Samstag, 20. April 2024

Archiv


Angela Merkels Allzweckwaffe

Am 03. März 2011 übernahm Thomas de Maizière das Amt des Bundesverteidigungsministers – der vorläufige Höhepunkt der Karriere des gelernten Juristen. Mit ihm zog auch ein neues Rollenverständnis für die Bundeswehr in das Verteidigungsministerium ein.

Von Wolfgang Labuhn | 29.02.2012
    15. Februar 2012. In einem Hangar der Air Force Base Holloman im US-Bundesstaat New Mexico hat sich Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière in das Cockpit eines Tornado-Jets gesetzt und lässt sich von Hauptfeldwebel Dirk Schlicht Hebel und Schalter erklären...

    "... und der Hintere bereitet alles vor ..."

    In Holloman werden Kampfpiloten der Luftwaffe aus- und weitergebildet, und der Minister kann sich dem Korpsgeist dieser Elite-Soldaten nicht entziehen:

    "Was mich hier beeindruckt, ist sozusagen dieser Stolz des Pilotischen, wenn es das gibt. Das hat etwas ganz Besonderes, für eine Armee, für eine Luftwaffe natürlich erst recht. Und das kann man hier erleben."

    Der "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt" fühlt sich bei diesem Besuch des Flugausbildungszentrums der Luftwaffe in den USA sichtlich wohl. Selbst in einem Tornado-Jagdbomber mitfliegen möchte de Maizière dennoch nicht:

    "Nein. ich weiß ja, ich bin 58, da muss man sich lange vorbereiten und Sportchecks machen und alles mögliche. Das ist Wichtigtuerei, und ein Minister – das muss man nicht haben."

    Das hatte der Amtsvorgänger Karl Theodor zu Guttenberg durchaus anders gesehen, den de Maizière nach dessen Rücktritt am 10. März 2011 mit einem Zapfenstreich verabschiedete. Dem Stabsmusikkorps der Bundeswehr wurde dabei auf Wunsch des jungen CSU-Politikers einiges abverlangt. "Smoke on the Water" von Deep Purple wollte zu Guttenberg zum Abschied hören:

    Amtsnachfolger de Maizière hatte zu diesem Zeitpunkt bereits sein Dienstzimmer im Bendlerblock bezogen, der Berliner Kopfstelle des Bundesverteidigungsministeriums - auf Wunsch der Kanzlerin, die de Maizière schon kennen- und schätzen lernte, als dessen Cousin Lothar de Maizière 1990 der letzte Regierungschef der DDR war:

    "Eine Frist, Erwartungen aufzubauen, hatte ich nicht. Zwischen den Gesprächen der Bundeskanzlerin mit mir und der Amtsübernahme lagen etwas mehr als 24 Stunden. Da hatte ich nur Zeit, meine Sachen zu packen und umzuziehen. Und meine Erwartungen konnte ich dann erst in den ersten Wochen bilden. Aber mit Respekt habe ich das Amt angetreten."

    Am 03. März 2011 wurde de Maizière der 16. Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland – der vorläufige Höhepunkt der Karriere des gelernten Juristen, der zuvor schon unter anderem an der Ausarbeitung des Einheitsvertrages mitgewirkt hatte, Finanz-, Justiz- und Innenminister in Sachsen und Chef des Kanzleramtes während der Großen Koalition gewesen war, bevor ihn Angela Merkel 2009 zum Bundesinnenminister berief. Schon bei der Verabschiedung seines Vorgängers zu Guttenberg wurde deutlich, dass mit de Maizière auch ein neues Rollenverständnis für die Bundeswehr in das Verteidigungsministerium einzog:

    "In Afghanistan geht es für unsere Soldaten um einen gefährlichen Einsatz, einen Einsatz wie im Krieg. Unsere Soldaten kämpfen. Es gibt Hinterhalte, Anschläge. Und immer wieder wie auch jüngst gibt es Gefallene und Verwundete. Im Kalten Krieg hieß es, die Soldaten der Bundeswehr müssen kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Heute wird man sagen müssen, die Soldaten der Bundeswehr müssen kämpfen können, um nicht sterben zu müssen."

    Thomas de Maizière übernahm bei seinem Amtsantritt die Ressortverantwortung für die umfassende Bundeswehrreform, die der zwischen CDU, CSU und FDP eilig ausgehandelte Koalitionsvertrag vorsah. Angestrebt wurde eine neue Organisationsstruktur "inklusive der Straffung der Führungs- und Verwaltungsstrukturen", ferner eine Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr, eine neue Rüstungspolitik – und die Reduzierung der Wehrdienstzeit auf sechs Monate. Amtsvorgänger zu Guttenberg hatte bereits eine unabhängige Kommission unter dem Vorsitz des Präsidenten der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, konkrete Vorschläge für dieses Reformprojekt ausarbeiten lassen.

