Donnerstag, 25. April 2024

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Anklageschrift und Gegengutachten

Lange galt der Mord an Generalbundesanwalt Michael Buback als aufgeklärt: die drei RAF-Täter waren demnach Christian Klar, Knut Folkerts und Günter Sonnenberg. Inzwischen aber zweifelt Michael Buback, Sohn des Ermordeten, an den Ergebnissen. Nach zwei Jahren Recherche ist Michael Buback auf Widersprüche gestoßen. "Der zweite Tod meines Vaters" hat er sein Buch darüber genannt. Thomas Moser stellt es vor.

24.11.2008
    April 1977, eine Woche nach dem Anschlag: Staatsakt für den ermordeten Generalbundesanwalt Siegfried Buback in der Karlsruher Stadtkirche. Die Regie sah vor, dass der Bundespräsident Bubacks Witwe in die Kirche und an ihren Platz führt. Da Frau Buback aber schon saß, wurde sie gebeten, noch einmal hinauszugehen, damit Walter Scheel sie vor aller Augen an ihren Platz bringen konnte. Die Episode erzählt Michael Buback in seinem Buch. Nun gehören staatliche Inszenierungen zum Tagesgeschäft. Doch dass hier eine offengelegt wird, ist die eigentliche Nachricht. Der Autor bricht mit Konventionen. Und das hat mit dem Tod seines Vaters zu tun - genauer: der Nicht-Aufklärung dieses Mordes.

    30 Jahre lang galt das Attentat auf den Generalbundesanwalt und seine beiden Begleiter vom Gründonnerstag 1977 als aufgeklärt: die drei RAF-Täter waren demnach Christian Klar, Knut Folkerts und Günter Sonnenberg. Unklar geblieben war lediglich, wer von ihnen der Todesschütze gewesen war. Seit Michael Buback im Jubiläumsjahr 2007 die Frage erneut öffentlich stellte, wuchsen die Zweifel an den damaligen Ermittlungen, bis schließlich, so Buback, "alles ins Wanken geriet, was wir über die Ermordung meines Vaters wussten". Sein beunruhigendes Fazit nach zwei Jahren Recherche: "Es gab einen Schutz für RAF-Täter" - und zwar: "durch die Bundesanwaltschaft im Zusammenwirken mit Geheimdiensten."

    Die Hinweise, dass der wahre Täter nicht unter denen war, die dafür gehalten werden, machen sich vor allem an einer Frau fest. Tatzeugen wollten auf dem Beifahrersitz des Motorrades, von dem aus die tödlichen Schüsse abgefeuert wurden, eine Frau gesehen haben.

    O-Ton Tagesschau v. 7.4.1977
    "Dieser unmittelbare Zeuge des Überfalls auf Buback, ein Jugoslawe, berichtete, dass der Beifahrer auf dem Motorrad möglicherweise eine Frau gewesen sei. Beide Motorradfahrer seien jedoch sehr vermummt gewesen ..."

    ... hieß es in der Tagesschau vom Tattag. Und auch der Landespolizeipräsident von Baden-Württemberg sagte damals:

    O-Ton Stümper
    "Der Schütze wurde von einigen Zeugen als Frau bezeichnet."

    Diese Frau könnte das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker gewesen sein. Bei ihrer Festnahme vier Wochen nach dem Anschlag wurde die Tatwaffe und ein Schraubenzieher aus dem Bordwerkzeug des Tat-Motorrades gefunden. Außerdem wurde ihr ein Haar aus einem der Motorradhelme zugeordnet. Dennoch verschwanden in den Unterlagen im Laufe der Zeit alle Hinweise auf eine Frau. Die Zeugen wurden vor Gericht nicht mehr angehört. Sie haben sich bei Michael Buback gemeldet. Einer sagte ihm gegenüber über seine Beobachtungen zum Beispiel etwas vollkommen anderes aus, als in den Unterlagen der Bundesanwaltschaft steht. Buback ist allen möglichen Hinweisen nachgegangen, sah Akten durch, studierte Ermittlungsgutachten - und stieß auf zahllose Ungereimtheiten und Widersprüche.

    "Es fällt zum Beispiel auf, dass innerhalb der Behörde BKA ein leitender Mitarbeiter am Tag nach der Tat die drei männlichen Täter, oder Tatbeteiligten - Klar, Sonnenberg und Folkerts - nennt, während der Einsatzleiter, der auch vom BKA stammt und in Karlsruhe den Einsatz, die Ermittlungen vor Ort geleitet hat, dass der eben praktisch gleichzeitig sagt: Für das BKA standen im Fokus der Ermittlungen: Sonnenberg, Klar und Becker. Das ist mir rätselhaft, wie innerhalb einer Behörde zwei so unterschiedliche Aussagen in so gravierendem Zusammenhang getroffen werden können."

