Freitag, 29. März 2024

Archiv

Anhörung der designierten EU-Kommissare
"Da werden sehr klare Warnschüsse gegeben"

Die Kandidatin für das Amt der EU-Binnenmarktkommissarin Sylvie Goulard musste in Frankreich als Ministerin wegen einer Affäre um Scheinbeschäftigung zurücktreten. Katharina Barley (SPD) äußerte im Dlf Unverständnis darüber, dass zahlreiche Kandidaten für EU-Posten "mit solchen Unregelmäßigkeiten" zu kämpfen hätten.

Katarina Barley im Gespräch mit Silvia Engels | 04.10.2019
Katarina Barley bei einer Veranstaltung der SPD zur Europawahl am 26. Mai in der Nordkurve Hannover
Katarina Barley (SPD) sieht die Auswahl der designierten EU-Kommissare kritisch (imago/C. Niehaus/Future Imag)
Silvia Engels: Boris Johnson, britischer Premierminister, will nach einem Brexit die inneririschen Grenzkontrollen anders regeln als über einen Backstop, wie die EU ihn vorsieht. Wie Brüssel reagiert, besprechen wir gleich mit unserem Korrespondenten. Und wir fragen dazu auch Katarina Barley, SPD. Sie ist Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments.
Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz nach ihrer Wahl zur Präsidentin der EU-Kommission
Die nächste EU-Kommission - Umstrittene Kandidaten auf von der Leyens Vorschlagsliste
Auf der Vorschlagsliste von Ursula von der Leyen für die kommende EU-Kommission sind viele in Brüssel schon bekannte Gesichter. Dass das Europaparlament alle Bewerber einfach so absegnet, ist unwahrscheinlich.
Mitgehört hat Katarina Barley. Sie war Bundesjustizministerin und die deutsche SPD-Spitzenkandidatin bei der Europawahl. Nun ist sie EU-Parlamentarierin und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Guten Morgen, Frau Barley!
Katarina Barley: Schönen guten Morgen!
Engels: Sie haben ja einen deutschen und einen britischen Pass, haben Sie schon so recht verstanden, was Boris Johnson mit diesen Grenzregelungen will? Die betreffen natürlich die Waren, aber die irische Grenze scheint ja weiter das Hauptthema zu sein.
Barley: Ja, was er will, es bewahrheitet sich, was man befürchten musste, dass es im Wesentlichen darum geht, den Schwarzen Peter zur EU zu schieben, denn er muss wissen, dass diese Vorschläge völlig inakzeptabel sind. Sie sind ja in weiten Teilen auch nichts Neues. Dieser schwammige Vorschlag, technische Vorrichtungen zu schaffen an der Grenze, das ist ja nicht neu, das hatten wir alles schon mal. Er weiß, glaube ich, schon, dass das nicht annehmbar ist, und wenn Sie die ganze Rhetorik von ihm betrachten, dann geht es nur darum, zu sagen, wir haben geliefert, die EU ist nicht guten Willens. Es geht leider, wie die ganze Zeit schon beim Brexit, vor allen Dingen um die innenpolitische Position der jeweils Handelnden.
"Keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland"
Engels: Die innenpolitische Position, sagen Sie. Wie erklären Sie sich denn dann, dass die EU-Kommission trotzdem die Vorschläge nicht in Bausch und Bogen zurückweist?
Barley: Na ja, natürlich werden alle Vorschläge geprüft, und es gibt ja auch durchaus Menschen auf der Insel, auch in der Regierung, die guten Willens sind. Ich war selbst Anfang der Woche in London und hab dort auch Gespräche führen können, und da sind durchaus Menschen dabei, denen man das abnimmt. Nur wenn man dann konkret sieht, was auf dem Tisch liegt – es ist ja in großen Teilen auch irrational.
Dieser Backstop, diese Versicherung ist ja auf Zeit angelegt, und den Britinnen und Briten wird immer suggeriert, die EU will euch festhalten, sie will euch ketten, sie will euch nicht rauslassen aus der EU, und da geht das jetzt auch wieder in diese Richtung. Es muss doch ein definitives Ende geben. Genau das ist in dem Beitrag ja vorhin sehr klug dargelegt, genau das ist ja das, wo die EU nicht nachgeben kann.
Wir brauchen im Interesse Irlands definitiv die Absicherung, dass es keine harte Grenze geben wird zwischen Irland und Nordirland, weil wir schon gesehen haben, dass dort sonst wieder sogar kriegsähnliche Zustände entstehen können.
"Bei Sylvie Goulard geht es nicht um die fachliche Kompetenz"
Engels: Frau Barley, dann schauen wir noch auf ein anderes Thema, wir blicken auf den Stand der Anhörungen der signierten EU-Kommissare. Zwei Anwärter aus Ungarn und Rumänien waren vom Rechtsausschuss des Parlaments bereits abgelehnt worden, nun laufen die Anhörungen weiter, und es gibt einige Kandidaten, wo die Abgeordneten verlangen, dass sie noch einmal schriftlich Fragen beantworten – hier könnte am Ende auch die Ablehnung drohen. Eine ist Sylvie Goulard, die Kandidatin des französischen Präsidenten, sie soll zuständig werden für Binnenmarkt und Industriepolitik. Wie sehen Sie ihre Chancen?

