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"Anfänge eines demokratischen Wandels"

Europa müsse alle gesellschaftlichen Elemente, die einen sofortigen Wandel in Ägypten forderten, unterstützen, sagt Asiem El Difraoui von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Sollte Ägypten der Aufbau einer wirkliche Demokratie gelingen, wäre dies ein enormes Beispiel für die arabische Welt.

Asiem El Difraoui im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 07.02.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Irgendwo zwischen Revolution und Evolution befindet sich derzeit Ägypten. Der ganz schnelle Sturz Präsident Mubaraks ist nicht zu vermelden, aber ein Abschied auf Raten. Jeden Tag bröckeln die Fundamente seines Regimes ein Stückchen mehr. Am Wochenende der Rücktritt der Spitze seiner Regierungspartei, gestern dann traf sich Vizepräsident Suleiman mit Vertretern der Opposition, derweil koptische Christen auf dem Tahrir-Platz erstmals einen Gottesdienst feierten.

    Vor gut einer Stunde hatte ich die Gelegenheit, zu sprechen mit Asiem El Difraoui. Er ist Ägypten-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Meine erste Frage an ihn: Wird sich der Abschied des Systems Mubarak weiter beschleunigen, oder spielen deren Vertreter auf Zeit, um möglichst viel des alten Regimes in die neue Ordnung hineinzuretten?

    Asiem El Difraoui: Das ist extrem schwer zu sagen. Auf der einen Seite: Natürlich möchte das Regime in einer gewissen Form überdauern, indem es halt Vertreter in die Übergangsregierung mit reinnimmt und vor allen Dingen echte Machtpositionen behält. Auf der anderen Seite ist, glaube ich, auch allen um Hosni Mubarak klar, dass die Ägypter echten Wandel wollen. Wie groß dieser Wandel ist, darum geht es jetzt in den sehr, sehr schwierigen Verhandlungen.

    Das Entscheidende ist vielmehr, dass die Regierung jetzt auch wirklich entscheidende Zugeständnisse machen muss. Es geht darum, dass die Notstandsgesetze, also der Ausnahmezustand, der seit 30 Jahren, seit der Ermordung von Anwar el Sadat herrscht und erlaubt, Leute zu verhaften, ohne Gerichtsbeschluss, ohne wirkliche Beweise ins Gefängnis zu stecken, dass diese Notstandsgesetzgebung und diese Art von Ausnahmezustand aufgehoben wird. Das wäre ein wirkliches entscheidendes Zeichen für die Ägypter.

    Heckmann: Ein anderes entscheidendes Signal wäre das politische Schicksal von Hosni Mubarak. Wird er denn wie geplant bis September im Amt bleiben können aus Ihrer Sicht?

    El Difraoui: Ich glaube, die meisten Ägypter wollen wirklich, dass Mubarak jetzt sofort zurücktritt. Aber das Regime spielt auf Zeit, sie probieren, die Situation zu verwässern, probieren, die Opposition ein bisschen zu teilen, und wenn sie noch ein paar Zugeständnisse machen werden kann es auch sein, dass Mubarak bis zum September im Amt bleibt. Aber gleichzeitig harren die Leute weiterhin auf dem Tahrir-Square aus. Das ist deren Forderung, dass Mubarak sofort zurücktritt. Da ist wirklich alles offen.

    Heckmann: Wie groß sind denn die Chancen für Ägypten, sich zu einer richtigen Demokratie zu entwickeln, und welches Signal ginge in die arabische Welt davon aus, wenn das gelänge?

    El Difraoui: Es gibt Chancen, dass Ägypten irgendwann eine richtige Demokratie wird. Das ist natürlich ein ganz, ganz langer Prozess, der hier wirklich nicht in ein, zwei, drei oder vier oder fünf Jahren abgeschlossen ist. Das wird ein mühseliger Prozess werden. Zunächst einmal geht es ja wirklich darum, mehr Mitbestimmung, mehr Rechtsstaatlichkeit, den Volkswillen besser zu akzeptieren. Aber alleine, dass es schon so weit ist wie heute, allein, dass die Ägypter das geschafft haben, die Regierung praktisch niederzuzwingen und ein kleines Maß an Mitbestimmung zu haben, ist natürlich ein enormes Beispiel für die arabische Welt. Würde Ägypten eine wirkliche Demokratie, können wir uns gar nicht vorstellen, was für Konsequenzen das nicht nur für die arabische Welt, sondern für den Rest des afrikanischen Kontinents und so weiter hat.

    Heckmann: Die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton, wird in dieser Woche in Ägypten erwartet. Was kann sie eigentlich ausrichten angesichts der Tatsache, dass die europäischen Regierungen sich ja offenbar keineswegs einig sind? Der italienische Ministerpräsident Berlusconi hat ja gesagt, Mubarak soll zunächst einmal bleiben.

    El Difraoui: Was hier wirklich wichtig ist, ist, dass Europa Ägypten und alle gesellschaftlichen Elemente, die da einen wirklichen Wandel haben, sofort unterstützt. Europa muss in gewisser Weise jetzt mal zeigen, dass es wirklich an der arabischen Welt interessiert ist. Es muss endlich im gewissen Sinne ein globaler Träger dort werden und den demokratischen Wandel unterstützen. Das ist eine einmalige Chance auch für Europa, weil ohne europäische Expertise, ohne die Unterstützung, ohne die Erfahrung mit Wahlen und so weiter werden diese arabischen Länder jetzt natürlich diesen Übergang gar nicht wirklich schaffen können.

    Heckmann: Wäre es möglich, überhaupt schnelle Wahlen in Ägypten durchzuführen?

    El Difraoui: Meiner Ansicht nach ist es wichtiger, Wahlen in Ruhe durchzuführen, Zeit zu lassen, dass die Oppositionsparteien, die ja zum großen Teil lange verboten waren, sich ein bisschen organisieren können, dass das ägyptische Volk sich mit den Gedanken an Wahlen anfreunden kann, als jetzt in den nächsten ein oder zwei Monaten Wahlen stattfinden zu lassen. Es geht darum, die Anfänge eines demokratischen Wandels zu machen, der funktioniert, nicht darum, im Rekordtempo Wahlen zu machen, was das Land vielleicht noch instabiler machen könnte.

    Heckmann: Asiem El Difraoui, Ägypten-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.