    Die Umsetzung aber oblag nun de Maizière. Am 18. Mai vergangenen Jahres stellte er der Öffentlichkeit neue "Verteidigungspolitische Richtlinien" vor, aus denen sich ein Fähigkeitsprofil der Bundeswehr ergab, das wiederum deren Umfang und Ausrüstung bestimmen sollte.

    "Das Ziel der Neuausrichtung ist es, unsere Streitkräfte so aufzustellen, zu finanzieren, auszustatten und zu führen, dass wir als Land unsere nationalen Interessen wahren, internationale Verantwortung übernehmen und gemeinsam zu Hause genauso wie mit unseren Partnern in der Welt Sicherheit gestalten."

    Als konkrete Aufgaben der Bundeswehr nennen die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" unter anderem:
    Der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, sein Nachfolger Thomas de Maizière und Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker beim Zapfenstreich.
    Amtübergabe: Der ehemalige Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg (Mitte) und sein Nachfolger de Maizière (links) beim Zapfenstreich. (AP)
    • Landesverteidigung im Rahmen des NATO-Bündnisses

    • internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung – wozu auch der Kampf gegen den internationalen Terrorismus gerechnet wird

    • Beteiligung an militärischen Aufgaben im EU-Rahmen

    • Heimatschutz, worunter Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet verstanden werden, ferner Amtshilfe bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand

    • Rettung und Evakuierung sowie Geiselbefreiung im Ausland

    • humanitäre Hilfe im Ausland.

    Die Bundeswehr soll künftig in der Lage sein, gleichzeitig bis zu 10.000 Soldatinnen und Soldaten für landgestützte Einsätze in bis zu zwei Einsatzgebieten und zusätzlich einem maritimen Einsatz flexibel vorzuhalten, während ihre Gesamtstärke deutlich reduziert wird, wie de Maizière erläuterte:

    "Insgesamt wird der Umfang der Streitkräfte auf eine Zahl von bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten festgelegt. Die Streitkräfte unterteilen sich künftig in 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten einschließlich Reservisten. Zusätzlich planen wir 5.000 Freiwillig Wehrdienstleistende fest ein und bieten darüber hinaus Platz und Ausbildung für weitere bis zu 10.000 Freiwillig Wehrdienstleistende pro Jahr. Die Zahl der zivilen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wird auf rund 55.000 festgelegt."

    Mit anderen Worten: Die Bundeswehr verliert rund 34.000 ihrer jetzigen militärischen und zivilen Dienstposten – und Dutzende ihrer bisherigen Standorte.

    Von insgesamt 328 Standorten im Oktober vergangenen Jahres werden künftig nur noch 264 übrig bleiben. 31 Standorte werden komplett geschlossen, 33 weitere so sehr schrumpfen, dass sie nach Bundeswehr-Definition nicht mehr als Standorte gelten. 90 Standorte werden, wie es heißt, "signifikant reduziert" – zur Enttäuschung der betroffenen Kommunen, für die die Bundeswehr jahrzehntelang ein wichtiger Wirtschaftsfaktor war. Thomas de Maizière reist nun selbst in solche Orte und wirbt um Verständnis für die Standortentscheidungen – wie zum Beispiel am vergangenen Donnerstag in Diez an der Lahn, wo von jetzt rund 1.500 Dienstposten nur noch 150 übrig bleiben werden:

    "Ich halte es für angemessen, dass ich nicht nur dahin gehe, wo es schön ist, sondern auch dahin, wo es schwierig ist. Und so ist es heute auch (in) Diez. Die Freiherr-vom-Stein-Kaserne, die Liegenschaft wird ganz aufgegeben, weil die entsprechenden Logistik-Einheiten insgesamt aufgelöst werden. Das wird noch nicht im Jahre 2012 und auch nicht im Jahre 2013 sein. Wir haben heute vereinbart, dass wir aber bereits jetzt im engen Kontakt mit den örtlichen Verantwortlichen sind bei der Prüfung, ob es Nutzungsmöglichkeiten gibt, bei der Zurverfügungstellung von Plänen und Überlegungen. Gegebenenfalls gibt es auch eine Mitnutzung schon vorher. Wir wissen um die Probleme. Wir versuchen dabei hilfreich zu sein. Ganz lösen kann man die Probleme nicht, wenn man eine Liegenschaft ganz und gar aufgibt."

