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Angst essen Seele auf

Einige Gewalttaten Jugendlicher haben das Verhältnis von Brutalität und Alltäglichkeit neu definiert. In der Folge ist eine öffentliche Diskussion um den Faktor Immigration entbrannt. Politiker sind mit Forderungen nach "Warnschussarrest", schnellerer Abschiebung ausländischer Straftäter und kürzere Gültigkeit des Jugendstrafrechts hervorgetreten. Auch die Medien mischen in der Diskussion heftig mit.

Von Hans-Joachim Lenger | 06.01.2008
    Mit der BILD-Zeitung sich auseinanderzusetzen, ist immer ein wenig peinlich. Unversehens tut man so, als handle es sich da um eine irgendwie seriöse Instanz, die der Auseinandersetzung überhaupt wert wäre. Doch andererseits ist BILD ein Symptom. An ihm wird ablesbar, wie dem dumpfen Ressentiment, das in der Volksseele umgeht, Schliff und Richtung verliehen werden soll.

    Was Roland Koch mit seiner Idee von Erziehungscamps anstieß, hat in der Regierungspartei CDU mittlerweile Zustimmung und in BILD ein Organ gefunden, das solche Lagerphantasien forciert und ausbeutet. Wie das geht, war erst am Freitag wieder zu erfahren. Da veröffentlichte das Blatt Auszüge aus dem Vortrag eines Oberstaatsanwalts über Gewaltkriminalität unter Jugendlichen ausländischer Herkunft. Immerhin war, wie ein Blick ins Originalmanuskript zeigt, von den sozialen Gegebenheiten da noch die Rede, aus denen Kriminalität erwächst, wurden Bildungsnotstand, Perspektivlosigkeit oder die zunehmende Gettoisierung erwähnt. All dies aber zitierte BILD natürlich nicht. Ausgebreitet wurde allein, wie der Staatsanwalt solche Strukturen statistisch bestimmten Ethnien zuordnete. Und plötzlich erschien vor allem das arabische Wesen als Brutstätte krimineller Gewalt schlechthin.

    Rechtsradikale Straftaten deutscher Jugendlicher, neonazistischen Mord und Totschlag eskalieren jedoch ebenso. Sie entspringen vergleichbaren sozialen Umständen. Völkische Denkmuster scheinen überhaupt nahe zu liegen, wo die Verelendung eine bestimmte Tiefe erreicht hat, die zudem als unentrinnbar erfahren wird.

    Umso unerträglicher aber ist, wenn sich Politiker und Journalisten solche Denkmuster aneignen, um sie durchsichtigen Zwecken dienstbar zu machen. Kochs Lagerphantasien haben Schlimmes sichtbar gemacht, mehr noch: hervorgerufen. Ethnische Begriffe, die an rassistische Idiome grenzen, scheinen erneut politikfähig zu werden. Zusehends wird die Herkunft zum Qualitätsmerkmal eines Individuums, gerät Kriminalität in die Nähe eines genetischen Defekts und das Lager wieder zur staatstragenden Einrichtung. Und das inspiriert dann, durch alle Besonnenheitsfloskeln einer einverständigen Kanzlerin hindurch, deutsche Regierungsentscheidungen.

    Was sich hier zuträgt, hat freilich seine Voraussetzungen. Schon seit geraumer Zeit wird etwa der Islam in jenes unheimliche Dunkel getaucht, das sich dann auf den einschlägigen Titelblättern des Spiegel ausbreitete. Anstatt Wissen zu verbreiten, gewann eine Politik der Stimmungen die Oberhand, die nunmehr ihren vorläufigen Tiefpunkt ansteuert. Scharfmacher möchten Wortführer werden.

    Richter aber verlangen nicht eine Erfindung neuer Gesetze, sondern die Anwendung bestehender. Soziologen sprechen über soziale Ausschlüsse, Kriminologen über den Medienkonsum, der Exzesse der Gewalt begünstigt. Nie aber hat sich eine Mentalität, die bloß kurzen Prozess machen will, von rationalen Argumentationen beeindrucken lassen. Die sind ihr zu komplex, als dass sie sich in Wahlerfolge oder Auflagensteigerungen ummünzen ließen.

    Der Schaden, den all das hinterlässt, ist beträchtlich. Aber nicht jene werden ihn zu tragen haben, die unablässig mit ihrer Verantwortung hausieren gehen. Dieser Schaden besteht in einer weiteren Verwahrlosung politischer Öffentlichkeiten wie in der Verschärfung von Konflikten, die angeblich eingegrenzt werden sollten. Stets lässt eine blinde ethnische Stigmatisierung die ethnische Wut nämlich noch wachsen, steigern die Rassismen sich gegenseitig.

    Am gravierendsten dürfte deshalb die Vermutung sein, dass all dies zielstrebig einkalkuliert worden ist.