Freitag, 29. März 2024

Archiv

Angriff auf US-Stützpunkte im Irak
"Der Iran möchte sich nicht mit den USA anlegen"

Mit dem Angriff auf zwei US-Militärbasen im Irak wollte der Iran einen imponierenden Angriff durchführen, sagte der Politologe Peter Rough im Dlf. Allerdings sei es nicht Teherans Absicht, eine weitere Eskalation herbeizuführen und die "Schwelle für einen amerikanischen Gegenangriff zu überqueren".

Peter Rough im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 08.01.2020
Das Bild zeigt eine iranische Fateh-110 Boden-Boden-Rakete
Der Iran hat US-Militärbasen im Iran angegriffen (picture-alliance / dpa / Iranian Defense Ministry / Vahid Reza Alaei)
Jörg Münchenberg: Wenige Tage nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch einen US-Drohnenangriff hat der Iran jetzt einen Vergeltungsschlag ausführen lassen. Ziel der Attacke: zwei auch von US-Soldaten genutzte Militärbasen im Irak.
In Washington kamen inzwischen die wichtigsten Mitarbeiter von US-Präsident Donald Trump zu einer Krisensitzung zusammen. Trump hatte ja dem Iran seinerseits mit Vergeltung im Falle von Angriffen gedroht.
Es ist gar nicht abzusehen, welche geopolitischen Folgen die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani haben wird. Es droht ein Flächenbrand im Nahen Osten und selbst das irakische Parlament hat ja bereits den Abzug der ausländischen Truppen gefordert. Der geballte Zorn richtet sich derzeit gegen Amerika.
Am Telefon ist nun Peter Rough. Er arbeitet für das Hudson Institute. Das ist eine konservative Denkfabrik in Washington. Herr Rough, ich grüße Sie!
Peter Rough: Schönen guten Morgen nach Deutschland!
Münchenberg: Herr Rough, von den USA genutzte Militärbasen im Irak sind vom Iran angegriffen worden. Droht nun eine direkte militärische Konfrontation zwischen dem Iran und den USA?
Rough: Ich glaube, es gibt schon längere Zeit eine militärische Konfrontation. Soleimani war ja ein eiskalter Killer, der ohne Übertreibung Hunderttausende von Toten in Syrien zu verantworten hat, Hunderte von Amerikanern im Irak hat umbringen lassen. Die letzte Eskalation war ein Angriff auf die US-Botschaft und die Absicht, einen Angriff auf US-Amerikaner durch Iran nahe Milizen zu befehlen. Letztendlich gibt es hier aber ein massives Machtgefälle und der Iran hat erkannt, dass er sich vielleicht hier in eine Zwickmühle hineinbewegt hat.
Dadurch, dass er jetzt diese Antwort gefunden hat, glaube ich, kann man mehr oder weniger – es sieht zumindest danach aus – vermuten, dass Teherans Absicht war, einen großen imponierenden Angriff durchzuführen, ohne Trumps Schwelle für einen amerikanischen Gegenangriff zu überqueren. Trump sprach ja, wie Sie vorhin gesagt haben, von 52 iranischen Zielen, die er im Visier hat und angreifen würde als Antwort. Ich glaube, der Iran möchte hier auf konventioneller Ebene sich zurückhalten, mit den USA sich nicht anlegen. Es hat ja auch nach dem Libanon-Krieg 2006 durch die gesteuerte Hisbollah-Miliz im Libanon Eskalationsmanagement-Konzepte der Proportionalität angewendet und es findet dann asymmetrische Wege, um vielleicht weiterhin die USA zu provozieren.
"Teheran hat sich etwas verkalkuliert"
Münchenberg: Aber das sind ja jetzt keine Provokationen. Es gab jetzt einen direkten Angriff auf Militärbasen, die auch von US-Soldaten genutzt werden. Die Frage ist ja schon, ob das jetzt nicht eine neue Qualität der Auseinandersetzung hat.
