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Angst vor ausländischen Investoren

Die neue ukrainische Regierung - nun seit fast einem halben Jahr im Amt - hat viel Vorschuss-Lorbeeren aus dem Westen bekommen. Kein Wunder: Es ist die erste demokratisch gewählte Regierung des Landes seit langem. Präsident Wiktor Juschtschenko verdankt sein Amt Millionen von Demonstranten, die vergangenen Herbst gegen die Fälschung der Präsidenten-Wahl protestierten. Inzwischen aber wächst die Kritik an seinem Führungsstil und dem der Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko. Vor allem eine Reprivatisierungskampagne sorgt für Verunsicherung unter heimischen und ausländischen Investoren. Aus Kiew berichtet Florian Kellermann.

06.07.2005
    Nachmittags punkt fünf Uhr. Die Straßen von Krywyj Rih füllen sich mit Leben. Aus dem Stahlwerk, das sich auf einer Länge von rund 20 Kilometern an der Stadt entlang streckt, strömen die Arbeiter. Serhyj Jurhenjewitsch ist einer von ihnen. Wie auch die meisten anderen, hat er es eilig nach Hause zu kommen.
    Mit seiner Arbeit ist Serhyj zufrieden – vielmehr damit, dass er überhaupt Arbeit hat. Aber die politischen Auseinandersetzungen um das Stahlwerk in Krywyj Rih macht ihm Angst:

    "Ich bin dafür, dass die Regierung die Fabrik an die ursprünglichen Eigentümer zurückgibt. Von mir aus kann das Werk auch staatlich bleiben. Die Hauptsache ist, dass es in ukrainischer Hand ist. Vor allem haben wir Angst vor einem Investor aus dem Westen. Wir wissen doch nicht, was der mit uns anstellen würde. Der Westen braucht unseren Stahl doch nicht, die haben ihren eigenen. Die würden vielleicht die Filetstücke weiter verkaufen und das Werk in den Konkurs treiben. Aus dem Westen ist für uns noch nie etwas Gutes gekommen."

    Eigentlich sei er Ingenieur, sagt Serhyj, bevor er in die Straßenbahn steigt. Aber dann stellte sein Arbeitgeber, ein Rüstungsbetrieb, die Produktion ein. Im Stahlwerk von Krywyj Rih ist er für die Ausbesserung der Schornsteine zuständig.

    Krywyj Rih hat im vergangenen Herbst nicht für den neuen ukrainischen Präsidenten Juschtschenko gestimmt – wie übrigens fast die ganze Ostukraine. Trotzdem ist die Stadt für die neuen Machthaber zu einem Symbol geworden.
    Schuld daran ist das Stahlwerk Krywyrisch-Stal mit seinen 50.000 Angestellten. Nur wenige Monate vor der Wahl wurde es verkauft, privatisiert, und zwar ausgerechnet an den Schwiegersohn des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma. Nicht, dass der Schwiegersohn und sein Teilhaber gar nichts dafür gezahlt hätten – nein, immerhin rund 700 Millionen Dollar. Aber eine ausländische Gesellschaft bot fast doppelt so viel.

    Diese Privatisierung wollte die neue Regierung rückgängig machen. Und es gelang ihr auch – durch einen Gerichtsbeschluss. Wie wichtig das für das Image der neuen Machthaber war, wissen die Rentner, die auf dem Befreiungsplatz, dem zentralen Platz von Krywyj Rih, ihr Obst verkaufen. Die 67-jährige Lyuba Kryschanowska erinnert sich an einen Besuch der neuen Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko:

    "Sie war hier und hat sich den Markt angeschaut und sofort sind die Fleischpreise gefallen. Das war toll. Aber kaum war sie weg, da haben die Händler die Preise wieder hoch gesetzt. Die neue Regierung, die hat zwar die Renten ein bisschen erhöht, aber kaufen kann ich mir dafür nach wie vor nichts. Eine gute Wurst, die kostet heute ja schon über vier Euro das Kilo."

    Von ihrer Rente, nicht mehr als 50 Euro, können die Pensionäre nicht leben. Deshalb kommen sie jeden Tag auf den Befreiungsplatz, stellen sich vor die bröckelnde Fassade eines Hauses im Stalin-Barock und bieten ihr Obst an. Manche stehen vier Stunden, bis sie ein Kilo Aprikosen verkauft haben. Die einhellige Meinung der Alten ist: Etwas Gutes hat die neue Regierung noch nicht getan. Aber schlechter als die alte ist sie auch nicht. Wenn nur, ja wenn nur das Stahlwerk nicht in die falschen Hände gerät.

    Diese Skepsis, diese Angst vor der Zukunft, teilen Jung und Alt in Krywyj Rih. So auch der 17-jährige Michail Widitschenko, der in einem Computerklub seine Freizeit verbringt. Er würde nach seiner Ausbildung gern im Stahlwerk arbeiten. Aber dort unter zu kommen, erzählt er, ist gar nicht so einfach:

    "Wenn dort einer in Rente geht, dann bringt er doch gleich seinen Sohn oder seinen Neffen dort unter. Oder einen Bekannten. Ich kenne dort leider niemanden. Ich hoffe, dass mir mein Schulabschluss hilft, denn den habe ich mit Auszeichnung bestanden. Und natürlich hoffe ich, dass Krywyrischstal nicht abgewickelt wird. Klar, das ist harte Arbeit im Stahlwerk, zum Beispiel am Hochofen. Aber nach zehn Jahren kann man schon in Rente gehen und wo anders eine leichtere Arbeit annehmen."

    Nächste Woche hat Michail seine Aufnahmeprüfung für das Polytechnikum. Er würde gern an die Schwarzmeerküste, auf die Krim fahren. Aber dafür fehlt ihm das Geld, genauso übrigens wie dem Stahlarbeiter Serhyj und auch der Rentnerin Lyuba.