Freitag, 19. April 2024

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Angst vor Terror
"Wir hätten uns nicht davor schützen können"

Nach den Anschlägen sei die Angst in der Bevölkerung groß, sagte Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen im DLF. Dennoch glaubt er, dass die Menschen nach einigen Wochen wieder zu ihrer alten Lebensqualität zurückkehren werden - wegen einer Art Gewöhnungseffekt.

Borwin Bandelow im Gespräch mit Irene Geuer | 22.12.2016
    Ein beschädigter LKW steht auf einem Platz. Links daneben ein Polizeiwagen. Davor stehen Polizisten in Uniform.
    Man habe geahnt, dass etwas passieren könnte, sagte Borwin Bandelow im DLF. Hundertprozentig schützen könne man sich aber nicht. (dpa/Rainer Jensen)
    Irene Geuer: Fangen wir mit dem Persönlichen an: Nach dem Anschlag in Berlin – hat sich in Ihnen, was den Angstfaktor angeht, etwas verändert?
    Borwin Bandelow: Es war ja so, dass wir eigentlich schon einen Anschlag in Deutschland erwartet haben - wir haben auch einen in Berlin erwartet, auch praktisch einen auf einem Weihnachtsmarkt. Und dann haben wir schon fast gedacht, dass wenn ein Anschlag passiert, der auf einem prominenten Weihnachtsmarkt passiert. Und es ist dann schrecklicherweise passiert. Das macht uns so hilflos.
    Wir hatten es quasi geahnt, und wir haben nichts dagegen tun können. Wenn die Terroristen jetzt nicht mit dem Lastwagen gekommen wären, hätten sie mit Kalaschnikows oder mit Bomben kommen können, und wir hätten uns nicht davor schützen können. Und das macht eben in der Bevölkerung große Angst.
    "Angst wird sich nach einigen Wochen wieder legen"
    Geuer: Wie wird sich diese Angst entwickeln?
    Bandelow: Die Gesellschaft ist zwar im Moment ängstlich, aber man muss damit rechnen, dass nach einigen Wochen diese Angst sich wieder legt – das hat man auch bei früheren Anschlägen schon gesehen. Die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlags zu werden, ist ja gering. Es hilft natürlich den Opfern oder Angehörigen der Opfer in Berlin jetzt im Moment überhaupt nicht. Aber wenn wir jetzt in der nächsten Zeit rausgehen wollen, dann müssen wir uns vielleicht damit beruhigen, dass es doch sehr unwahrscheinlich ist, dass jeder einzelne von uns Opfer eines Anschlags wird. Ich denke auch, dass die Menschen nach einer gewissen Gewöhnungszeit da doch wieder zu ihrer alten Lebensqualität zurückfinden.
    "Im Moment kann ein Politiker eigentlich gar nicht gut reagieren"
    Geuer: Sind Politiker gut beraten, wenn sie Angst zeigen?
    Bandelow: Man kann ja eigentlich im Moment gar nichts Richtiges sagen als Politiker. Wenn man versucht, die Leute zu beschwichtigen, dann wird einem vorgeworfen, dass man bagatellisiert. Und wenn man sagt, wir müssten Angst haben, dann wird man als Panikmacher beschimpft.
    Also, im Moment kann ein Politiker eigentlich gar nicht gut reagieren. Das liegt auch daran, dass die Politik kein wirklich probates Mittel gegen den Terrorismus hat. Es kommen dann häufig die Rufe nach mehr Polizei. Aber damit ist es einfach nicht getan. Es ist ein Problem, was auf uns zukommt. Und das Einzige, was uns vielleicht hilft, ist, dass wir lernen, damit zu leben mit dieser Angst, aber auch merken, dass es eben auch andere Gefahren gibt im Leben, an die wir uns gewöhnt haben, sodass wir einfach davon ausgehen können, dass wir auch diese Gefahr sozusagen mit in unser Gefahrenarsenal mitaufnehmen.
