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Anfeindungen durch Rechtsextreme
"Wichtig ist, keinen Millimeter zurückzuweichen"

Der SPD-Vize Ralf Stegner fordert ein entschlossenes Auftreten gegen Rechtsextreme. Es dürfe in der Zivilgesellschaft nicht geduldet werden, dass ein Politiker auf Druck von Nazis zurücktrete, sagte er im DLF. Zudem kritisierte er die CSU. Die schüre "dumpfe Vorbehalte".

Ralf Stegner im Gespräch mit Peter Kapern | 11.03.2015
    Ralf Stegner
    Stegner: "Es gibt in Deutschland nicht einen Grund, gegen Flüchtlinge zu demonstieren." (imago/Müller-Stauffenberg)
    Er sagte, es sei weggeschaut und das Problem unterschätzt worden. "Es gibt ganze Landstriche, wo nur 'Ausländer raus'-Plakate hängen und die demokratischen Parteien kaum noch Kraft haben." Es könne nicht sein, dass Menschen, die sich ehrenamtlich politisch engagierten, nicht geschützt würden.
    Stegner kritisierte zudem scharf die CSU. Die biedere sich an rechts an mit Parolen wie "Wer betrügt, der fliegt" und schüre Angst vor Zuwanderern. "Es reicht nicht, wenn die Kanzlerin in der Neujahrsansprache sagt, der Islam gehört zu Deutschland, und in der Realität dann dumpfe Vorbehalte geschürt werden in ihrer eigenen Union, in der CSU."
    Eine angebliche Islamisierung Deutschlands sei "Unfug." Zudem betonte Stegner: "Natürlich ist dieses reiche Deutschland in der Lage, Flüchtlingen zu helfen." Man müsse aber die berechtigten Sorgen der Menschen von den unberechtigten trennen.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Ist es wieder so weit, dass Nazis in Deutschland bestimmen, wer Bürgermeister sein darf und wer nicht? Markus Nierth jedenfalls darf es nach dem Willen des braunen Mobs nicht. Er war ehrenamtlicher Bürgermeister in Tröglitz in Sachsen-Anhalt und als Bürgermeister warb er für die Aufnahme von Flüchtlingen in dem Ort. Deshalb kündigten Rechtsextreme eine Kundgebung vor dem Haus des Bürgermeisters an und der trat dann zurück, um seine Familie zu schützen. Jetzt ist die Betroffenheit groß.
    Bei uns am Telefon ist Ralf Stegner, der stellvertretende Vorsitzende der SPD. Guten Morgen, Herr Stegner.
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Kapern.
    "Diese Frechheit ist ein Warnzeichen"
    Das Foto Das Ortsschild von Tröglitz (Sachsen-Anhalt).
    Ein Ortsschild von Tröglitz (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Kapern: Als Sie die Nachricht von dem Rücktritt von Bürgermeister Markus Nierth gehört haben, Herr Stegner, was ist Ihnen da durch den Kopf gegangen?
    Stegner: Ich muss ehrlich sagen, es hat mich nicht überrascht, aber es hat mich wirklich extrem geärgert, und durch den Kopf ist mir gegangen, dass die neuen und alten Nazis wieder so frech auftreten in Deutschland, überall. Das hängt offenbar damit zusammen, dass es uns nicht gelungen ist, allenthalben zu sagen, dass es für so was null Unterstützung geben darf und dass sich übrigens alle demokratischen Parteien dagegen wehren müssen. Es gibt in Deutschland nicht den geringsten Grund, gegen Flüchtlinge zu demonstrieren oder Demokraten unter Druck zu setzen, und die Frechheit, mit der das geschieht, die ist ein Warnzeichen und zeigt uns, dass da die Zivilgesellschaft zusammenstehen muss, um auch deutlich zu machen, in Deutschland gibt es viel mehr Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren, als die Wirrköpfe, Idioten und zum Teil Kriminellen, die gegen Flüchtlinge auf den Straßen sind.
    Kapern: Warum ist es nicht gelungen, diese rote Linie zu ziehen?