    Klartext auch, als de Maizière wenige Tage zuvor am Stützpunkt Fort Bliss bei El Paso im US-Bundesstaat Texas das Ende der dort seit 1956 laufenden Flugabwehr-Ausbildung der Luftwaffe bestätigte:

    "Insgesamt wird die Ausbildung auf Sicht in Husum konzentriert werden. Die Übung wird sich dann eher auf Kreta konzentrieren, sodass auf eine längere Sicht gesehen die Raketenabwehr hier in Fort Bliss so nicht mehr weiter existieren wird."

    Davon betroffen sind die etwa 170 Stammsoldaten des Taktischen Aus- und Weiterbildungsbildungszentrums FlaRak der Luftwaffe USA, die bisher mit ihren Familien das angenehme Leben an diesem Auslandsstandort zu schätzen wussten, nun aber von der Reduzierung des Waffenarsenals der Bundeswehr betroffen sind: Die Zahl ihrer Patriot-Flugabwehrraketen-Batterien wird von 29 auf 14 reduziert. Denn von der Öffentlichkeit kaum bemerkt billigte der Verteidigungsminister im Oktober vergangenen Jahres auch eine umfassende Umrüstung der Bundeswehr – mit weitreichenden Folgen für die Rüstungsindustrie.

    So soll das Heer künftig nur noch 225 statt bisher 350 Kampfpanzer Leopard 2 zur Verfügung haben, die Luftwaffe nur noch 140 statt geplanter 177 Eurofighter und nur noch 40 statt der zuletzt vorgesehenen 60 Transportflugzeuge des Typs Airbus A400M. Damit sollen neue finanzielle Spielräume geschaffen werden, um auf aktuelle Herausforderungen etwa bei Auslandseinsätzen flexibler als bisher reagieren zu können. Im laufenden Jahr etwa sind rund 95 Prozent der Investitionsmittel im Verteidigungsetat bereits durch Rüstungsprojekte aus der Vergangenheit gebunden.

    Ein Jahr nach seinem Amtsantritt ist klar, dass Thomas de Maizière angetreten ist, um die Bundeswehrreform als wohl einziges große Reformprojekt der schwarzgelben Koalition zügig zum Erfolg zu führen. Vor einigen Tagen zog er diese Zwischenbilanz:

    "Das vergangene Jahr 2011 war das Jahr der Entscheidungen: Aussetzung der Wehrpflicht, Entscheidung über die Gesamtzahl der Soldaten und der zivilen Mitarbeiter, Absicherung der finanziellen Grundlagen, die Entscheidung über die Grobstrukturen und die grobe Einteilung der Teilstreitkräfte, die Entscheidung über die Ausrüstungsgüter, die Entscheidung über ein neues Rüstungsbeschaffensverfahren und letztlich die Stationierungsentscheidungen."

    Diese Entscheidungen seien nun allesamt gefallen und müssten nun umgesetzt werden.

    "Und das ist nicht so spektakulär wie die Entscheidungen, aber genauso wichtig. Es braucht nur Zeit. Und so ist insbesondere das erste Halbjahr 2012 das Jahr der Feinausplanung, des Zusammensetzens des Puzzles. Und dann beginnt die eigentliche Phase der Umsetzung. Das ist mühsam, das sind die Mühen der Ebene. Da gibt es Unsicherheiten und Erwartungsdruck, dass schnell die Entscheidungen kommen. Aber das ist ein unvermeidliches Zwischenstadium zur Umsetzung der Reform."

    Diese "Mühen der Ebene" scheint der Verteidigungsminister allerdings mental hinter sich gelassen zu haben. Wer seine öffentlichen Auftritte in den letzten Wochen und Monaten verfolgte, konnte vielmehr erleben, dass de Maizières Denken längst um andere Themen kreist. So macht er sich Sorgen um das sicherheitspolitische Image Deutschlands in der Welt. Zwar unterstützte auch der CDU-Minister als Mitglied des Bundeskabinetts im März vergangenen Jahres die auf Betreiben von Außenminister Westerwelle (FDP) erfolgte Stimmenthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, als dort über eine militärische Unterstützung der Gegner des libyschen Diktators Gaddafi entschieden wurde. Seitdem allerdings hält sich de Maizière mit öffentlichen Äußerungen zum deutschen Stimmverhalten, das Deutschland NATO-intern heftige Kritik einbrachte, nicht nur auffällig zurück, sondern geht im Gegenteil sogar in die politische Gegenoffensive – zum Beispiel am 03. Februar dieses Jahres auf der 48. Münchener Sicherheitskonferenz:

