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Anmutung eines intriganten Shakespeare-Verwechslungsmärchens

In "Das Leben ein Traum" geht es um den Kampf zweier Weltanschauungen. Zu der eindrücklichsten Szenen von Bieitos Inszenierung am Nationaltheater Mannheim sei der Liebesverzicht Prinz Sigismunds zu Rosaura, meint Christian Gampert.

Von Christian Gampert | 22.09.2012
    Träum ich noch, oder leb ich schon? Für die zarten Übergänge zwischen Tagtraum und böser Realität war der Regisseur Calixto Bieito noch nie zuständig. Sein Revier ist eher das derbe Ausagieren sexueller Fantasien und kruder Metaphern, die er vorzugsweise in Opernlibretti entdeckt. Im Sprechtheater hat er weitaus mehr Probleme, weil er mit Sprache und Psychologie einfach nichts anfängt. Die Mannheimer Aufführung ist ein weiterer Beleg für diese These, weil Bieito Calderóns "Das Leben ein Traum" über weite Strecken wie ein intrigantes Shakespeare-Verwechslungsmärchen aufsagen lässt - Schauspieler mit 50er-Jahre-Gestus geben langatmige Deklarationen an der Rampe, dazwischen wird gebrüllt und gewütet und die Hose ausgezogen, und das ganze traurige Ereignis zeigt uns mit erschreckender Klarheit, was für ein hilfloser, spießiger kleiner Stadttheaterregisseur der angeblich so verflixte Bieito sein kann. Hat er letzthin zu viel gleichzeitig inszeniert? Ist er über die Stellproben nicht hinausgekommen?

    Aber ach, lassen wir das. Es spricht nämlich in der Tat einiges dafür, das textüberladene Calderón-Stück nicht als Traumspiel aufzuführen, sondern den barocken Kosmos aus Prädestination und königlicher Willkürherrschaft politisch zu lesen. Das Stück spielt in Polen, aber gemeint ist natürlich Spanien. Und der Traum ist in Wahrheit ein fieses Menschenexperiment: Ein König sperrt seinen Sohn aufgrund schlechter Sternzeichen lebenslang in einen Turm und macht ihn dann probeweise zum König. Am Hof erfüllt der Geknechtete, unter Drogen, natürlich alle schlechten Erwartungen, er vergewaltigt, beleidigt und mordet - unter dem schönen Motto "er ging mir auf die Nerven ich musste vom Balkon ihn werfen." Zurück im Knast, kommt ihm das alles leicht wahnhaft vor - und neben dem Vater-Sohn-Konflikt geht es hier, ins 20.Jahrhundert übersetzt, um das faschistische Spanien unter Franco und den republikanischen, vor allem anarchosyndikalistischen Aufstand dagegen. Vielleicht geht es auch um Madrid und Katalonien, auf alle Fälle aber um den Kampf zweier Weltanschauungen.

    Bieito kann so etwas sehen, aber er kann es, trotz spanischer Klagegesänge, nicht inszenieren. Der eingesperrte Sigismund ist bei ihm von Anfang an ein wildes Tier, das pathetisch-signalhaft seine Ketten zeigt und dann zwei Theaterstunden an ihnen rüttelt. Das aber ist ein Missverständnis: der Weggesperrte ist mitnichten ein räudiger Kaspar Hauser, denn sprechen kann der schon: ach, ich armer Unglückswurm! Ach, ihr Himmel, sagt mir doch, warum ihr mich so behandelt, nur weil ich geboren bin! Diese existenzialistische Verzweiflung lässt der Schauspieler Martin Aselmann nur ganz kurz aufflackern, dann zeigt er vor allem seinen fitnessclubgestählten Körper, kriecht den Frauen unter die Röcke - offenbar zu viel "Blechtrommel" gelesen - und schreit sich durch die Partitur. Also: mehr Turnverein als Turmverlies. Sein Vater, der König, wird von Ernst Alisch als onkelhafter Caudillo gegeben, ehrgeizzerfressene Thronaspiranten stehen dekorativ herum, die Bösen tragen SS- und SA-Anzüge und Knobelbecher, und der kommentierende Narr, die lustige Person, wird von dem wendigen Thorsten Danner zum pausenclownigen Chaplin-Torero gemacht, der dem Publikum rote Nasen anstecken muss - ganz toller Einfall.

    Einzig die von den Männern missbrauchte Rosaura der Michaela Klamminger bringt die notwendige Ernsthaftigkeit in diesen ständig auf Overdrive gestellten Menschenzoo und Hysteriker-Zirkus. In der kreisrunden Manege aus Sand findet, nach fast zwei Stunden, dann auch die Hauptfigur doch noch in die Wüsten der Verlassenheit: Während Aselmann vorher den Frauen wie ein Hund schnüffelnd an die Wäsche ging, Bieito braucht ja immer solche Eindeutigkeiten, windet er sich da in seiner Einsamkeit - nur ein Traum ist unser Leben, und selbst die Träume sind ein Traum. Sprich: Dieser Mann hat noch nie eine Frau gehabt.

    Dass Aselmann dann über der mit gespreizten Beinen vor ihm liegenden Rosaura philosophieren und auf die Liebe verzichten muss, gehört zu den eindrücklicheren Szenen des Abends. Dann besteigt er den Thron, heiratet falsch und wird ein absolut angepasster King - wahrscheinlich bereit zu Eurorettung und Sachzwanggetue. Und er sagt: Alles ist nichts. Am Ende ist dieser Abend groß - und den ganzen Rest haben wir wahrscheinlich nur geträumt.