    Die Bemühungen, Verena Becker aus dem Kreis der Täter herauszuhalten, finden bis heute ihre Fortsetzung. So äußerte Chefermittler Bundesanwalt Rainer Griesbaum im Zusammenhang mit DNA-Untersuchungen zu den Tätern den seltsamen Satz:

    "Das wäre das Optimum: ausschließen zu können, ob Verena Becker an dieser Mischspur beteiligt ist."

    Was macht das ehemalige RAF-Mitglied Verena Becker so schützenswert? Anzunehmen: Ihr Kontakt zum Bundesamt für Verfassungsschutz, bei dem sie 1981 ausführlich aussagte. Wenn sie am Attentat auf Buback beteiligt war, ergibt sich eine Vielzahl dramatischer Fragen, die dessen Sohn auch formuliert:

    "Ob diese Zusammenarbeit bestand bereits im Jahr 1977, das ist ja entscheidend, oder ob sie erst 1981/82 aufgekommen ist. Das müsste doch in jedem Fall in diesen Akten stehen."

    Wusste der Verfassungsschutz vom Anschlagsplan? Warum wurde der Schutz von RAF-Tätern höher eingestuft als die Verfolgung der Täter? Was war die Gegenleistung Beckers? Warum wurden die Folgeattentate auf Jürgen Ponto und Hanns Martin Schleyer nicht verhindert? "Wir lernten, Undenkbares doch zu denken", schreibt Michael Buback nun. Nur vor einem Gedanken schreckt der Aufklärer zurück: War der Verfassungsschutz an der Ermordung des Generalbundesanwaltes gar beteiligt? Gibt es einen Zusammenhang mit dem DDR-Spionagefall Guillaume?, wie verschiedene Zeithistoriker mutmaßen. Hatte der Oberste Staatsanwalt Erkenntnisse, dass die Geheimdienste schon lange vom Kanzleramtsspion wussten und nichts unternahmen, um Bundeskanzler Willy Brandt irgendwann opfern zu können? Doch diesen Gedanken verbietet sich der Sohn: "Es darf diese Verbindung nicht geben", erklärt er fast flehentlich.

    Die Verfassungsschutzakte mit den Aussagen Verena Beckers von 1981 ist in der Bundesanwaltschaft verschwunden. Im Januar 2008 wurde die Akte nun von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble mit einem Sperrvermerk versehen. Alles in allem für Michael Buback wie ein zweiter Tod seines Vaters:

    "Dass plötzlich Geheimdienstbeiträge sich andeuteten, dass es schwere Fehler und Nachlässigkeiten gegeben hat, oder gezielte Schutz- und Deckungsmaßnahmen - und das ist für uns wirklich grausam und unfassbar. Das ist für uns fast wie Verrat. Wir hatten den Eindruck, mein Vater ist ein zweites Mal gestorben."

    Bubacks Buch ist ein eigener kriminalistischer Untersuchungsbericht, eine Art Gegen-Gutachten und eine Anklageschrift gegen die amtlichen Ermittler. Der Verfasser ist kein Outlaw, der mutwillig Mordszenarien konstruiert. Er ist im Hauptberuf Professor für Chemie an der Universität Göttingen, war einmal als Wissenschaftsminister von Niedersachsen vorgesehen. Doch mit seinen Ermittlungen hat er die "wohlgeordnete Welt der Zuständigkeiten gestört". Das hat ihn zum Aussätzigen gemacht.

    "Ich hatte manchmal den Eindruck, dass man es viel lieber sehen würde, dass ich aufhören würde und keine weiteren Nachforschungen anstellte. Und das ist mir unbegreiflich."

    Die Generalbundesanwältin schneidet ihn; die Bundesjustizministerin beantwortet Briefe nicht; ein Verfassungsschutzpräsident, der den Saal verlässt, als Buback redet - ein politisches Sittenbild, das das Buch ganz nebenbei auch entwirft.


    Der zweite Tod meines Vaters - wer erschoss Siegfried Buback? So hat Michael Buback das Buch über den Mord an seinem Vater genannt. Es ist im Droemer Verlag erschienen, 362 Seiten, Euro 19,95. Unser Kritiker war Thomas Moser.