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Angespanntes Verhältnis

Georgien strebt in die NATO, ebenso die Ukraine und beide Länder konnten sich der Unterstützung des amerikanischen Präsidenten sicher sein, als er noch Georg W. Bush hieß. Doch bei seinem Amtsnachfolger ist sich in Tiflis und Kiew keiner mehr so sicher, im Gegenteil hier wird die Frage laut, auf wessen Kosten sich die amerikanisch-russischen Beziehungen wohl verbessern werden. Genau diese Zweifel wollte der amerikanische Vizepräsident Joe Biden zerstreuen, als er gestern auf seinem Weg von der Ukraine nach Georgien auf Russland zu sprechen kam und Moskau das Recht einer Einflussnahme auf frühere Sowjetrepubliken grundsätzlich abgesprochen hat. Kein Staat dürfe die Entscheidungen eines anderen torpedieren, so Biden. Ob der amerikanische Vizepräsident damit alle Zweifel zerstreuen konnte? Denn die Ressentiments gegen Russland sitzen tief nicht nur in Tiflis und Kiew, sondern auch in Prag.

Von Kilian Kirchgeßner |
    Es sind die immer gleichen Bilder, die den Tschechen vor Augen stehen, wenn es um das Verhältnis zu Russland geht: der August 1968, die militärische Niederschlagung des Prager Frühlings. Damals sind unter russischer Führung die Panzer des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei eingerückt, um die Freiheitsbewegung zu unterdrücken. Seither gilt das Land der einstigen sozialistischen Brüder für viele Tschechen als rücksichtslose Großmacht. Die Ressentiments aus der damaligen Zeit halten bis heute an - und sie übertragen sich auf die gegenwärtigen Probleme, wie Politologe Jiri Pehe aus Prag feststellt:

    "Natürlich haben die Tschechen jedes Recht, sich über russische Erpressungen Sorgen zu machen; denken Sie nur an die gestoppten Gas- und Öllieferungen aus Russland. Es geht aber auch um viele andere Formen des politischen Drucks."

    Diese Sorgen teilen führende Intellektuelle aus den neuen EU-Ländern. Ehemalige Staatsmänner wie der frühere tschechische Dissident Vaclav Havel haben in einem gemeinsamen Brief an US-Präsident Barack Obama eine enge Allianz zwischen Amerika und den Staaten im Osten der EU gefordert.

    "Das ist kein Zeichen von Misstrauen", " sagt der frühere Prager Außenminister Karel Schwarzenberg, der ebenfalls zu den Unterzeichnern des Briefes gehört. ""Wir haben lediglich die Sorge, dass unsere Region bei den amerikanischen Interessen allzu sehr in den Hintergrund rücken könnte."

    Diese Sorge hat einen konkreten Anlass: den Besuch, den US-Präsident Obama seinem russischen Amtskollegen Medwedew abgestattet hat. In den früheren Ostblockstaaten, die heute zur Europäischen Union gehören, fürchten viele, dass Obamas plakativer Versöhnungswillen die Position Russlands stärken könnte. Tschechische Kommentatoren warnten in ihren Leitartikeln bereits davor, dass sich Obama auf allzu viele Kompromisse einlassen könne. Der frühere Prager Europaminister Alexandr Vondra, der den Aufruf ebenfalls unterzeichnet hat, wirbt um Verständnis für die mitteleuropäischen Staaten.

    "Wir möchten nicht, dass die neuen amerikanisch-russischen Beziehungen - so sehr wir deren Notwendigkeit verstehen - auf unsere Kosten gehen."

    Besonders ein Projekt bereitet den Tschechen Bauchschmerzen: die Stationierung der Radaranlage in Tschechien, die zum wichtigen Bestandteil der geplanten amerikanischen Raketenabwehr werden soll. Trotz heftiger öffentlicher Debatten hat die Prager Regierung schon ihr Jawort gegeben. Die Russen sind vehement gegen das Projekt und lassen die amerikafreundlichen Tschechen ihren Widerstand gerne spüren. Politologe Jiri Pehe:

    "Die tschechische Politik sollte sehr aktiv daran arbeiten, sich von Russland unabhängig zu machen. Wie nötig das ist, hat sich nach dem Vertrag über den Raketenschirm gezeigt. Da haben die Russen sofort die Öllieferungen an Tschechien eingeschränkt - offiziell wegen technischer Probleme, aber niemand weiß, ob es nicht doch eine Rache gewesen ist."

    Solche Vorfälle schüren in Tschechien das ohnehin vorhandene Misstrauen gegenüber den Russen. Als unzuverlässig, machthungrig und unkalkulierbar gelten sie vielen Tschechen seit den Tagen der Sowjetunion. Die Tschechen wandten sich deshalb umso begeisterter den Amerikanern zu, nachdem der Eiserne Vorhang gefallen ist. Jetzt fürchten viele, dass sie zerrieben werden könnten - zwischen den argwöhnisch beäugten Russen und den Amerikanern, die plötzlich auf Russland zugehen. Die Region im Osten der EU könnte bei solchen diplomatischen Machtspielen auf der Strecke bleiben - diese Befürchtung klingt in dem Brief der Intellektuellen immer wieder durch. Hinter den Prager Kulissen wird die Kritik an der amerikanischen Administration weitaus deutlich formuliert: Den Politikern und Diplomaten der jungen Generation fehlten die historischen Erfahrungen, um Russland richtig einschätzen zu können, heißt es da. Die alte Angst aus den Zeiten des Prager Frühlings - sie sitzt in Tschechien immer noch tief.