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Angst vor den Milizen

Der Ostkongo findet nicht zur Ruhe. In den vergangenen Wochen wurden erneut Menschen aus ihren Dörfern vertrieben, Frauen vergewaltigt, Kinder angeschossen. In den dichten Wäldern der rohstoffreichen Kivu-Provinzen herrscht die Hutu Miliz "Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas" FDLR.

Von Simone Schlindwein | 28.01.2012
    Das städtische Krankenhaus in Ostkongos Provinzhauptstadt Goma ist restlos überfüllt. Kinder, Großmütter, Frauen mit Schusswunden werden hier behandelt. Jeden Tag treffen weitere Verwundete ein. Wie der 20-jährige Buhahi Mulomba, der mit einer Kugel im Kopf eingeliefert wurde. Er hat sein Augenlicht verloren.

    "Die FDLR-Rebellen streunen bei uns schon seit Langem durch die Dörfer. Aber auch unsere eigenen Leute haben jetzt Waffen. Ich habe plötzlich nur noch Schüsse gehört und dann wurde es dunkel. Irgendjemand hat mich von Bulenga bis nach Goma getragen"."

    Bulenga, Kimua, Ntoto, Omate –lauter kleine Dörfer zwischen den Bergen tief im Dschungel. Die ruandische Hutumiliz FDLR hat in diesem minenverseuchten Gebiet einen Staat im Staat errichtet. In der FDLR haben sich nach dem Völkermord in Ruanda 1994, ehemalige Täter, also Angehörige der Hutu, neu organisiert - und zwar im Nachbarland Kongo. Seit 17 Jahren nun muss sich die dortige Bevölkerung mit den ruandischen Rebellen arrangieren, berichtet Alexandre Kabutwa. Er ist der Gemeindevorsteher derjenigen Dörfer, die jetzt von der FDLR angegriffen wurden. Er ist in Goma beim Roten Kreuz, um Hilfe zu mobilisieren.

    ""In meiner Gemeinde sind weder Soldaten noch Polizisten stationiert. Der Staat ist faktisch nicht präsent. Die FDLR regiert unsere Gegend und wir sind ihnen ausgeliefert. Doch nun haben die jungen Männer aus unseren Dörfern Waffen bekommen und damit die FDLR angegriffen."

    Bisher schon waren diese Männer gegen die FDLR im Einsatz – als sogenannte "Guides". Im Auftrag der kongolesischen Armee sollten sie die Stellungen der FDLR ausspähen. Wer sie bewaffnet hat, lässt sich schwer nachweisen. Fakt ist: Kurz vor den Präsidentschaftswahlen im November marschierten sie mit neuen Kalaschnikows aber ohne Uniformen auf. Woher sie diese erhalten haben, ist noch immer unklar. Sie scheinen auch trainiert worden zu sein und nennen sich nun "Kräfte zur Verteidigung der Kongolesen", kurz: FDC. Mehrfach haben sie die FDLR-Milizionäre angegriffen. Die Rebellen wiederum rächen sich an der Bevölkerung, berichtet ein weiterer Gemeindevorsteher, Lukonge Mwami. Dessen Dörfer liegen in der Umgebung des FDLR-Hauptquartiers.

    "Zum ersten Angriff kam es genau am Tag vor den Wahlen, am 27.November. Sie überraschten uns am Sonntagmorgen und töteten drei Menschen. Viele sind daraufhin geflohen und konnten am Wahltag nicht abstimmen. Einige Wochen später töteten sie elf Menschen mit Macheten und brannten fünf Dörfer nieder. Kurz vor Weihnachten schnitten sie einigen die Köpfe ab und stellten diese vor der Kirche und auf dem Marktplatz aus. Alle 20.000 Bewohner meiner Gemeinde sind geflohen.46 Menschen wurden getötet. 19 davon enthauptet."

    Diese Brutalität spricht dafür, dass es sich um eine Tat der FDLR handelt. Sie ist wohl eine Warnung an die Bevölkerung, sich nicht aufzulehnen. In den vergangenen Jahren haben Kongos und Ruandas Armeen mehrfach versucht, die FDLR zu zerschlagen. Ohne Erfolg. Die Rebellen sind eine streng disziplinierte, gut ausgebildete Truppe. Sie verfügen über eine Art Regierung, mit einem gewählten Präsidenten und Ministern. FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka und dessen Vize Straton Musoni leben als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland. Seit Mai 2011 müssen sie sich jedoch wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor Gericht verantworten. Dies hat die Führung der FDLR zwar stark geschwächt. Dennoch scheiterten bisher die Militäroperationen gegen sie.

    Jetzt setzen Kongos und Ruandas Regierung scheinbar auf eine andere Strategie: Sie rüsten Milizen wie die FDC auf. Die greifen dann das Hauptquartier an, berichtet Joseph Tuziyaremye. Er hat über zehn Jahre in der FDLR gedient. Nach dem Angriff fürchtete der Hauptmann um sein Leben und ergab sich.

    "Es war nachts gegen drei Uhr. Scheinbar hat sich jemand ins Hauptquartier eingeschlichen. Keine Ahnung wie sie das gemacht haben. Sie konnten bis zum Haus vom Stabschef, General Mugaragu, vordringen. Sie haben geschossen und die Hütte angezündet. Dann sind sie verschwunden, niemand hat sie gesehen. Alle im Hauptquartier sind nun verängstigt. Die Kampfmoral ist am Boden. Täglich desertieren mehr und mehr Kämpfer."

    Dennoch fürchten sich viele in der Bevölkerung nach wie vor die Truppen der FDLR. Aus Angst vor Racheaktionen sind in den vergangenen Wochen fast 100.000 Kongolesen in die Städte geflüchtet, die Blauhelm-Soldaten sichern. Sie alle hoffen, dass es gelingt, die FDLR zu zerschlagen. Doch auch die neue Strategie im Kampf gegen die Miliz birgt Gefahren: könnte es doch schwer werden, die jungen Männer der FDC wieder zu entwaf