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Anforderungen an neues Oberhaupt sind "absolute Überforderung für das Papsttum"

Das neue Kirchenoberhaupt könne nur mit einem Team die nötige grundlegende Reform der Kirche mit angehen, sagt der Theologieprofessor Hubert Wolf. Der neue Papst müsse kritisch schauen, welche Aufgaben er selbst schaffe, und den Rest abgeben.

Hubert Wolf im Gespräch mit Dirk Müller | 11.03.2013
    Dirk Müller: Noch vor Ostern soll es so weit sein, Schluss mit dem verwaisten Stuhl. Bis Ende des Monats also soll es gelingen, dass sich die 115 Kardinäle auf einen neuen Papst einigen. 115 Kardinäle aus allen Kontinenten, die jünger als 80 Jahre sein müssen, um an der Marathon-Sitzung in der Sixtinischen Kapelle teilnehmen zu können.
    115 Kardinäle in der Sixtinischen Kapelle, ab morgen Start des Konklave – darüber sprechen wollen wir nun mit dem Theologen, Vatikan-Experten und Buchautor Professor Hubert Wolf von der Universität in Würzburg. Guten Morgen!

    Hubert Wolf: Guten Morgen!

    Müller: Herr Wolf, warum ist man mit 80 Jahren zu alt?

    Wolf: Das ist eine Festlegung, die Papst Paul VI. getroffen hat, und ich finde es eigentlich ganz sinnvoll, wenn auch kirchliche Ämter mit einer bestimmten Zeit enden. Also Bischöfe reichen ihr Rücktrittsgesuch mit 75 ein und bei den Kardinälen ist einfach das Wahlrecht mit 80 am Ende. Das ist doch eine zeitgemäße Form, eine zeitgemäße Form der Amtsausübung. Übrigens hat Joseph Ratzinger als junger Theologe sehr für die befristete Amtszeit von Bischöfen und Kardinälen votiert und ja selber als Papst auch sein Amt als befristet angesehen.

    Müller: Aber das war nicht irgendwo schon zu finden im Vorfeld, dass man als Papst auch auf Wiedersehen sagen kann?

    Wolf: Doch, die Möglichkeiten, dass der Papst zurücktritt, die stehen schon immer im Kirchenrecht, und wir haben ja durchaus auch schon zwei Papstrücktritte gehabt. Nur eben seit mehreren Jahrhunderten hat keiner diesen Schritt mehr getan, und dadurch, dass Ratzinger diesen Schritt jetzt gesetzt hat, ist es auch wesentlich einfacher, meiner Ansicht nach, für den jetzt zu wählenden Nachfolger, einen solchen Schritt zu tun. Es kommt allerdings darauf an, ob es gelingt, dass Joseph Ratzinger jetzt wirklich ins Glied zurücktritt und sich nicht als zweiter Papst, als emeritierter Papst neben dem neu zu wählenden zeigt.

    Müller: Jetzt verfolgen Sie, Herr Wolf, seit vielen Jahrzehnten das Geschehen im Vatikan: um Päpste, um Kardinäle, um Bischöfe und so weiter. Sind Sie selbst jetzt auch nervös?

    Wolf: Nein, ich bin nicht nervös. Als Kirchenhistoriker, wenn man 2000 Jahre Kirchengeschichte überblickt, bekommt man eine gewisse Gelassenheit. Andererseits ist es so: Es ist sicher spannend, weil sich nicht so klar abzeichnet, wer diesmal der Kandidat ist mit den meisten Chancen. Das war ja beim letzten Mal ganz anders. Nach der Beerdigung von Johannes Paul II. habe ich mit meinen Mitarbeitern gewettet, dass Joseph Ratzinger der neue Papst sein würde. Die Ansprache, die er da gehalten hat, hat ja im Grunde auch die letzten Skeptiker damals im Grunde genommen beruhigt.

