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Andreas Förster
„Zielobjekt Rechts“

Die Stasi war auch in Westdeutschland tätig, um Regierung, Parteien und Presse auszuspionieren. Doch auch die bundesdeutschen Rechtsextremen nahm die DDR-Staatssicherheit ins Visier. Und es gab Koalitionen zwischen ostdeutschen Spionen und westdeutschen Rechtsextremen.

Von Jens Rosbach | 14.10.2019
Buchcover/ Hintergrund: Springerstiefel
DDR-Staatssicherheit und westdeutsche Neonazis entdeckten Gemeinsames (Buchcover: Ch. Links/ Hintergrund: Imago/ Wölk Rangers )
Juli 1981. An der Bahnlinie Hamburg-Berlin hat sich eine ungewöhnliche Gesellschaft zusammengefunden: Westdeutsche Polizei- und Justizbeamte führen - in Handschellen - den Rechtsterroristen Udo Albrecht zur DDR-Grenze. Der Häftling gibt sich kooperativ, er will den Ermittlern ein Waffenversteck zeigen. Die Bewacher öffnen die Handschellen und drücken Albrecht eine Schaufel in die Hand.
"Plötzlich wirft Albrecht die Schaufel weg, rennt über die Gleise Richtung Grenzzaun. Dort öffnen DDR-Grenzer eine Tür, der Rechtsterrorist springt hindurch. Als seine Bewacher ihm folgen wollen, werden sie von den DDR-Soldaten mit vorgehaltener Waffe gestoppt."
Der Neonazi, der auch Bankräuber und Geiselnehmer war, wird in der DDR mit offenen Armen empfangen - schreibt Andreas Förster in seinem Buch "Zielobjekt Rechts". Zwar gehöre Albrechts Fluchtvorbereitung bis dato zu den ungelösten Rätseln des deutsch-deutschen Geheimdienstkrieges. Aber für den Autor und Journalisten ist klar: Die Stasi forschte nicht nur die rechte Szene im Westen aus und rekrutierte dort Agenten. Der angeblich antifaschistische Staat bot auch einigen Hitler-Fanatikern Unterschlupf. Förster bilanziert in einer Fernseh-Dokumentation, dass das MfS selbst international gesuchte Terroristen aufnahm.
"Sie erhielten Hilfe, sie erhielten Geld – und es ging auch nicht darum, in der Bundesrepublik eine neonazistische Gefahr zu entschärfen oder eine rechtsterroristische Gefahr zu entschärfen: Wenn die da drüben irgendwelche Bomben zünden, dann ist das nicht unser Problem!"
Stasi und Neonazis entdeckten Gemeinsamkeiten
Eigentlich spähte das Ministerium für Staatssicherheit die westdeutschen Neonazis aus, um Anschläge auf eigene Einrichtungen, vor allem DDR-Grenzanlagen, zu verhindern. Doch immer wieder entdeckten beide Seiten gemeinsame Interessen: den Hass auf die demokratische Bundesrepublik und auf die "Besatzungsmacht" USA. Vor allem aber wollten beide Seiten die Palästinenser unterstützen im Kampf gegen Israel. So ließ die Stasi den übergelaufenen Rechtsextremen Udo Albrecht in den Libanon weiterreisen, wo er bereits viele militante Freunde hatte. In Försters Buch heißt es, Albrecht sei seit 1970 PLO-Aktivist gewesen und habe, noch vor seiner Stasi-Kooperation, Terror-Konten in der Schweiz eröffnet.
"Daneben organisierte er auf diesen Reisen die Lieferung von Sprengstoff und Waffen an palästinensische Terrorzellen. Davon profitierte auch die Gruppe Schwarzer September, die in jener Zeit den Überfall auf die israelische Mannschaft im Olympischen Dorf von München vorbereitete."
Die Stasi informierte nur in Ausnahmefällen - und anonym - die West-Behörden über rechtsterroristische Anschläge, die vorab ausgekundschaftet wurden. Grundsätzlich, so zeigt das Buch, hing alles vom politischen Wind ab, der gerade wehte - und wie man international dastehen wollte. Als der DDR-Staatschef Erich Honecker Mitte der 80er Jahre in die USA reisen wollte und deshalb einen neuen Israel-Kurs einschlug, ließ die Stasi beispielweise einen ihrer West-Agenten, einen rechtsextremen Israelhasser, wieder fallen.
Einzelheiten über Unterwanderung von Ost und West
Zum Ende der DDR führte der Ost-Geheimdienst rund einhundert Inoffizielle Mitarbeiter in westdeutschen rechten Kreisen. Durch dieses Spionage-Netz habe die Stasi durchaus einige Anschläge auf die DDR-Grenze verhindern können, schreibt Autor Andreas Förster.
"Was die bisher ausgewerteten Akten jedoch nicht belegen, ist der immer mal wieder erhobene Vorwurf, die Stasi habe in irgendeiner Weise steuernden Einfluss auf die Neonazi-Bewegung in der Bundesrepublik genommen."
Die Durchdringung und Manipulation etwa der sogenannten Wehrsportgruppe Hoffmann oder der Wiking Jugend war für die Ost-Spione offenbar nicht einfach, auch wenn es immer mal wieder Überläufer gab. Erfolgreicher war nach MfS-Angaben der bundesdeutsche Verfassungsschutz: 17 eindeutige und 22 mutmaßliche V-Leute konnte die Stasi 1988 in braunen West-Kreisen identifizieren.
"Dabei gelangte sie erstaunt zu der Erkenntnis, dass der Verfassungsschutz zwar eine große Anzahl von einflussreichen V-Leuten führte […], die Behörden aber dennoch nur zaghaft gegen rechtsextremistische Organisationen vorgingen. Ein bis heute andauerndes Paradoxon, was zuletzt der Fall der rechten Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund beweist: Obwohl das NSU-Kerntrio während seines fast 14-jährigen Lebens im Untergrund von vier Dutzend V-Leuten nahezu umstellt war, blieb dem Verfassungsschutz – angeblich – die Mord- und Raubserie der Terrorzelle bis zur ihrer Selbstenttarnung im November 2011 verborgen."
Journalist Andreas Förster hat akribisch recherchiert, sein Report enthält jede Menge Details und Aktenverweise. Das ist aber auch der Schwachpunkt seines Buches: "Zielobjekt Rechts" beleuchtet zwar die Stasi-Verstrickung westdeutscher Neonazis – bettet die Fakten aber kaum in die deutsch-deutsche Historie ein. So hätte der verlogene Anspruch der DDR, ein antifaschistischer Staat zu sein, mehr herausgestellt werden können. Auch die Frage, warum die Stasi ihr Spionagewissen über westdeutsche Neonazis nicht propagandistisch ausschlachtete, wird nicht näher untersucht. Dennoch hat der Autor mit seinem Studium der MfS-Akten wichtige Pionierarbeit geleistet. Zu Recht fordert er nun die Öffnung westdeutscher Geheimdienstakten – auch um das Wiedererstarken von Extremismus, Nationalismus und Ausländerhass heute besser zu verstehen.
Andreas Förster: "Zielobjekt Rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte",
Ch. Links Verlag, 264 Seiten, 18 Euro.