Rough: Ich bin gespannt, denn die ersten Berichte aus dem Irak sind ja, dass hier ein paar Iraker ums Leben gekommen sind. Ich bin gespannt, ob der irakische Premierminister harte Worte für den Iran finden wird, nachdem er die USA ja denunziert hat für die Tötung eines Iraners, jetzt aber mehrere Iraker von iranischen ballistischen Raketen umgebracht worden sind. Trumps rote Linie war immer, dass amerikanische Menschenleben geschützt werden müssen.
Er hat ja auch bei anderen großen iranischen Aktionen in der Vergangenheit nicht geantwortet, sich geduldig erwiesen oder zurückhaltend, und das hat dann bei manchen den Eindruck erwähnt, dass er als sozusagen zahnloser Tiger nicht mehr die amerikanische Rolle als Ordnungs- und Schlichtungsmacht in der Region wahrnehmen wollte oder möchte. Jetzt hat er bewiesen, dass er bereit ist, Rückgrat zu zeigen und Antworten auf den Iran. Teheran hat sich etwas verkalkuliert und versucht hier – Sarifs Tweet vor kurzem hat dies ja auch wieder mal betont -, eine Antwort zu finden, ohne eine weitere Eskalation zuzulassen.
Menschen und eine iranische Flagge sind auf den Straßen Tehrans am 6. Januar bei der Beerdigung des iranischen Generals Qasem Soleimani zu sehen. 
Konflikt im Mittleren Osten - Europäer brauchen eine neue Iran-Strategie
Deutschland und Europa hätten einen nur geringen Einfluss, wenn es um die Lösung schwieriger Machtfragen im Iran geht, meint Marcus Pindur. Die Europäer sollten sich also mit der Trump-Administration über das weitere Vorgehen in diesem Konflikt zu einigen versuchen - auch, wenn es schwer falle.
Münchenberg: Herr Rough, es gibt natürlich auch die ganz andere Lesart, dass die USA schlicht, dass der US-Präsident auch schlicht unterschätzt haben, was die Tötung des iranischen Generals Soleimani letztlich bewirken könnte, was sie auch im Iran auslösen könnte.
Rough: Ja, das ist schwer zu sagen. Der Iran hat sich in den letzten paar Jahren wirtschaftlich sehr schwergetan. Der Internationale Währungsfonds hat in den letzten Wochen neue Prognosen veröffentlicht. Die iranische Wirtschaft wird 2019 um fast zehn Prozent schrumpfen. 2020 wird das möglicherweise noch schlimmer, noch schwieriger werden. Es gab Proteste in den letzten Wochen und Monaten in dem Iran. Iran war geschwächt. Jetzt ist schwer zu belegen, wie stark der Zusammenhalt im Iran ist. Man hat die Bilder von den Begräbnis- und den Trauerfeierlichkeiten im Iran gesehen. Das war vielleicht der harte Kern des Regimes, aber auch zusätzlich andere, die dazugekommen sind.
"Jetzt ist schwer zu belegen, wie stark der Zusammenhalt im Iran ist"
Münchenberg: Man hat damit ja quasi genau das Gegenteil von dem bewirkt, was man eigentlich erreichen wollte, nämlich man hat hier eine Einigung des Landes hinter dem Regime geschaffen.
Rough: Das ist schwer zu sagen und schwer zu belegen. Wenn man den harten Kern des Regimes, Revolutionsgarde, Invasivtruppen und so weiter zusammenzählt, kommt man auf vier oder 500.000 Iraner. Mit Familienangehörigen ist man ziemlich schnell bei ein paar Millionen Iranern, und das ist eine Nation von 80 Millionen Personen. Zudem erinnere ich mich auch an die massiven Trauerfeiern für Fidel Castro in Kuba vor ein paar Jahren und Havanna, ist heute dennoch massiv in Bedrängnis. Es ist sicherlich etwas dran, aber meines Erachtens sind die strukturellen Probleme des Regimes ziemlich hartnäckig. Die Schwächen werden sich langfristig nicht durch Trauer um Soleimani so rasch beseitigen lassen. Und sie haben einen brillanten essentiellen Mann verloren. Das darf man auch nicht vergessen.
Münchenberg: Der aber inzwischen auch schon wieder ersetzt worden ist. Insofern ist die Frage, ob da wirklich ein Vakuum innerhalb der iranischen Führungsgilde entsteht.