    Diesmal sieht die Situation ganz, ganz anders aus und es geht tatsächlich darum, dass wirklich eine grundlegende Reform der Kurie, aber wahrscheinlich auch der Kirche angegangen wird, und jetzt einen Kandidaten zu finden, der all das erfüllt, was wir jetzt schon gehört haben, was der als Anforderungsprofil braucht – er muss ein guter Manager sein, er muss natürlich fromm sein, ein guter Theologe sein, er sollte auf die Menschen zugehen, Seelsorgserfahrung haben und so weiter -, ich meine, das ist doch eine absolute Überforderung für das Papsttum und auch für die Person, die das werden soll. Vielleicht braucht man da etwas mehr historische Gelassenheit und muss sagen, okay, dass der Papst unfehlbar ist, dass der Papst den absoluten Jurisdiktionsprimat hat, das hat das Konzil im Vatikan erst 1870 beschlossen. Das zweite Vatikanum hat doch versucht, die kollegialen Elemente wieder stärker zu machen, die Ortskirchen aufzuwerten. Wenn das stärker würde, dass der Papst nicht allein ist bei der Führung der Kirche, sondern der Einheitspunkt, dass er sich auf ein Team verlassen kann, dass er der Petrus ist in der Gemeinschaft der Bischöfe, dann müsste das auch keine Überforderung für den neuen Papst mehr sein.

    Müller: Also wäre das ein temporärer Erster unter gleichen. – Haben Sie denn einen Tipp, auf wen würden Sie wetten?

    Wolf: Als Historiker habe ich keinen Tipp. Es geht mir auch eigentlich gar nicht um die Person. Es geht mir eigentlich eher darum, dass jemand aus den historischen Gegebenheiten die Sache präzise analysiert und anders herum etwas ganz Entscheidendes merkt. Es gibt unterschiedliche Gnadengaben und alle Gnadengaben kann ich nicht haben, die kann auch der neue Papst nicht haben. Wenn er sich selber kritisch anschaut und dann die Dinge, die er selber nicht hat, komplementär zu sich besetzt, dann ist es der richtige Mann. Deshalb "sterben" ja auch alle Kurienämter mit dem Tod oder dem Rücktritt des Papstes. Das heißt, der Neue ist völlig frei, alle wichtigen Ämter so zu besetzen, dass sie komplementär zu ihm sind und dass die Charismen, die er selber nicht hat, dass diese Charismen bei den anderen, mit denen er sich umgibt, gegeben sind.

    Müller: Muss es ein Europäer sein?

    Wolf: Überhaupt nicht. Ich finde, die Internationalisierung der Kirche ist ja nicht zuletzt seit dem zweiten Vatikanischen Konzil vor 50 Jahren, aber auch durch die Internationalisierung des Kardinalskollegiums deutlich vorangeschritten, und ich denke, die Zeit ist allemal reif für jemanden, der nicht Europäer ist. Aber die entscheidende Frage wird doch sein: Kann jemand die Kraft aufbringen, die Kurie, die 30 Jahre eigentlich neben den Päpsten hergewirtschaftet hat, die Kurie zu reformieren, und kann jemand die Kraft aufbringen, diesen Zentralismus so zu relativieren, dass die Ortskirchen, gerade die Ortskirchen in Lateinamerika, in Afrika, aber auch in Europa ihre Eigenständigkeit bekommen? Denn dort, wo der Bischof ist, da ist die Kirche schon ganz und nicht nur in Rom, und dieses Zusammenspiel zwischen der Ortskirche und der kirchlichen Zentrale in Rom, das muss künftig, glaube ich, besser funktionieren, denn die Kirche muss näher bei den Menschen sein.

    Müller: Das haben Sie gesagt: näher bei den Menschen. Ich habe deshalb auch gefragt Europäer, weil wir das schon häufig gehört haben, es muss mal ein anderer her aus anderen Kontinenten, dort wo die katholische Kirche ja flächendeckend noch stärker verbreitet ist. Wenn wir Lateinamerikaner sehen, Amerikaner, Kanadier, über alle, die da spekuliert wird, sind die zum Teil, die Kardinäle dort, die Bischöfe dort, näher an den Menschen als die Europäer?

