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Angela Merkel in Polen
"Massive Kritik würde nichts zum Besseren verändern"

Die polnische Regierung ist auf Konfrontationskurs mit der EU. Der Besuch Angela Merkels in Warschau gilt deswegen als heikel. Der ehemalige polnische Botschafter Janusz Reiter sagte im DLF, die polnische Regierung bemühe sich darum, das Verhältnis mit Deutschland vom Konflikt mit Brüssel zu trennen. Deutschland sei allerdings gut beraten, nicht zuviel Druck aufzubauen.

Janusz Reiter im Gespräch mit Martin Zagatta | 07.02.2017
    Der ehemalige polnische Botschafter in Deutschland, Janusz Reiter
    Der Botschafter a. D. der Republik Polen, Janusz Reiter betonte im DLF, dass Polen seinen Beitrag in der humanitären Krise im Mittleren Osten leisten wolle. (dpa/picture alliance/Arno Burgi)
    Martin Zagatta: In Warschau sind wir verbunden mit Janusz Reiter, Polens früherem Botschafter in Berlin. Guten Tag, Herr Reiter!
    Janusz Reiter: Guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Reiter, wie sehen Sie das in Warschau? Wird das so ein schwieriger, so ein heikler Besuch, wie das heißt? Wie schätzen Sie das ein?
    Reiter: Es ist ein schwieriger Besuch, aber ich glaube, es gibt fast nur noch schwierige Besuche in Europa heutzutage. Ich kann mich an keinen Besuch erinnern, den man einfach so als entspannt freundlich bezeichnen könnte. Angesichts der Lage, die wir in Europa haben, sind alle Besuche irgendwie heikel, denn es steht viel auf dem Spiel. Die Heikelkeit beruht, glaube ich, weniger auf der Unterschiedlichkeit der Charaktere der Führungspersönlichkeiten. Sie liegt vor allem begründet in der weltpolitischen Lage, in der wir uns jetzt befinden.
    Die Krise der EU, die Unsicherheit über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen und damit auch der NATO, eine Hilflosigkeit gegenüber dem neuen Präsidenten der USA, von dem man nicht weiß, was man von ihm zu erwarten hat, und gleichzeitig - aber das ist schon ein Dauerphänomen - eine wachsende, zunehmend aggressive Politik in Russland, das sind Fragen, die wirklich uns alle betreffen.
    "Das Verhältnis mit Deutschland vom Konflikt mit Brüssel zu trennen"
    Zagatta: Aber, Herr Reiter, besonders heikel im Umgang mit Polen - und da sind die Deutschen ja nicht die Einzigen, die da Probleme haben - ist ja, dass die EU-Kommission sich jetzt auch veranlasst hat, die polnische Regierung gerade noch einmal aufzufordern, die Grundrechte einzuhalten. Da laufen Vertragsverletzungsverfahren. Ist Warschau da nicht auf einem Konfrontationskurs, die neue Regierung, mit Brüssel und auch mit dem Nachbarland Deutschland?
    Reiter: Mit Brüssel sicherlich ja. Ich glaube, die polnische Regierung bemüht sich, das Verhältnis mit Deutschland von diesem Konflikt mit Brüssel zu trennen. Und Berlin scheint das, wenn auch ohne Begeisterung, zu akzeptieren - nicht weil das jemandem in Berlin gefällt, sondern weil niemand eine bessere Alternative weiß. Ich glaube nicht, dass jetzt eine massive Kritik aus Berlin irgendetwas in Polen zum Besseren verändern würde. Ich glaube eher, das Gegenteil wäre der Fall.
    "Es gibt ein strategisches Interesse am Erhalt der westlichen Gemeinschaft"
    Zagatta: Sie glauben, dass Angela Merkel das auch nicht machen wird. Sie ist von der Opposition dazu aufgefordert worden, sie solle da klare Worte finden. Sie glauben, dass Frau Merkel da eher diplomatisch zurückhaltend auftritt?