Rough: Ja, gut. Er ist ersetzt worden insofern, dass eine neue Persönlichkeit diese Position eingenommen hat. Ob diese Person aber die gleichen Fähigkeiten, die gleichen Kapazitäten, das gleiche Spektrum absegnen kann? Soleimani war ja Außenminister, Geheimdienstchef sowie auch Chef der Spezialeinheiten, alles in einer Person. Das ist ein ziemlich derber Schlag, harter Schlag für den Iran.
Die größere Frage für mich ist eigentlich, was sich im Irak weiter tun wird, denn da gibt es jetzt die Chance. Einerseits wird der Iran versuchen, den Irak gegen die USA aufzuwühlen. Andererseits aber ist das auch ein Signal an Irak, dass man sich nicht dem Iran unterlegen muss, und da gab es ja auch Proteste in den letzten Monaten gegenüber dem Iran, die sich verkalkuliert haben im Irak.
Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Rough, gab es jetzt auch eine Resolution im irakischen Parlament, sicherlich nicht bindend, aber trotzdem das Signal ist da, dass die ausländischen Truppen abziehen sollen. Auch da sagen viele Beobachter, die USA hätten eigentlich genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie erreichen wollten.
Rough: Ich glaube, das ist nicht ganz richtig eingeschätzt worden. Erstens war das keine Resolution, weil das Quorum nicht erreicht worden ist. Es haben sich nur Schiiten zur Wahl gestellt. Diese wurden massiv von den iranischen Milizen unter Druck gestellt. Es gab einen sunnitischen Abgeordneten, der sich gezeigt hat und dort plädiert hat für einen weiteren Behalt der USA im Irak. Es ist, wie Sie gesagt haben, nicht bindend und die Kurden und die Sunniten würden dem widersprechen und zumindest dagegenhalten. Ob dieser amerikanische Schlag gegen Soleimani den Irak gegen die USA aufgewühlt hat, ich glaube, da fehlt noch einiges dazu. Aber es ist jetzt sicherlich der Moment da, wo der politische Kampf entsteht um die Zukunft des Iraks, und da werden wir erfahren, wer hier mit mehr Flexibilität und mehr Engagement daran arbeiten kann, den Irak für sich zu gewinnen.
Trump "möchte mit maximalem Druck den Iran zu einer Neuverhandlung zwingen"
Münchenberg: Aber viele Beobachter sagen insgesamt, Herr Rough, dass eigentlich eine klare Strategie der Amerikaner fehlt, von US-Präsident Trump, der ja mal mit dem Versprechen angetreten ist, er will die Truppen nachhause holen. Jetzt hat er sie um 3.000 Mann verstärkt im Nahen Osten.
Rough: Die Kritik an Trump war ja, dass man mit wirtschaftlichem Druck gegen den Iran vorgegangen ist, aber militärisch sich etwas zurückgehalten hat und dass in diese Lücke der Iran hineingefahren ist, um die Europäer gegen die USA zu positionieren, hier mit militärischen Maßnahmen Eskalation voranzutreiben und dadurch die Welt davon zu überzeugen, dass die USA nach dem Ausstieg des Iran-Abkommens für diese Destabilisierung zuständig ist. Aber ich glaube, dass Trump hier seine Strategie weiterfahren wird. Er möchte mit maximalem Druck den Iran zu einer Neuverhandlung zwingen, einer Verhandlung, in der überprüfbare Konzessionen auf dem Tisch liegen, die nicht nur die nuklearen Probleme ansprechen, sondern auch die regionalen Aktivitäten.
Da sieht sich die Regierung ganz geduldig. Sie glaubt, dass sie Erfolg hat. Sie glaubt, dass sie den Iran immer mehr in Bedrängnis bringen und dass letztendlich dies neue Rahmenbedingungen stellen wird für eine Neuverhandlung, oder der Iran wird weiterhin isoliert bleiben. Das ist die Wahl, die ihnen gestellt wird, und daran arbeiten sie. Das ist aber nicht unbedingt eine überparteiliche Position in den USA. Wir haben jetzt auch im November Wahlkampf. Da sieht man von den Demokraten eine andere Haltung. Und Teheran wird natürlich auch versuchen, auf Zeit zu spielen, so wie es manch andere tun, um die Zukunft der Iran-Politik von amerikanischer Sicht aus zu verstehen und einzustufen.