    "Heute leisten über 7.000 deutsche Soldaten und Soldatinnen auf drei Kontinenten ihren Dienst. Seit 1991 waren über 300.000 deutsche Soldaten im Einsatz. In Afghanistan haben wir als einzige Nation außer den USA seit 2007 die Führung die Führung einer Region, des RC North, inne. Wir sind einer der größten Truppensteller. Die Bundeswehr kann kämpfen und führen. Wir beteiligen uns aktiv und nachhaltiger als andere an der Operation ATALANTA. Im Kosovo mit KFOR haben wir eine anerkannte Führungsrolle. Wir brauchen unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen."

    Deutschland sollte mehr Sicherheitsverantwortung in der Welt übernehmen, lautet die selbstbewusste politische Botschaft des Verteidigungsministers, aber, so de Maizière auch selbstkritisch in einer Diskussionsrunde der Münchener Sicherheitskonferenz:

    "In Bezug auf die Ökonomie wünschen sich die meisten Deutschen eine Führungsrolle, in Bezug auf Sicherheitspolitik wahrscheinlich nicht. Dass das aber ein bisschen zusammengehört - darüber rede ich seit neun Monaten, mit mittelmäßigem Erfolg."

    Und dennoch: Nach einem Jahr im Amt will der Verteidigungsminister offenkundig mehr sein als der "Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt" im Friedens- und im Spannungsfall, sieht er sich durchaus auch als Diplomat:

    Washington, 16. Februar 2012. Besuch beim Amtskollegen Leon Panetta im Pentagon. Thomas de Maizière parliert bei der Begrüßung durch Panetta flüssig auf Englisch, bewegt sich auf internationalem Parkett so sicher wie bei Truppenbesuchen, scheut sich nicht, auch im Ausland bei öffentlichen Auftritten der Politik Denkanstöße zu geben, wenn es um Deutschlands Rolle in der internationalen Sicherheitsarchitektur geht.

    In Deutschland hat sich de Maizière andere Aufgaben gesetzt.

    Hannover, 03. Juni 2011. Auf der Trauerfeier in der Epiphaniaskirche für drei Ende Mai in Afghanistan gefallene Bundeswehr-Soldaten nimmt der Verteidigungsminister die traurigste Aufgabe seines Amtes wahr:

    "Wir nehmen heute Abschied von Major Thomas Tholi, Hauptmann Markus Matthes, Hauptfeldwebel Tobias Lagenstein. Sie sind nicht mehr unter uns. Sie fehlen ..."

    Der Tod von mittlerweile über 50 Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan ist für de Maizière ein weiterer Beweggrund, über das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft neu nachzudenken. Denn mit der Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht, die der Minister bedauert, aber für unvermeidlich hält, entfällt diese Verankerung der deutschen Streitkräfte in der Gesellschaft. De Maizière will nun in die Offensive gehen und gab dafür bereits bei der Präsentation der Reform-Eckpunkte im Mai vergangenen Jahres das Motto aus:

    "Es ist ehrenvoll, in deutscher Uniform für eine bessere, gerechtere, freiere und sicherere Welt einzutreten. Darauf können wir in aller Bescheidenheit stolz sein."

    Sein besonderes Anliegen ist es nun, das Verhältnis von Bundeswehr und Gesellschaft auch mit einer gezielten Veteranenpolitik zu normalisieren:

    "Eine Veteranenpolitik zu entwickeln ist in der Tat ein zusätzliches Scharnier der Verbindung von Bundeswehr und Gesellschaft. Aber es ist für sich genommen auch ein notwendiges Stück Achtung der Gesellschaft vor Leistungen von Soldaten. Wie diese Veteranenpolitik im einzelnen aussieht, das kann man nicht verordnen, schon gar nicht der Bundesminister der Verteidigung kann das verordnen. Das muss sich im gesellschaftlichen Prozess entwickeln.

    Dazu habe ich Denkanstöße gegeben. Die werden wir auch in der nächsten Zeit noch einmal vertiefen. In Deutschland war der Veteranenbegriff früher kompliziert schwierig wegen unserer deutschen Geschichte. Wie sollen wir mit den Veteranen der Wehrmacht umgehen? Sind ehemalige NVA-Soldaten Veteranen der Bundeswehr, ja oder nein? All das hat sich biografisch erledigt. Deswegen ist jetzt der Raum frei für ein Konzept der Veteranen der Bundeswehr. Und das sollten wir in diesem Jahr auch als einen Schwerpunkt der Diskussion nutzen."