    Wolf: Das kann man, glaube ich, so generell überhaupt nicht sagen, sondern die sind eben mit anderen Problemen konfrontiert. Ich meine, natürlich ist in Lateinamerika ein sehr großer Prozentsatz der Menschen noch katholisch. Aber wir haben ja gerade in den letzten 20 Jahren einen drastischen Verlust von Katholiken, die sich eher evangelikalen Gruppierungen anschließen, weil die Großorganisation katholische Kirche es gerade in Lateinamerika nicht mehr schafft, die Menschen, vor allem die Menschen in sozial schwierigen Situationen zu erreichen, und insofern ist das eine ganz ähnliche Situation wie die in Europa. Insofern würde ich da gar keine Unterschiede machen. Das Entscheidende ist doch, dass die Kirche ihre Aufgabe generell auf der Seite der Menschen sieht und dass sie auch ernst nimmt, was im Konzil steht: Die Kirche hat der Welt was zu geben, aber sie hat von der Welt auch was zu lernen. Es geht auch um einen Dialog. Ich muss auch mal bereit sein zu sagen, ich weiß nicht alles selber besser, sondern die Welt, die Menschen in der Welt, haben manches, was wir in der Kirche nicht wissen, und da können wir auch lernen.

    Müller: Herr Wolf, Sie waren bisher noch nicht dabei, beim Konklave, haben aber viel darüber geforscht und auch nachgehört. Wie groß ist jetzt der Druck auf die verschiedenen Gruppierungen, die verschiedenen Strömungen?

    Wolf: Es ist natürlich klar in einer Mediengesellschaft wie der unseren: Nachdem jetzt diese Krise der Kirche durch die Missbrauchsfälle, aber auch durch die Schwierigkeiten in der Kurie, durch Vatileaks und anderes sehr groß ist, ist völlig klar, dass der Druck auf den Kardinälen recht groß ist, ziemlich zügig die Sedisvakanz zu beenden, einen Kandidaten zu finden, der praktisch das Heft in die Hand nimmt und gemeinsam mit den Kardinälen und den Bischöfen und allen in der Kirche eigentlich diese Krise überwindet. Und insofern ist der Druck relativ groß. Die beiden Kardinäle haben das ja in ihren Interviews auch sehr deutlich gesagt.

    Müller: Es wird immer von Seilschaften auch gesprochen. Wie groß ist der Einfluss von Seilschaften?

    Wolf: Na gut, selbstverständlich wird jetzt natürlich kein Wahlkampf gemacht im klassischen Sinne. Aber es gibt selbstverständlich Seilschaften. Wir wissen das ja aus der Geschichte der Konklave, wenn wir die geheimen Aufzeichnungen anschauen, welche Netzwerke es gibt, wer hinter wem steht, wer versucht, welche Richtungen durchzusetzen. Das ist völlig klar. Diese Seilschaften gibt es und der Einfluss dieser Seilschaften ist nicht gering. Man muss aber eins bedenken: Deshalb haben wir ja dieses Zwei-Drittel-Quorum. Und eine Zwei-Drittel-Mehrheit zu erreichen, das kriegt eine Seilschaft allein nie hin. Das heißt, man muss sich aufeinander zubewegen. Es ist sozusagen der Zwang zur Einigung in dem Zwei-Drittel-Quorum drin. Denn die Geschichte der Kirche zeigt: In der Zeit, als wir die Zwei-Drittel-Mehrheit nicht hatten, gab es eben relativ oft Doppelwahlen, weil man sich nicht auf einen Kompromisskandidaten einigen konnte, sondern weil zwei Seilschaften bei ihren Kandidaten blieben, und die waren dann vielleicht nur zwei Stimmen auseinander. Also Zwei-Drittel-Mehrheit ist eine wirklich segensreiche Erfindung, Erfahrung aus der Geschichte der Kirche.

    Müller: Und irgendwann ist auch jede Seilschaft müde?

    Wolf: Nein, irgendwann muss man einfach einsehen: was brauchen wir jetzt und gibt es einen Kandidaten, auf den wir uns einigen können. Und manchmal sind ja Kompromisskandidaten gar nicht mal die schlechtesten.

    Müller: Jetzt hatte ich Sie schon fälschlicherweise, Hubert Wolf, nach Würzburg verlagert. Stimmt aber nicht. Sie sind Professor an der Universität in Münster.

    Wolf: Ja.

    Müller: Der Theologe und Vatikan-Experte, Buchautor Professor Hubert Wolf bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk-Gespräch. Danke für Ihr Interesse und auf Wiederhören.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.