißt nicht nur erklären, wie diese Therapie läuft, sondern auch abfangen, weil ja die Inhalte der Therapie auch belastend sein können für die Dolmetscher, supervidieren wir die auch, wir führen die ein."

    Hinzu kommen regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen, auf denen die deutschen Ärzte mit den besonderen Herausforderungen der transkulturellen Psychiatrie bekannt gemacht werden. Gute Erfahrungen, so Ibrahim Özkan, habe man schließlich auch mit einer eher unkonventionellen weiteren Säule des Göttinger Modells gemacht, der Selbstorganisation der oft schwer traumatisierten, ausländischen Patienten:

    " Die fünfte Säule ist eben eine Gruppe von Migranten verschiedener Herkunft, die sich in einem recht geschützten Setting dann begegnen können und sich austauschen können über ihre Erfahrungen hier in Deutschland mit der psychischen Krankheit."