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Angriffe auf Amtsträger und öffentiche Angestellte
Politiker fordern mehr Schutz

Beleidigungen, Mord-Drohungen und Mordanschläge: Die Attacken auf Politiker, kommunale Mandatsträger und öffentliche Angestellte haben in den vergangenen zwei Jahren stark zugenommen. Daher fordert die Politik einen effektiveren Schutz für die Betroffenen.

Von Moritz Küpper | 21.01.2020
Christoph Landscheidt (SPD), Bürgermeister von Kamp-Lintfort.
Kamp-Lintforts Bürgermeister Landscheidt wurde der Trubel nach der Klage auf einen Waffenschein zu viel. Er zog deshalb zurück. (dpa / Arnulf Stoffel)
Die Kerzen hinter der Urne mit dem aufgedruckten Tanzmariechen flackern, dicht gedrängt stehen mehr als 500 Menschen in der vergangene Woche in einem Bürgerzentrum im Kölner Norden.
"Es brennen Kerzen. Gott lässt uns nicht im Tod. Dieses Vertrauen führt uns heute Mittag alle zusammen zu diesem Gedenkgottesdienst für Kurt Braun."
Jenen Mitarbeiter der städtischen Kämmerei, der Mitte Dezember mit einer Kollegin unterwegs war, eine Geldforderung vollstrecken sollte. Der säumige Zahler öffnete die Wohnungstür und erstach Braun mit einem Messer. Die Domstadt war geschockt, kam nun noch einmal zusammen, viele in Uniform. Ordnungsamt, Rettungsdienste, Polizei – und Karnevalisten, denn Braun liebte dieses Brauchtum, engagierte sich dort – was nun auch seinen Wiederhall fand.
Tränen im Publikum, auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker tupfte sich die Augen:
"Sie hören alle eine Rede, die ich nie halten wollte."
Es sind bewegende, vor allem, persönliche Worte, denn Reker weiß, wovon sie spricht: "Den Schmerz, den ein Messer hinterlässt, kann ich gut nachvollziehen."
Wahlkampfmaterial und ein umgeworfener Schirm liegen vor dem Tatort, dem Stand von Henriette Reker.
2015 war die damalige Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker bei einem Wahlkampfauftritt mit einem Messer verletzt worden. (Picture Alliance / dpa / Federico Gambarini)
Im Oktober 2015, einen Tag vor der Kommunalwahl, stach ein Mann mit rechtsextremem Gedankengut auf Reker ein, der heimtückische Stich in ihre Luftröhre verfehlte nur um Millimeter eine Arterie.
"Und so fühle ich mich Kurt Braun auch persönlich sehr nahe. Meine Wunde konnte verheilen und ich würde mir so sehr wünschen, dass Kurt Braun auch eine solche Chance gehabt hätte."
Spürbare Zunahme von Gewaltattacken
Ist das Alltag? In Deutschland? Die Zahl der Gewaltattacken auf Bürgermeister, Gemeinderäte und deren Mitarbeiter hat seit dem Jahr 2017 um ein Viertel zugenommen, besagen Statistiken. Sich wehren – aber wie? Es ist die Frage, die seit Wochen diskutiert wird. Beispielsweise auf der Tagung des Deutschen Beamtenbundes, direkt zu Anfang des Jahres, ausgerechnet in Köln, wo der dbb-Vorsitzende Ulrich Silberbach ausrief.
"Es scheint fast so, als sei der Dienst für Staat und Allgemeinheit mittlerweile geradezu eine Einladung an Dritte, sich gegenüber diesen Menschen abfällig, respektlos und aggressiv zu verhalten."
Applaus im Publikum, darunter Innenminister Horst Seehofer und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Doch: Was tun? Der Aufschrei war jedenfalls groß, als bekannt wurde, dass der langjährige SPD-Bürgermeister von Kamp-Lintfort, Christoph Landscheidt, nach Bedrohung von rechts, einen Waffenschein beantragte und – nachdem dieser ihm versagt wurde – dagegen klagte. Bewaffnete Politiker? Ein Bürgermeister, der wie ein Sheriff durch seine Stadt läuft? Ablehnung allerorts, beispielsweise auch auf der Trauerfeier in Köln. Dort schüttelt Josef Wirges den Kopf. Der Bezirksbürgermeister bekam einst, vor mehr als zehn Jahren, als es um den Bau der Kölner Zentralmoschee ging, ebenfalls Morddrohungen, doch einen Waffenschein, gar eine Waffe, wollte er nie:
"Die Gefahr besteht, wenn man so was hat, dann wendet man sie irgendwann auch an, trifft vielleicht den falschen. Das überlasse ich den dafür zuständigen Damen und Herren unserer Polizei."
