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Anklage gegen Führungsspitze
"Der VW-Aufsichtsratsvorsitzende ist das Problem"

Wenn es zu einem Strafverfahren gegen Volkswagen-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wegen Marktmanipulation komme, sollte er sein Amt ruhen lassen, sagte Jörg Bode (FDP), ehemaliger Wirtschaftsminister von Niedersachsen im Dlf. Im Fall von Konzernchef Herbert Diess müsse man das allerdings anders bewerten.

Jörg Bode im Gespräch mit Silvia Engels | 25.09.2019
Das VW-Hochhaus in Wolfsburg
Das VW-Hochhaus in Wolfsburg (imago stock&people / Michael Gottschalke)
Silvia Engels: Schon länger sieht sich der ehemalige VW-Chef Winterkorn einer Anklage im Zusammenhang mit dem Dieselskandal gegenüber. Nun kommt eine neue Anklage hinzu. Es geht darum, wann er Informationen über Abgasmanipulationen hatte und wann er sie wem weitergab. Gestern hat in diesem Zusammenhang die Staatsanwaltschaft Braunschweig aber nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen die aktuelle Führungsspitze von VW Anklage erhoben: Konzernchef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch.
Es klang schon an: Geschehnisse um VW berühren auch das Land Niedersachsen immer ganz unmittelbar, denn das Land hält 20 Prozent der Anteile von VW. Ministerpräsident und Wirtschaftsminister sitzen im Aufsichtsrat. – Am Telefon ist Jörg Bode (FDP). Er ist stellvertretender Fraktionschef im niedersächsischen Landtag und er war von 2009 bis 2013 Wirtschaftsminister seines Landes. Guten Morgen, Herr Bode!
Jörg Bode: Einen schönen guten Morgen!
Engels: Wir wissen nicht, ob die Klage zugelassen wird. Wir wissen auch nicht, wie es vor Gericht ausgehen könnte. Aber wie sehr schädigt es VW alleine schon, dass Vorstandschef und Aufsichtsratschef künftig wahrscheinlich viel Zeit in eine Verteidigung stecken müssen und nicht in die Leitung eines Konzerns?
Herbert Diess (r), Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, und Hans Dieter Pötsch, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Volkswagen AG
Herbert Diess (r), Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, und Hans Dieter Pötsch, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Volkswagen AG auf einer Pressekonferenz im April 2018 (picture alliance/Swen Pförtner/dpa)
Bode: Natürlich gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung bis zum Abschluss des Verfahrens. Das ist ganz klar. Es ist allerdings ein großes Problem gerade in der jetzigen Umbruchsphase der Automobilindustrie, wenn sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat durch zeitliche Anwesenheit alleine in Gerichtsverfahren so massiv gebunden werden. Das schadet den Unternehmen.
Engels: Wie sollte VW reagieren?
Bode: Man sollte hier, glaube ich, schon unterschiedlich die Sachen bewerten. Wir haben noch eine größere, sage ich mal, auch Verzwickung der Funktionen beim Aufsichtsrat, der ja das Kontrollgremium tatsächlich ist. Wenn gegen den Vorsitzenden des Kontrollgremiums nicht nur ermittelt wird, sondern jetzt auch Anklage erhoben worden ist und ein Verfahren droht, dann muss man sich schon überlegen, wie man mit dieser Interessenskollision tatsächlich umgehen will. Ich halte, wenn ein Gerichtsverfahren tatsächlich kommt, dies eigentlich nicht für auflösbar.
"Diess war erst zwei Monate im Unternehmen"
Engels: Auflösbar sei es nicht, sagen Sie. Das heißt: Im Falle, dass wirklich Anklage erhoben wird, verlangen Sie die Freistellung dieser beiden Führungskräfte? Muss dann ein personeller Wechsel her?
Bode: Ich glaube, der Aufsichtsratsvorsitzende ist das Problem, weil eine Aufsichtsfunktion ist ja dazu da, gerade aufzuklären, auch diesen Sachverhalt von Dieselgate zum Schluss aufzuklären und in eine, sage ich mal, andere Zukunft zu führen. Dafür ist ja auch der Monitor der amerikanischen Behörden ebenfalls in Wolfsburg installiert worden. Wenn hier jetzt ein Strafverfahren in Deutschland gegen diese Person läuft, die in solch einer Position ist, dann ist das ein nicht auflösbarer Konflikt.
Etwas anders muss man es bei dem Vorstandsvorsitzenden Diess sehen. Man muss ja auch mal sehen: Der war erst zwei Monate rund im Unternehmen zu dem Zeitpunkt, wo die Vorwürfe erhoben worden sind. Ich glaube, da muss man die Rolle etwas anders bewerten. Allerdings muss Herr Diess tatsächlich Vorkehrungen treffen, dass er die Arbeitsbelastung eines Vorstandsvorsitzenden und eines, sage ich mal, anwesenden Beschuldigten in einem Verfahren wirklich meistern kann. Das wird sicherlich auch nicht einfach sein.
Engels: Sie würden, wenn Sie noch Verantwortung hätten – damals waren Sie ja auch einmal im Aufsichtsrat von VW -, darauf drängen, dass Herr Pötsch seine Aufgaben ruhen lässt?
