Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Angeln als Schulfach
"Ein bisschen Demut vermitteln"

Fischkunde, Knoten üben, Gewässerkunde: An zwei Ganztagsschulen in Mecklenburg-Vorpommern wird derzeit das Konzept "Angeln als Schulfach" getestet. Im Vorfeld hatte die Tierschutzorganisation PETA heftige Kritik an dem Vorhaben geübt.

Von Silke Hasselmann | 22.05.2019
Gesamtschüler dürfen als Schulfach "Angeln" nehmen
Gesamtschüler in Mecklenburg-Vorpommern haben testweise "Angeln" als Schulfach (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
"Luca, hast du ´ne Hand frei?"
Dienstagnachmittag am Hagenower Mühlenteich. Sechstklässler der Ganztagsschule stehen am Ufer und versuchen ihre Stippe zusammenzubauen. Wofür die gut ist? Moritz und Jannik wissen Bescheid:
"Für Friedfische, also nicht für Lachs oder so was."
"Hier könnte man hauptsächlich Plötze und Rotfedern fangen."
Auch dabei: Christoph Witteck und Kilian Neubert vom Anglerverband Mecklenburg-Vorpommern.
"Hier musst Du aufpassen, denn hier ist jetzt der Haken."
Beide verteilen nun Dosen mit gelblichen Maden, die sich eigentlich zu Fliegen entwickeln wollten, nun aber als Fischköder enden.
"So, Achtung! Bei den Maden seht ihr zwei kleine Löcher hinten am Po. Ich komme auch noch mal rum und zeig es euch… Victoria, Melina! Ihr seht - ja, die soll ja leben, denn die soll ja auch Fische anlocken, ne."
Wissen aus vielen Fachgebieten kombinieren
Die beiden jungen Diplombiologen testen derzeit in zwei Ganztagsschulen, ob ihr Konzept "Angeln als Schulfach" aufgeht. Kilian Neubert hat das Lehrmaterial entworfen, das Wissen aus Geographie, Gewässerkunde, Biologie, Ökologie und Mathematik verbindet - etwa beim Ausloten von Tiefen, beim Berechnen von Fließgeschwindigkeit und Bleigewichten am Flott. Mit diesem Material sollen später Biologielehrer ebenso in den Schulen arbeiten könnten wie ehrenamtliche Angler. Christoph Witteck tut das schon jetzt in den beiden Pilotklassen.
"Beide Klassen haben mit Gerätekunde angefangen: Vorstellen der einzelnen Angelgerätschaften, Aufbau, Montage, ein bisschen Knoten üben. Dann sind wir zur allgemeinen Fischkunde übergegangen, weil das die Grundlagen sind, die man braucht, um das Angelgerät zu bedienen und dass die Schüler auch in der Lage sind, das entsprechend naturschutzrechtlich korrekt zu behandeln. Also wenn man den Fisch abhakt und liegen lässt und nicht weiß, dass der dann qualvoll ersticken würde im Gras, dann wäre das natürlich dem Ganzen nicht zuträglich."
Kilian Neubert ergänzt: "Uns ist es auf jeden Fall auch wichtig darauf hinzuweisen, dass, wenn man jetzt Fleisch essen möchte, war das mal ein Tier. Und so ist das Angeln einfach auch eine gute Möglichkeit, ein bisschen Demut zu vermitteln. Dass das ein Tier ist, das mal gelebt hat, und wenn ich Fleisch essen möchte, dann muss dafür auch ein Tier sterben. Das ist nicht ´ne Packung aufreißen und die Wurst rausholen, sondern das war halt wirklich mal ein Tier. Das kann man mit dem Angeln sehr gut vermitteln, und das wollen wir auch machen."

Jannik: "Herr Witteck, ich haben den ersten Fisch!"
Gesamtschüler lernen im Schulfach "Angeln" Theorie und Praxis
Mehlwürmer aufspießen gehört zum Schulfach Angeln dazu (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
"Sehr schön, erster Fang des Tages. Meine Güte; so schnell geht das! So, jetzt ganz kurz: Welche Reihenfolge? Willst du den Fisch behalten oder nicht?"
"Nee."
"Dann abhaken."
Vorsichtig holt Jannik den Haken aus dem Maul der kleinen Rotfeder. Dann hockt er sich hin und lässt sie aus den Händen ins Wasser gleiten. Wäre sie groß genug gewesen, hätte der 12-Jährige ebenfalls gewusst, was zu tun ist: zunächst ein kräftiger Schlag auf den Kopf.
"Die betäubt man halt waidgerecht und sticht dann ein Messer ins Herz oder in die Kiemen."
Bezug zum Tier ist beim Angeln nötig
Das kann und mag nicht jeder, weiß Diplombiologe Christoph Witteck, den der Landesanglerverband eigens für "Angeln macht Schule" eingestellt hat. PETA, ein relativ kleiner, aber aufgrund radikaler Ansichten und Aktionen bekannter Tierschutzverein, kritisierte dieses Projekt sogar als "Erziehung zur Grausamkeit". "Unsinn." sagt der Hobbyangler und empfiehlt allen Ganztagsschulen, die Angeln womöglich künftig regulär als Wahlfach bei sich anbieten wollen, diesen Punkt offensiv anzusprechen.
"Also, was ich grundsätzlich gleich von vornherein abgeklärt habe, ist, dass die Schüler nicht gezwungen werden, die Fische zu töten. Auch nicht auszunehmen. Aber natürlich mit dem Verweis, dass, wenn man angeln möchte, dass man da nicht drum herum kommt. Es gibt auch einige Schüler, die das dann ihren Eltern übergeben, die dann den Fisch entsprechend ausnehmen. Denn wenn ich den Bezug zum Tier habe, wenn ich sehe, wo es lebt, dass ich es aus dem Lebensraum entnehmen muss, muss ich ein bisschen Demut aufweisen, um das Tier zu töten. Und anders als bei der gesichtslosen Wurst - es sei denn, es ist `Gesichtswurst` (lacht) - oder das Schnitzel oder das Fischstäbchen - das fehlt nachher der Bezug zum Tier und zu dem eigentlichen Ereignis des Todes."
Zum Schuljahresende erhalten die Angel-Schüler übrigens kostenlos den Angelschein. Doch Melina findet es noch aus einem anderen Grund gut, im Unterricht eine kleine Ewigkeit ruhig am Wasser stehen zu können.
"Weil man ´ne Auszeit hat und einfach mal entspannen kann."
Reporter:"Ruhig sein, Handy weg und so weiter - das würde dich gar nicht stören?"
"Nee, ich bin nicht so handysüchtig."