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Angekündigte Werkschließungen
Die Siemensianer in Sachsen sorgen sich um ihre Zukunft

In Berlin protestieren Siemens-Mitarbeiter gegen die geplante Schließung der Standorte Leipzig und Görlitz in Sachsen. Vor allem das strukturschwache Ostsachsen würde die Schließung besonders hart treffen. Hier ist Siemens einer der größten Arbeitgeber überhaupt. Der Mittelstand fordert nun eine Wende in der sächsischen Wirtschaftspolitik.

Von Alexandra Gerlach | 23.11.2017
    Nahaufnahme des Oberkörpers eines protestierenden Siemens-Mitarbeiters in roter Jacke mit dem Konzernlogo und Tröte in der Hand
    Siemens-Mitarbeiter beim Protest in Berlin gegen angekündigte Standortschließungen des Konzerns (AFP/ Tobias Schwarz)
    Jan Otto ist wütend. Der Zorn des Bevollmächtigten der IG-Metall Ostsachsen richtet sich gegen Siemens-Konzernchef Joe Kaeser:
    "Was uns besonders ärgert, ist, dass ja Herr Kaeser einer der ersten war, die nach der Bundestagswahl gesagt haben: Die Eliten des Landes haben versagt, es gibt jetzt hier eine gesellschaftspolitische Verantwortung für diese gesamte Nation, etwas zu verändern. Und nun ist er der Erste, der versucht den Osten abzuhängen."
    Konkret geht es um die Zukunft von Menschen wie Christoph Scholze. Er ist 37 Jahre alt, verheiratet, hat zwei kleine Kinder. Seit zehn Jahren ist er bei Siemens in Görlitz beschäftigt. Die Nachricht von der geplanten Schließung seines Siemens-Werkes hat das Leben das Görlitzers aus den Angeln gehoben:
    "Ja, große Existenzängste, ich habe mir vor einem halben Jahr eine Immobilie gekauft, meine Familie, Kinder sind ja hier geboren, meine Eltern sind hier, ja es ist ehrlich gesagt noch gar nicht so richtig greifbar."
    Scholze ist einer von rund 920 Siemensbeschäftigten am Standort Görlitz. In Leipzig stehen weitere 270 Arbeitsplätze zur Disposition. Hier wie dort machen sich viele Betroffene um die 50 große Sorgen um ihre Zukunft.
    Die Aussichten neue Arbeit zu finden sind sehr unterschiedlich: Während die Region um Leipzig boomt, sieht es an der deutsch-polnischen Grenze mit neuen Firmenansiedlungen düster aus. Siemens gehört neben dem kanadischen Familien-Unternehmen Bombardier zu den "Leuchttürmen". Sie sind die größten Arbeitgeber, geben derzeit 3.200 Menschen Lohn und Brot und bilden das wirtschaftliche Rückgrat der Region.
    Vorschlag: Steuermehreinnahmen in Mittelstand investieren
    Durch die Schließungsankündigung von Siemens und durch aktuelle Restrukturierungspläne bei Bombardier sind 2.200 Arbeitsplätze akut gefährdet. Das ist mehr als jeder dritte Arbeitsplatz im verarbeitenden Gewerbe in und um Görlitz. Es sei Zeit für eine Wende in der sächsischen Wirtschaftspolitik, sagt die ehemalige Grünen-Politikerin und strategische Beraterin des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, Antje Hermenau:
    "Ich bin der Auffassung, dass wir endlich aufhören sollten immer zu jammern, wenn wieder ein Großkonzern eine verlängerte Werkbank hier bei uns zumacht, sondern dass wir unseren eigenen Mittelstand massiv stärken müssen, denn das sind ortsgebundene Unternehmen, oft auch Familienunternehmer, die hier leben und auch hier bleiben werden. Und die haben natürlich manchmal das Problem, dass sie ihren Mitarbeitern nicht ganz so hohe Löhne zahlen könne, wie zum Beispiel Siemens zahlen kann.
    Hermenau schlägt vor, sächsische Steuermehreinnahmen, die ihren Angaben zufolge für 2017 mit rund 200 Millionen Euro taxiert werden, in den Mittelstand zu investieren, um die hochqualifizierten Arbeitskräfte von Siemens im Freistaat zu halten.
    Arbeitslosenquote in Görlitz könnte auf 25 Prozent steigen
    Derzeit hat Görlitz mit 13,6 Prozent die landesweit höchste Arbeitslosenquote. Nach Berechnungen der IG-Metall Ostsachsen würde diese Zahl im Falle einer Schließung des Görlitzer Siemenswerkes auf rund 25 Prozent steigen. Siemens hatte argumentiert, dass die Nachfrage nach großen Gasturbinen weltweit drastisch gesunken sei. Man verfüge damit über mehrere unausgelastete Werke, hieß es in München.
    Christian Hainke, der Betriebsratsvorsitzende in Görlitz widerspricht der Konzernleitung. Das Görlitzer Werk sei wegen der Energiewende längst hochspezialisiert auf zukunftsweisende Industrieturbinen, effizient und ausgelastet:
    "Weil wir uns spezialisieren auf dezentrale Solarthermie, Biomasse-Kraftwerke, alles was jetzt Zukunftsfelder sind und sind weiter dabei uns in diese Richtung weiter zu entwickeln, mit unseren speziellen Produkten."
    Sachsens designierter Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU weiß als gebürtiger Görlitzer sehr genau, was das Aus von Siemens für seine Heimatstadt und die Region bedeuten würde. Er will kämpfen und erwartet:
    "Wenn ein Produkt in Probleme kommt, dann macht man mit Innovationen, neuen Ideen einen neuen Antritt, das würde jeder Mittelständler so tun, das kann man auch von einem Weltkonzern wie Siemens erwarten."