Irans Präsident Hassan Rohani mit dem Chef der Atombehörde, Ali Akbar Salehi, am 9.4.2019
Internationales Atomabkommen - "Es wird sehr, sehr schwierig, dieses Abkommen noch zu retten"
Der Iran hat mit der Inbetriebnahme von 40 modernen Zentrifugen zur Urananreicherung weitere Schritte zur Abkehr vom internationalen Atomabkommen eingeleitet. Damit wolle das Mullah-Regime gegenüber den Abkommenspartnern Druck aufbauen, sagte Nahost-Experte Daniel Gerlach im Deutschlandfunk.
Münchenberg: Aber noch mal, Herr Rough. Das Problem für Trump ist ja: Er hat versprochen, die Truppen nach Hause zu holen. Jetzt muss er in Reaktion auf die Ereignisse im Iran und im Irak auch, ausgelöst durch diesen Drohnenangriff, mehr Truppen in den Nahen Osten schicken. Wie will er das seinen Wählern erklären?
Rough: Das erklärt er insofern, dass amerikanische Wähler, auch jene, die vielleicht in diesem nationalen Lager die USA etwas zurückholen wollen aus der Region, nicht verstehen, wenn amerikanisches Blut vergossen wird. Da wurde ein Amerikaner umgebracht und das verändert das Kalkül vieler Amerikaner und das belegen auch die Umfragen. Es stimmt schon, dass Donald Trump so wie Barack Obama angetreten sind mit dem klaren Anspruch, die USA etwas zurückzunehmen, innenpolitisch zu fokussieren, aber sobald Amerikaner sterben, verändert sich da das Kalkül vollkommen, und ich glaube, dass das genügend Rechtfertigung für Trump ist. Truppen verschicken ist, glaube ich, etwas anderes wie Kriegsführung. Es ist, glaube ich, jedem Amerikaner völlig klar, dass die USA jetzt nicht einmarschieren wird wie 2003 in den Iran. Es gibt möglicherweise eine Auseinandersetzung. Die möchten wir und müssen wir unbedingt gewinnen. Aber das bedeutet nicht, dass man hier jetzt massiv mit hunderten, tausenden von Truppen auf Teheran zieht. Das ist vollkommen ausgeschlossen.
Münchenberg: Es gibt aber auch den Vorwurf, wenn man bei der Innenpolitik bleibt, dass Trump hier auch versuche, vom Impeachment-Verfahren abzulenken. Wie sehen Sie das?
Rough: Na ja. Ich würde es vielleicht nicht so zynisch einordnen. Ich würde das vielleicht eher machtpolitisch analysieren. Das Amtsenthebungsverfahren ist gegenwärtig sicherlich das größte politische Event in den USA. Um nur mal ein Beispiel zu nennen: Die Chinesen haben am Tag der Abstimmung im Unterhaus des Kongresses ein schon lange verzögertes Abkommen mit der Trump-Regierung zugestimmt – ein Handelsabkommen. Man könnte meinen, die haben einen Moment der maximalen Schwäche von Trump abgewartet, um den bestmöglichen Deal auszuhandeln, und das ist durchaus möglich, dass die Iraner Trump wie gesagt als zahnlosen Tiger eingeschätzt haben, der politisch geschwächt nicht in der Lage war, amerikanische Interessen zu verteidigen.
Es wird Trump ja auch immer wieder vorgeworfen, Wirtschaftssanktionen, nicht aber militärische Maßnahmen einzusetzen. Chamenei hat noch am 2. Januar per Twitter veröffentlicht, dass Trump hilflos ist und dass er nichts gegen den Iran unternehmen wird. Darum kann man die iranische Eskalation der letzten Monate vielleicht darauf zurückführen, dass sie Trump politisch sowie auch militärisch etwas geschwächt eingestuft haben, und sie wollten dies ausnutzen. Und da haben sie sich vielleicht etwas verkalkuliert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.