Bode: Ja, das wäre wahrscheinlich die einzig denkbare Konsequenz, wenn ein Verfahren tatsächlich angenommen wird. Ganz so weit sind wir ja noch nicht, aber die Wahrscheinlichkeit ist ja sehr hoch. Auch die Landesregierung muss in so einer Situation ebenfalls überlegen, wie sie damit umgeht, denn auch die Landesregierungsvertreter haben im Aufsichtsrat jetzt eine Rolle, die auch mehr als fragwürdig ist, wenn einerseits eine Behörde, der sie oder der Ministerpräsident tatsächlich ja vorstehen, nämlich die Staatsanwaltschaft, eine Anklage gegen jemanden erhebt, der in einer Landesgesellschaft zumindest mit 20 Prozent Beteiligung den Aufsichtsratsvorsitz hat, mit dem sie dann quasi abends gemütlich zusammensitzen, strategische Fragen des Unternehmens besprechen und Rotwein trinken, aber einerseits ermitteln sie gegen ihn beziehungsweise klagen ihn an. Das ist eine Zwitterfunktion, die aus meiner Sicht auch nicht geht. Hier stellt sich die Frage, ob in so einer Situation tatsächlich solche Funktionen dann von der Regierung wahrgenommen werden können.
"Echte Kontrollfunktion wurde faktisch unmöglich gemacht"
Engels: Die Forderung ist ja schon alt. Ihre Partei hat beispielsweise in Form von Michael Theurer, FDP-Bundestagsfraktionsvize, schon vor Monaten gefordert, dass Fachleute statt Politiker in den VW-Aufsichtsrat sollen. Das heißt, ein Ende dieser Koppelung auf diesem Weg?
Bode: Ja, es hat sich auch herausgestellt, dass eine parlamentarische Kontrolle in den letzten Jahren nahezu unmöglich war, weil beide Vertreter des Landes immer mit Verschwiegenheitspflichten argumentiert haben und das Parlament oder auch Vertreter des Parlaments entsprechend nicht wirklich in die Tiefe haben einblicken können, wodurch eine echte Kontrollfunktion der beiden Aufsichtsratssitze, die wahrgenommen werden, faktisch unmöglich gemacht worden ist. Wenn man nur noch in vertraulichen Sitzungen Zeitungsberichte vorgelesen bekommt, aber keine echten Informationen, dann hat das nichts mehr mit Kontrollmöglichkeiten zu tun. Es hat auch mal eine andere Konstruktion. Es muss jemand im Aufsichtsrat sein, der dann auch Vertretern des Parlaments Rechenschaft ablegt. Diese Konstruktion haben wir vorgeschlagen, aber sie ist bisher von der Großen Koalition abgelehnt worden.
Engels: Kontrollfunktion ist ein gutes Stichwort. Sie selbst waren ja von 2009 bis 2013 Wirtschaftsminister und deshalb auch Mitglied des VW-Aufsichtsrats. Das war die Zeit, in der sich bei VW möglicherweise schon Strukturen um manipulierte Abgas-Software langsam etabliert haben. Hatten Sie als Aufsichtsrat die Chance, irgendetwas davon mitzubekommen?
Bode: Nein. Es ist so, dass der Aufsichtsrat ja auch nicht der Wirtschaftsprüfer ist, der wirklich Unterlagen einsieht, auch wirklich mit allen Ebenen Prüfungen durchführt, sondern er ist auf die Wirtschaftsprüfungsunterlagen der Wirtschaftsprüfer angewiesen, auch auf andere Berichte, und dass eventuell Sachverhalte auch öffentlich bekannt werden, denen man dann nachgehen kann. Der erste bekannt gewordene Sachverhalt war ja der Rückruf der Fahrzeuge in den USA, der durchgeführt worden ist, der dann mit einer, sage ich mal, anderen Begründung abgetan worden ist. Das war erst deutlich nach meiner Zeit, so dass wir leider auch von externen Einflüssen oder externen Berichten nie die Möglichkeit hatten, irgendwie argwöhnisch zu werden, dass die Unterlagen, die man uns vorlegt, falsch waren.
"Es gibt auch gut gemachtes Verbrechen"
Engels: Das heißt, ein Aufsichtsrat hat letztendlich nie eine echte Kontrollchance bei so etwas?
Bode: Er hat als Hilfsmittel ja die Wirtschaftsprüfer, die mit sehr viel Personal in den Unternehmen drin sind und Prüfaufträge bekommen und dann diese Prüfergebnisse und Berichte im Aufsichtsrat vorlegen. Wenn auch die es nicht finden, dann ist es so "perfekt" gemacht, dass man in solchen Kontrollfunktionen tatsächlich keine Chance hat, das zu merken. Es gibt auch gut gemachtes Verbrechen.
Engels: Herr Bode, wir müssen kurz noch auf ein anderes Thema zu sprechen kommen. Die Bundesregierung ist bereit, dem Ferienflieger Condor einen Überbrückungskredit zu gewähren. Der Konzern hat ja Liquiditätsprobleme, seitdem Thomas Cook Insolvenz angemeldet hat. Wie sehen Sie dieses Vorgehen?
Bode: Bei Condor muss man zwei Sachen berücksichtigen. Einmal, wenn Condor nicht mehr weiter fliegen würde, wäre die Bundesrepublik Deutschland ja verpflichtet, alle Urlauber aus dem Ausland wieder zurückzuholen. Das ist ja eine staatliche Aufgabe, die eigene Bevölkerung dann zu unterstützen. Von daher wäre das ein riesen Problem, auch mit hohem finanziellen Aufwand. Der Betrag ist sehr, sehr hoch. Das überrascht schon. Allerdings schreibt Condor ja schwarze Zahlen. Insofern muss man es anders sehen als beispielsweise die finanzielle Unterstützung von Air Berlin. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung hier nicht nach Gutsherrenart entscheidet, sondern tatsächlich das Parlament einbindet und auch die entscheidungsrelevanten Fakten dort offenlegt, damit man eine richtige Entscheidung treffen kann. Allerdings scheinen die positiven Folgen einer solchen Kreditgewährung deutlich zu überwiegen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.