    Stegner: Ich glaube, es liegt in Teilen daran, dass das unterschätzt worden ist, dass auch weggeguckt worden ist. Wir haben ganze Landstriche, wo nur "Ausländer raus!"-Plakate hängen und die demokratischen Parteien kaum noch Kraft haben. Es liegt daran, dass es manchmal verharmlost wird, was da rechts passiert, übrigens auch in demokratischen Parteien. Wer sich bei Rechtspopulisten anbiedert, wer glaubt, man kann da ein bisschen was abgreifen am Stammtisch, der treibt denen die Unterstützung zu. Und es liegt ein bisschen daran, dass wir manchmal nicht laut genug sind, für Toleranz und Vielfalt zu werben und der Einfalt die Stirn zu bieten. Das haben wir ja gesehen, als wir diese Pegida-Umzüge hatten im letzten Jahr, dass da nicht immer mit der Entschlossenheit und Entschiedenheit widersprochen worden ist, die nötig ist, um deutlich zu machen, in Deutschland dürfen wir so was nicht dulden.
    "Dieser Dummheit täglich entgegentreten"
    Kapern: Auch nicht von einem Privatmann namens Sigmar Gabriel, der sich als Zuhörer da ins Publikum gesetzt hat, oder?
    Stegner: Na ja, dass man versuchen muss, mit Menschen zu reden und sie davon abzuhalten, den Wirrköpfen hinterherzulaufen, ist ja schon richtig. Sigmar Gabriel hat gesagt, Dummheit ist in der Demokratie nicht verboten. Man muss nur hinzufügen: , und zwar mit Entschiedenheit entgegengetreten werden, und da darf man nicht versuchen, irgendwie Feldgewinne zu erzielen. Wenn CSU-Leute sagen, wer betrügt fliegt, wenn Vorbehalte geschürt werden gegen Flüchtlinge, wenn man hauptsächlich über Abschiebung und Gefahren redet, wenn man den Menschen Angst macht, dann ist das eben alles falsch. Wir müssen doch sagen, natürlich ist dieses reiche Deutschland in der Lage, Flüchtlingen zu helfen, die im Übrigen ja nicht kommen wegen unserer Sozialsysteme, sondern die vor Bürgerkrieg, vor Verfolgung, vor bitterer Armut flüchten müssen, in ein Land übrigens, wo vor Jahrzehnten selbst Menschen vor den Nazis flüchten mussten. Da haben wir eine große Verpflichtung. Unsere Demokratie kann das lösen. Wir können den Kommunen helfen und müssen das deutlich machen, so dass die Wirrköpfe keine Chance haben, Rückhalt zu finden in der Bevölkerung. Das ist ein wichtiger Punkt und das muss geschlossen passieren. Gegen rechts darf es nur entschlossenen Widerstand geben und eben nicht Anbiederung, wie ich sie teilweise sehe.

    Die Pegida Demonstration in Dresden, Deutschland.
    Die Pegida Demonstration in Dresden. Dieser Dummheit muss täglich entgegengetreten werden, sagt Stegner. (imago/Sven Ellger)
    Kapern: Herr Stegner, jetzt haben Sie gerade argumentativ etwas gemacht, was in den letzten Monaten sehr häufig mit Blick auf Pegida zu hören war. Sie haben da eine Trennung vorgenommen zwischen, ich sage mal, den Rädelsführern, den Organisatoren einerseits und den nun bedauerlichen, aber zu einer Umkehr zu bewegenden Mitläufern. Kann man diese Trennung wirklich aufrecht erhalten, denn wer dabei steht, wer vor der Bühne steht und applaudiert, wenn oben auf der Bühne ausländerfeindliche Parolen gerufen werden, den unterscheidet doch substanziell nichts von dem, was da oben auf der Bühne los ist?