    Mit ihrer Neuausrichtung reiche die Bundeswehr der Öffentlichkeit die Hand, erklärte de Maizière, als er das Konzept im vergangenen Jahr präsentierte. Der Verteidigungsminister jetzt auf die Frage, ob die dargebotene Hand nach seinem Eindruck denn auch ergriffen wurde:

    "Ja, durchaus. Allerdings ist auch das kein einmaliger Akt des ‘Sich-Hände-Gebens’, sondern ein dauerhafter Prozess des ‘Sich-Hände-Haltens’. Die Eingliederung, die Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft war durch die Wehrpflicht gegeben, von selbst. Jetzt gibt es keine Wehrpflicht mehr in der bisherigen Form, und die Einsätze sind oft weit weg von Deutschland. Und deswegen kommt es darauf an, in veränderter, aber nicht ganz neuer Form dafür dauerhaft zu sorgen, dass die Bundeswehr ein Teil der Gesellschaft bleibt.

    Das Ansehen der Bundeswehr und der Beruf des Soldaten ist hoch. Schaut man sich die Unterlagen, die Daten im einzelnen an, so ist die Bundeswehr bei den angesehenen Institutionen unter den ersten fünf in diesem Land. Sie finden kaum noch an Wänden Sprühsprüche’ Soldaten sind Mörder’. Es gibt ein großes Mitgefühl, wenn Soldaten im Einsatz fallen. Gleichwohl bleibt da viel zu tun, und das kann nicht nur eine einseitige Angelegenheit der Bundeswehr zur Gesellschaft hin sein, sondern muss genauso eine dauerhafte Zuwendung der Gesellschaft zur Bundeswehr bleiben."

    Wenn nicht alles täuscht, könnte Thomas de Maizière als bisher größter Reformer der Bundeswehr in die Geschichte eingehen. Und dabei mag er nicht einmal das Wort "Reform":

    "Der Reformbegriff ist in der deutschen Politik verbraucht. Jede kleine Änderung ist eine Reform, und die Bundeswehr hatte auch schon viele Reformen. Und deswegen fand ich, mit dem Begriff ‘Neuausrichtung’ wird das, worum es geht, besser beschrieben. Es ist eine neue Ausrichtung der Bundeswehr, eine Veränderung an Haupt und Gliedern organisatorischer Art, aber auch was die Führungsgrundsätze und Mentalitäten angeht. Den Ausdruck ‘historische Reform’ wollte ich nicht gerne verwenden. Was ‘historisch’ ist, weiß man immer erst später – und nicht die Generation, die etwas macht."

    Und damit tritt Verteidigungsminister de Maizière möglicherweise in die Fußstapfen seines Vaters Ulrich de Maizière, des früheren Generalinspekteurs der Bundeswehr. Dieser hatte noch den Zweiten Weltkrieg als junger Offizier unter anderem im Oberkommando des Heeres erlebt, bevor er zu den Mitbegründern der Bundeswehr und einem der Väter des Konzepts der Inneren Führung wurde. Sein jüngster Sohn Thomas, Jahrgang 1954, antwortet heute allerdings nur sehr zurückhaltend auf die Frage, ob er sich nun als Bundesminister der Verteidigung auch in einer Familientradition sieht:

    "Natürlich ist das so. Ich kann das ja gar nicht leugnen. Wir werden alle geprägt von unseren Elternhäusern. Andererseits bin ich als Sohn befangen, über meinen Vater zu reden, gar öffentlich, und die Zeiten, in denen mein Vater Generalinspekteur war, waren ziemlich anders. Manches ist gleich geblieben, vieles ist anders geworden. Also, über die Frage von gemeinsamen Traditionslinien sollten lieber andere urteilen als ich selbst."
    Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) zeigt im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin bei einer Pressekonferenz zur Reform der Bundeswehr das Papier "Informationen zur Neuausrichtung der Bundeswehr".
    Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) bei einer Pressekonferenz zur Reform der Bundeswehr (AP)
    Der Generalinspekteur der Bundeswehr (von 1966-1972), Ulrich de Maiziere
    Ulrich de Maiziere war von 1966-1972 Generalinspekteur der Bundeswehr. (picture alliance / dpa - Verteidigungsministerium)