    "Die Gefahr kann nicht immer hunderprozentig gebannt sein"
    !Geuer:!! Aber lässt uns das nicht abstumpfen, wenn wir – wie Sie sagen – lernen, mit der Angst zu leben. Lässt das uns vielleicht auch politisch stumpfer werden, wenn wir so agieren?
    Bandelow: Das weiß ich nicht. Es gibt ja doch viele Leute, die jetzt fordern, dass die Politik etwas Grundlegendes ändert. Es gibt ja auch Dinge, die man sich wirklich überlegen muss, nachdem man jetzt gehört hat, wie die Abschiebung des Täters jetzt nicht gelaufen ist. Das lässt einen natürlich dann daran zweifeln, ob da vielleicht unsere Bürokratie im Wege gestanden ist. Das heißt: Es gibt schon Möglichkeiten für Politiker etwas zu ändern, aber insgesamt muss man davon ausgehen, dass natürlich die Terroristen sich für jeden Trick, den sich unsere Politik ausdenkt, zwei, drei neue Tricks ausdenkt, sodass diese Gefahr nicht immer hundertprozentig gebannt sein kann.
    Geuer: Ist denn eigentlich die Gesellschaft gut beraten, wenn sie zum Beispiel zulässt, dass ihre Angst instrumentalisiert wird, was ja manche in der Politik auch vorantreiben?
    Bandelow: Es ist schwierig, natürlich, jetzt denn mal zu denken, dass eben vielleicht Demagogen die Situation ausnutzen – was ja auch schon geschehen ist - und das eben mit dem Ziel, selbst gewählt zu werden bei der nächsten Wahl – auch während die Opfer noch reanimiert werden dann schon nach neuen Maßnahmen zu schreien. Das ist natürlich ein Punkt, der viele Menschen anspricht. Und man muss im Moment nicht Populist sein oder Nationalsozialist, um im Moment darüber nachzudenken, ob nicht irgendetwas passieren muss, dass wir nicht zu viele Terroristen hier in unserem Land herumlaufen haben. Und das betrifft im Moment eigentlich sehr viele Menschen – eben nicht nur solche, die man früher als rechtskonservativ bezeichnet hat -, sondern das erfasst im Moment fast die ganze Bevölkerung, was ich so aus Gesprächen mit Leuten höre, die früher auch sehr liberal waren.
    "Es wird eine Art Einigelmechanismus geben"
    Geuer: Das heißt, wohin könnte uns die Angst im kommenden Jahr treiben?
    Bandelow: Ja, es wird sicher schon so ein Einigelmechanismus stattfinden. Das heißt also: Wenn man sich das anschaut in Ländern wie Israel, da würden solche Diskussionen wie sie hier geführt werden gar nicht geführt werden, weil Israel eben früher und auch heute noch massiv bedroht war durch Angriffe von außen.
    Man muss auch immer damit rechnen, dass auch in unserem Lande eine Veränderung stattfindet, zum Beispiel Richtung Abschottung in irgendeiner Form, dass bestimmte liberale Dinge geändert werden. Damit muss man rechnen, weil einfach viele Angst haben. Und das wird sich in der Gesellschaft schon deutlich auswirken.
    "Es wird eine härtere Gangart geben"
    Geuer: Das heißt: Womit rechnen Sie?
    Bandelow: Ja, ich rechne schon damit, dass in der Politik in irgendeiner Form eine härtere Gangart angegangen wird, wobei ich ja kein Politiker bin und nicht sagen kann, was genau man machen kann, oder was die Polizei oder was die Regierung vorhat – das ist nicht mein Metier. Aber ich denke, dass wie es früher war, zu Zeiten der RAF in den 70er-, 80er-Jahren, so wird möglicherweise eben auch die Überwachung durch den Staat zunehmen, und es wird dagegen weniger Widerstand geben als früher.