    "Den Angstmachern entgegentreten"
    Stegner: Da gebe ich Ihnen völlig Recht. Ich habe selber gesagt, wer in der Vorweihnachtszeit nicht zum Einkaufen in Innenstädten ist, sondern bei Dunkelheit, Nässe und Kälte gegen Flüchtlinge demonstriert, der muss schon die Augen, Ohren und Nase geschlossen haben, um nicht zu merken, dass es da um rechtsradikales Gedankengut, um Rassismus, um Ausländerfeindlichkeit geht. Da haben Sie völlig Recht. Man muss nur die berechtigten Sorgen von den unberechtigten trennen. Dass Menschen Abstiegsängste haben, dafür habe ich Verständnis. Dass man sich kümmern muss um Arbeitslosigkeit, um Perspektivlosigkeit, dafür habe ich Verständnis. Aber angebliche Islamisierung in Deutschland, das ist ein solcher Unfug, und gerade in den neuen Bundesländern, wo relativ wenige Flüchtlinge untergebracht werden, ernsthaft zu behaupten, da bestünde eine Islamisierungsgefahr, das ist ein großer Unfug, dem entschieden entgegengetreten werden muss. Aber wir haben doch auch Debatten, wo das nicht geschieht, und wir haben ganze Parteien, die glauben, dass sie in diesem Sumpf Erträge finden können, die AfD und andere, und da muss man sich entschlossen von absetzen.
    Trotzdem sage ich, man darf jetzt nicht jeden automatisch zu den Nazis zählen, sondern wir müssen uns natürlich Mühe geben, Menschen davon abzuhalten, diesen Idioten hinterherzulaufen, und man muss ihnen wirklich die Stirn bieten. Das geschieht mir manchmal ein bisschen zu lau und es wird manchmal auch zu wenig erwähnt, finde ich, wie viel an großartigem Engagement wir heute haben zugunsten von Menschen. Viele engagieren sich dafür. Das ist prima, das verdient Unterstützung. Und den Angstmachern muss man entgegentreten und da müssen die demokratischen Parteien ein bisschen geschlossener agieren, als sie es tun. Das sehe ich allerdings auch eher im konservativen Bereich des Parteienspektrums.
    Sozialdemokraten und Grüne sind ja manchmal alleine damit. Und bei den Jugendorganisationen? Wenn ich sehe, was da zum Teil in den neuen Bundesländern ist? Es sind unsere Jusos, die da auf der Straße sind und dagegen demonstrieren, dass hier gegen Ausländer Stimmung gemacht wird. Andere halten sich da sehr zurück und da erwarte ich eigentlich, dass da mehr passiert. Es reicht nämlich nicht, wenn die Bundeskanzlerin in der Neujahrsansprache sagt, der Islam gehört zu Deutschland, und in der Realität dumpfe Vorbehalte geschürt werden in ihrer eigenen Union, in der CSU.
    Kapern: Das müssen Sie jetzt konkretisieren, Herr Stegner. Wer schürt da diese Vorbehalte wie?
    Stegner: Na ja, wenn man hingeht und so tut, als seien wir wirklich bedroht und es ginge darum, möglichst Menschen schneller auszuweisen, wenn man davon redet, Deutschland sei nicht das Sozialamt der Welt, das sind ja Sprüche, die man nicht nur bei der NPD liest.
    Kapern: Sagen Sie doch mal Namen dazu, damit wir genau wissen, wen Sie da im Blick haben.
    Stegner: Na ja! Es gibt in der CSU Leute, die das tun! Ich meine, da brauchen wir doch gar nicht drüber schweigen. Das ist doch zu sehen. Und wer betrügt fliegt, das ist eine Parole, die Herr Seehofer mit zu verantworten hat als Parteivorsitzender der CSU. Das taugt nichts! Es nützt übrigens auch nichts, weil Menschen, die solches Gedankengut heulen, die wählen gleich Neonazis und NPD und AfD und wie die alle heißen. Die gehen gar nicht zur CSU. Es geht also nicht mal auf, das Kalkül. Ich glaube, in der Frage müssen wir entschiedener Partei ergreifen für Toleranz, für Vielfalt. Und noch mal: Wir müssen auch zeigen, dass wir die vorhandenen Probleme lösen werden.
    Schauen Sie, ich arbeite in Schleswig-Holstein. Nach dem Kriege sind Flüchtlinge zu uns gekommen, da hat sich die Bevölkerungszahl fast verdoppelt, da war das Land zerstört. Heute ist es ein reiches Deutschland, ein Deutschland, dem es sehr gut geht, und da soll irgendjemand sagen, wir könnten das Problem nicht lösen, anderen Menschen zu helfen. Das ist doch lachhaft und das müssen wir deutlich machen, und wenn wir das gemeinschaftlich tun, dann haben Rechtspopulisten auch keine Chance.
