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Angst vor Verhaftung
Türkische Journalisten berichten von Griechenland aus

Aus Angst vor Verhaftung in ihrer Heimat verlagern türkische Journalisten ihren Lebensmittelpunkt auch nach Griechenland. "153 gefangene Journalisten: Unser Beruf ist zum russischen Roulettespiel geworden", sagt eine regierungskritische Journalistin. Viele hoffen auf eine baldige Rückkehr - doch die ist noch nicht abzusehen.

Von Michael Lehmann | 01.12.2017
    Es sind viele junge Journalisten aus der Türkei gekommen, auch einige ältere mit langer Berufserfahrung. Sie treffen sich an diesem Tag in einem Hotel irgendwo in Griechenland. Griechenland ist ihre neue Heimat auf Zeit. Zuhause in Istanbul, Ankara oder einer anderen türkischen Stadt sei ihr Beruf extrem gefährlich geworden, sagt die junge Online-Journalistin, deren Namen nicht veröffentlicht werden soll:
    "Wenn Du am falschen Platz zur falschen Zeit bist und nichts Verbotenes machts, kannst Du trotzdem unter das Radar kommen. Gerade Fotografen in der Türkei ist das oft passiert in letzter Zeit. Kollegen von uns. Sie haben Bilder von einer Demonstration gemacht und wurden dann festgenommen. Und nur wenige sind wieder freigekommen. 153 Journalisten hocken im Knast – und jeder hat seine eigene Geschichte."
    Die junge türkische Journalistin im griechischen Exil erfährt auf dem Treffen mit anderen Kollegen, wie eine Whatsapp-Gruppe in Istanbul in den Verdacht geriet, Unterstützer für die in der Türkei unter Terrorverdacht stehende Gülen-Bewegung zu sein.
    "The name of the Whatsapp-Group was: We are going to be free."
    Eine Plattform zum Meinungsaustausch von unabhängigen Journalisten, von der türkische Sonderermittler plötzlich dachten, sie betreibe Terror gegen den Staat.
    "Journalisten, die als besonders links gelten, sind ins Visier geraten"
    Mutig und mit sehr wachem Gesicht erzählt die junge Türkin von ihrer eigenen Geschichte, als sie plötzlich gespürt hat, dass ihre unabhängigen Berichte, ihre regierungskritische Sicht für sie gefährlich werden könnten:
    "Nach dem Putschversuch letztes Jahr haben wir erst gedacht, die Säuberungswelle trifft uns nicht. Aber dann kam es anders. Grade Journalisten, die auch über kurdische Themen berichten oder die als besonders links gelten, sind ins Visier geraten. 153 gefangene Journalisten – unser Beruf ist zum russischen Roulettespiel in der Türkei geworden".
    Sie selbst hofft, mit ihrem Kind nur vorübergehend in Griechenland leben zu müssen. Und sie schaut ernst, als sie sich selbst vorrechnet, dass der Aufstieg des scheinbar allmächtigen türkischen Präsidenten nun schon viele lange Monate immer steiler verlaufen ist. Werden die Zeiten also noch lange dramatisch schlecht bleiben in der Türkei für unabhängigen, kritischen Journalismus? Kann sein, sagt die junge Türkin. Sie habe schon gute Freundschaften in Griechenland geschlossen – und das, was ihr am wichtigsten sei, könne sie momentan eben nur außerhalb ihrer Heimat tun:
    "Ich will einfach objektiv berichten. Kritisch zu sein, ist für uns kein Selbstzweck – aber wenn Du schon als unerlaubt kritisch giltst, nur weil Du über die Tatsachen berichtest, die bei Dir vor Ort passieren, dann macht das keinen Sinn."
    Sehnsucht von der Rückkehr
    Ein älterer Kollege der jungen Frau, auch er ein aus der Türkei geflohener, bekannter Journalist, hatte ein paar Minuten zuvor über Präsident Erdogan gesprochen. Es fielen Stichworte wie: Er wird nie zulassen, dass er nicht mehr gewählt wird. Und: Erdogan habe inzwischen echte "Führer-Qualitäten". Extrem harte Worte eine extrem enttäuschten türkischen Journalisten.
    Die junge Online-Journalistin sagt uns zum Ende des Gesprächs, dass sie manches anders und auch optimistischer sieht. Dinge, auch wenn sie noch so schwierig sind, könnten sich ändern. Und ja, irgendwann werde sie mit ihrem Kind wieder in die Türkei zurückkehren. Das liege an ihren Wurzeln, an ihrer Familie. Zurückkehren muss sein - irgendwann.