Sylvie Goulard ist eine französische Politologin, für die Partei Mouvement démocrate im Europaparlament. 
Sylvie Goulard soll die neue EU-Binnenmarkt-Kommissarin werden. Noch ist das Parlament skeptisch. (picture alliance / dpa / Mathieu Cugnot)
Barley: Nun, bei Sylvie Goulard geht es nicht um die fachliche Kompetenz, die bestreitet niemand, sondern es geht um finanzielle Fragen. Da muss man jetzt sagen, der Rechtsausschuss, der die erste Prüfung vornimmt, hat sie nicht sofort ausgeschlossen, wie bei den zwei anderen Kandidaten aus Ungarn und Rumänien, und es liegt jetzt eben in den Händen des Parlaments selbst, zu entscheiden, ob diese – ja, wie soll man sie nennen – Verfehlungen, die ja dazu geführt haben, dass sie beispielsweise als französische Ministerin zurückgetreten ist, ob sie die daran hindern, Kommissarin werden zu können. Das ist die entscheidende Frage, und da gibt es bis jetzt noch keine abschließende Entscheidung zu.
Es ist natürlich immer eine unangenehme Situation, und mir fehlt auch ein bisschen das Verständnis dafür, warum so viele Kandidaten für die Kommissionsposten mit solchen Unregelmäßigkeiten zu kämpfen haben. Wir haben so viele qualifizierte Menschen in der Europäischen Union, es sollte eigentlich möglich sein, dass sie in solche Situationen nicht kommen.
"Es wird erstmal geschaut, wie das Parlament reagiert"
Engels: Welche Rolle spielt denn dabei, dass Goulard die Kandidatin des französischen Präsidenten Macron ist? Der ist ja bei vielen im EU-Parlament unbeliebt, seitdem er das Spitzenkandidatenmodell für den Kommissionsvorsitz ausgehebelt hat. Geht es hier auch um Retourkutschen?
Barley: Ich glaube, das hängt nicht mit Macron persönlich zusammen, sondern ich glaube, das hängt ein bisschen mit der Gewichtung innerhalb des Parlaments zusammen. Mit dem Ungarn ist ein Konservativer, ein Fidesz-Mann, obwohl er nicht Mitglied von Fidesz ist, rausgeflogen, bei der Rumänin handelt es sich um eine Sozialistin, und jetzt ist mit Goulard eben eine von Renew, also die liberale Gruppe, im Visier. Aber mein Eindruck von den Anhörungen ist, dass am Ende die Kolleginnen und Kollegen sehr kluge Entscheidungen treffen. Es sind ja jetzt erst mal die Ausschüsse, die darüber entscheiden.
Mein Eindruck ist, dass da schon auch sehr klare Warnschüsse gegeben werden, aber dass am Ende die Entscheidung eine kluge und abwägende ist. Ich will als Beispiel vielleicht noch nennen das griechische Dossier, das hat ja diesen sehr seltsamen Titel "Schutz der europäischen Lebensweisen", da war sehr viel Kritik zu hören. Aber da ist zum Beispiel die Entscheidung gefallen, dass die Kandidatur unterstützt wird, dass man aber von der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verlangt, diesen Titel zu ändern, der so viel Anlass zu Missverständnissen geben kann.
Engels: Erwarten Sie denn, dass Ursula von der Leyen, die designierte Kommissionspräsidentin, noch Kandidaten auswechseln wird?
Barley: Das ist sehr schwer zu sagen, ich will und kann da ja auch nicht für sie sprechen, aber meine Wahrnehmung ist, dass erst mal geschaut wird, wie das Parlament reagiert. Wie gesagt, das ist hier keine Veranstaltung mit Schaum vor dem Mund. Das sind sehr zielgerichtet und konstruktiv denkende und agierende Menschen hier.
Es ist ja sowieso etwas sehr, sehr Demokratisches, dieser ganze Vorgang, das würde man sicher in den nationalen Parlamenten und Regierungen auch wünschen, dass die Kandidatinnen und Kandidaten so auf Herz und Nieren geprüft werden. Das läuft hier sehr vernünftig ab, und meine Vermutung ist, dass Ursula von der Leyen diese Bewertungen erst mal abwartet, bevor sie agiert. Aber das ist eine reine Vermutung.
"Die Mehrheit für Ursula von der Leyen war sehr knapp war"
Engels: Die EU-Parlamentarier müssen ja die Kommissare als Paket durchlassen oder sie pauschal ablehnen. Wird das am Ende zur Machtprobe zwischen Parlament und Kommissionspräsidentin?
Barley: Es ist dieses Mal schon besonders, weil die Mehrheit für Ursula von der Leyen selbst sehr, sehr knapp war. Und man merkt das auch in den Hearings, dass die Kommissionsanwärter sehr vorsichtig sind. Sie bemühen sich durch die Bank, nicht zu klar sich zu positionieren. Das liegt immer ein bisschen in der Natur der Sache, aber man merkt, dass sie versuchen müssen, sich in allen Teilen des Parlamentes Stimmen zu sichern, damit am Ende das ganze Parlament durchkommt. Das ist schade natürlich, weil man so nicht bei allen genau festlegen kann, wofür stehen die eigentlich, es ist aber auf der anderen Seite auch verständlich. Eine Machtprobe, nein, es geht hier nicht um so Kinderkram. Es sind sich alle der Verantwortung bewusst, die wir haben, und wir haben alle gemeinsam ein Interesse an einem funktionsfähigen Europa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.