    "Mit einem Parteienverbot ist es nicht getan"

    Kapern: Das Internationale Auschwitz-Komitee, Herr Stegner, hat gestern gefordert, das NPD-Verbotsverfahren jetzt zu beschleunigen. Und in der Tat, da fällt dem Journalisten ein: Mensch, schon lange nichts mehr gehört von diesem Verbotsverfahren.
    Markus Nierth mit Krawatte und Mantel
    Markus Nierth ist nach Drohungen von seinem Ehrenamt als Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt zurückgetreten. (dpa / Jan Woitas)
    Stegner: Das ist richtig. Ich habe zu denen gehört, die das unterstützen. Dass das seine Zeit dauert, liegt natürlich auch ein bisschen daran, dass das sorgfältig gemacht werden muss, weil eine weitere Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe können wir uns nicht erlauben. Das wäre katastrophal, das wäre ein Triumpf für die Nazis. Das darf man nicht machen. Aber in der Sache bin ich sehr dafür, dass dieser Verein verboten wird, dass es nicht auch noch Steuergelder gibt für Hetze gegen Menschen, für Intoleranz, für Demokratiefeindlichkeit, und deswegen hoffe ich, dass das passiert.
    Trotzdem: Es ist mit einem Parteienverbot nicht getan, sondern es erfordert Engagement auf allen Ebenen und halt auch Konsequenz. Und die Behauptung, das gäbe es in anderen Ländern auch, das mag ja sein, aber in Deutschland wird das immer etwas anderes sein. Wir haben den letzten Weltkrieg angezettelt. Von rechts ist die Gefahr in Deutschland immer gekommen. Dem muss entgegengetreten werden. Bei uns darf es das nicht geben.
    Kapern: Jetzt müssen wir aber noch ganz kurz über einen anderen Aspekt dieser Geschichte sprechen. Der zurückgetretene Bürgermeister hat sich darüber beklagt, dass er sich von politischen, von staatlichen Institutionen, um es genau zu sagen, im Stich gelassen gefühlt habe. Ist da was dran und ist es dann berechtigt, von einem Staatsversagen zu spreche, wie Jürgen Trittin das heute früh getan hat?
    Stegner: Die Einzelheiten dieses Falls sind ja schwer zu übersehen aus der Ferne. Aber richtig scheint mir schon, dass es wichtig ist, überhaupt keinen Millimeter da zurückzuweichen. Es kann doch nicht sein, dass Menschen, die sich ehrenamtlich politisch engagieren, nicht geschützt werden.
    Natürlich muss man sagen, überall dort, wo zum Beispiel - und wir haben das ja in Teilen unseres Landes - Veranstaltungen nicht stattfinden aus Angst gegen rechts, man nicht mehr in der Lage ist, zivilgesellschaftliche Kräfte aufzubringen, um die Rechten zurückzuweisen, und sogar Druck hinzunehmen, und zum Teil ist das ja im öffentlichen Leben zu sehen. Ich habe das teilweise selber bei Besuchen wahrgenommen, wie weit die vordringen, die Demokratiefeinde. Da muss natürlich Verwaltung auch sagen, das muss durchgesetzt werden. Wenn der Rechtsstaat, wenn die Demokratie auch nur einen Millimeter Boden preisgibt an Nazis, dann wird die Sache schlimmer und nicht einfacher. Dem muss konsequent entgegengetreten werden. Man darf auf Druck nicht mit Zurückweichen reagieren.
    Mir tut das leid mit dem Bürgermeister, aber unabhängig von diesem Einzelfall muss das Signal doch daraus generell sein, so was darf es in Deutschland nie wieder geben. Wir müssen Demokraten schützen. Und, ich sage mal, gegen Familien hier zu demonstrieren, die unter Druck zu setzen, vor Privathäusern aufzumarschieren, so was hatten wir in der Weimarer Republik. Das dürfen wir in unserem Rechtsstaat wirklich nicht dulden und da sind alle Behörden gefordert und die Zivilgesellschaft zusammen.
    Kapern: …, sagt Ralf Stegner, der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Herr Stegner, danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag und sage auf Wiederhören!
    Stegner: Sehr gerne. Tschüss, Herr Kapern.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.