Kamp-Lintfors Bürgermeister sieht Notwendigkeit einer Grundsatzentscheidung
Und auch Kamp-Lintfors Bürgermeister Landscheidt, der mittlerweile Personenschutz genießt, zog zurück. Eigentlich hätte in dieser Woche das Verwaltungsgericht Düsseldorf über den Antrag entscheiden sollen. Doch Landscheidt wurde der Trubel zu viel. Der ehemalige Richter bedauert aber, dass es nun keine grundsätzliche Entscheidung für – Zitat – "erheblich gefährdete Hoheitsträger" wie ihn gebe:
"Aber die Chance haben wir jetzt nicht. Es sei denn, ein anderer Kollege macht das geltend."
"Ich würde den Antrag zu hundert Prozent befürworten. Es gibt Rechte. Und im Waffengesetz steht, dass wenn ein Mensch über dem Durchschnitt der Allgemeinheit gefährdet ist, darf er diesen Schein beantragen", sagt dagegen Stefan Bisanz. Der 58-Jährige, ein ehemaliger Feldjäger der Bundeswehr und Personenschützer im Verteidigungsministerium, ist der bundesweit einzige öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Personenschutz. Seine nunmehr 400 Mitarbeiter-starke Firma "Consulting Plus" ist in diesem Bereich auch Marktführer in Deutschland.
"Das Argument: Dann hat da einer eine Waffe, der damit nicht umgehen kann. Ja bitte, dann kann man doch Auflagen machen, die es im Übrigen schon gibt für Berufswaffenträger. Die müssen regelmäßig schießen gehen, um das zu trainieren."
Umdenken in Deutschland gefordert
Auch Bisanz war auf der Beisetzung des Kölner Stadt-Mitarbeiters Kurt Braun. Dieser hatte – nebenberuflich – für sein Unternehmen gearbeitet. Für Bisanz ist klar, in Deutschland müsse es ein Umdenken geben:
"Also, einmal muss man grundsätzlich sagen, dass wir Deutschen kein Präventivvolk sind. Wir ziehen unsere Berechtigung, um Sicherheitsmaßnahmen einzuführen, immer daraus, dass etwas passiert ist."
Das zeige beispielsweise der Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz:
"Wenn man all die Ausgaben, die jetzt durch Untersuchungsausschüsse und, und, und mal zusammen nimmt, hätte man die 16 Weihnachtsmärkte in Berlin zu einem absoluten Safe-House machen können."
Natürlich, Bisanz ist Interessensvertreter. Doch sein Blick auf die Situation ist interessant:
"Wenn man den Komplett-Personenschutz nicht kann, aber – im Moment – fast nichts tut, denke ich, ist es vielleicht ein möglicher Weg, hab das mal genannt, das man sogenannte Bürgermeister-Betreuer einführt, wo es ausgebildete, vielleicht auch ehemalige Personenschützer gibt, die ja immer noch in den Behörden sitzen und eine andere Aufgabe wahrnehmen, dass die vielleicht jeder 20 bis 30 Bürgermeister haben, die kann man dann so einmal im Monat ungefähr besuchen und sie einfach wieder dran erinnern."
Zentrales Meldesystem für einen besseren Überblick
Sicherheit, so Bisanz, sei eine Frage des Trainings, des permanenten Wiederholens, sich in Erinnerung rufen, der Routine:
"Wie ist das: Schließt Du die Tür ab? Wie bewegst Du Dich? Guckst Du? Wo änderst Du die Wege? Also all die kleinen Tipps, die dazu führen, dass die Infrastruktur des möglichen Angreifers schwieriger wird."
Bisanz plädiert auch dafür, das Strafmaß bei Angriffen auf diese Personengruppe einfach mal zu verdoppeln. Bei der Stadt Köln soll es künftig ein zentrales Meldesystem geben, sagt Stadtdirektor Stephan Keller:
"Mit dem wir tatsächlich erfassen, wann Mitarbeiter, egal aus welche Dienststelle in ihrem Dienst angegriffen worden sind oder tätlich oder auch verbal angegangen worden sind. Ich glaube, ein solches System ist notwendig, leider notwendig. Diese Erkenntnis ist jetzt bei allen Städten vorhanden."
Doch im Fall des getöteten Stadt-Mitarbeiters Kurt Braun kommt diese nun zu spät.