    Reiter: Ich glaube, Frau Merkel wird alle, auch die schwierigsten Fragen ansprechen. Aber ich glaube, gleichzeitig weiß Frau Merkel, dass öffentliche Pressionen vonseiten Berlins in Polen nicht unbedingt zu dem Ergebnis führen, das sich Berlin vielleicht wünschen würde.
    Nato und EU als Bezugsrahmen für die westliche Gemeinschaft
    Zagatta: Sehen Sie denn Gemeinsamkeiten? Frau Merkel will ja ausloten, wie weit man jetzt bei einer möglichen EU-Reform an einem Strang ziehen könnte. Liegen da die Vorstellungen - ich sage nur mal das Stichwort Flüchtlingspolitik - zwischen Warschau und Berlin nicht himmelweit auseinander?
    Reiter: Viele Vorstellungen liegen auseinander. Das stimmt. Es gibt ein gemeinsames Interesse, glaube ich, ein strategisches Interesse an dem Erhalt der westlichen Gemeinschaft. Die westliche Gemeinschaft, das ist die EU und das ist die NATO. Ich kann mir jedenfalls die deutsche Politik und die polnische Politik ohne diese zwei Dinge, ohne diesen Bezugsrahmen nicht vorstellen. Sollte dieser Rahmen auseinanderfallen, die westliche Gemeinschaft, die NATO und die Europäische Union, dann sind unsere beiden Länder in einer völlig anderen Situation, in einer Situation, in der sie sich Sorgen machen müssen um ihre Zukunft, und das müsste eigentlich die beiden Länder verbinden - trotz aller Unterschiede, die es gibt.
    "Einen Beitrag in der humanitären Krise im Mittleren Osten leisten"
    Zagatta: Da ist in Deutschland immer wieder der Vorwurf zu hören, Sie sprechen gerade die NATO an, die Polen haben besondere Sicherheitsinteressen, verlangen da vom Rest der EU, von der NATO natürlich Solidarität, auch von den Deutschen. Bei der Flüchtlingspolitik sieht man die nicht. Ist das eine Einbahnstraße? Ist da die Kritik aus Deutschland berechtigt, oder weisen Sie das zurück?
    Reiter: Die Kritik aus Deutschland ist psychologisch berechtigt. Über ihre politische Begründung kann man diskutieren. Ich will aber vor allem auf eines hinweisen. Die Kritik an der deutschen Flüchtlingspolitik, die man teilen mag oder nicht, die wird in Polen sehr laut artikuliert, zu laut, finde ich, manchmal zu aggressiv. Aber diese Kritik gibt es auch in eigentlich allen anderen europäischen Ländern. Das ist kein Problem zwischen Deutschland und Polen; das ist ein europaweites Problem.
    Was neu ist und was ich gut finde ist, dass Polen, dass die polnische Regierung sagt, sie möchte gerne einen Beitrag leisten zur Milderung der humanitären Krise und zur Lösung des Problems im Mittleren Osten, in Syrien, in anderen Krisenregionen. Sie will nur die Grenzen nicht öffnen für Flüchtlinge - aus verschiedenen Gründen. Sie hat Angst, glaube ich, vor der Überforderung der eigenen Bevölkerung. Wie berechtigt das ist, darüber kann man wieder lange diskutieren, aber das ist die Situation. Und wenn sich die polnische Regierung etwas bemüht und wenn andere Regierungen ihr helfen, dann könnte auch Polen einen positiven Beitrag leisten. Allerdings müsste Polen, glaube ich, hier auch die Sprache korrigieren. Die Sprache, die auch in dem öffentlichen Diskurs oft gebraucht wird, die ist manchmal wirklich inakzeptabel.
    Zagatta: Heute mittag im Deutschlandfunk Janusz Reiter, Polens früherer Botschafter in Berlin, den wir in Warschau erreicht haben. Herr Reiter, danke für das Gespräch.
    Reiter: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.